Aufzeichnung von Hermann Bahr, 20. 9. 1904

11. bis 20. Durch diesen blöden Journalistencongreß verloren. Ich mache die Sitzungen mit, gehe (am 12.) für zwanzig Minuten zum Empfang beim Körber, bleibe demonstrativ dem Empfang im Rathaus bei Lueger fern (wie übrigens auch Oscar Blumenthal und Ludwig Fulda; während unsere scheußlichen Wiener Juden mit Begeisterung hinstürzen), fahre noch mit nach dem Semmering und über Gmunden nach Salzburg und werde durch zwei frohe Stunden bei Burckhard in Lueg und anderthalb sehr vergnügte Tage mit Richard Artur und Olga in Salzburg belohnt.
Ich spreche am 12. bei der Debatte über die »Würde der Presse«, indem ich darauf hinweise, wie wichtig es für die Journalisten wäre, sich an den Setzern ein Beispiel zu nehmen und wie sie zu organisieren. Die Schilderung, wie ich immer aufatme, wenn ich aus einer Redaction, wo allen die Unsicherheit, der Neid, die Sorge auf den Stirnen steht, in den Setzersaal trete, wo jeder sich am anderen und durch den anderen stark weiß, wird von den Hörem stürmisch aufgenommen, im offiziellen Bericht aber natürlich unterschlagen. Ebenso die Angriffe auf die Unternehmer.
Ebenso spreche ich in Salzburg am 18. abends vor dem Mozartdenkmal einen Kranz niederlegend, Mozart als wahren »Zukunftsmusiker« seiner Zeit feiernd, den unsere Generation erst, die durch Wagner, Bruckner, Hugo Wolf und Richard Strauß hindurch gegangen ist, ganz zu empfinden und ganz zu genießen weiß. Dabei Allusion darauf, wie man Mozart gegen die Jugend ausgespielt: »Denn für gewisse Leute scheinen die alten Meister nur da zu sein, um mit ihnen die jungen Meister todtzuschlagen.« Auch dieser ganze Gedankengang wird im Bericht des Neuen Wiener Tagblatt unterschlagen. Echt ist, daß Singer selbst, der mich noch Mittwoch früh feierlich beschworen hatte, ihm zu Liebe zum Lueger zu gehen es mir nicht übel nahm, daß ich es ihm verweigerte. Aber die Juden in der Redaction, die überall laut jammerten, welche Schmach es sei, daß man sie zwinge, ins verhaßte Rathaus zu gehen, sind wütend auf mich, weil ich ihnen die Ausrede genommen und bewiesen habe, daß es nur ihre Feigheit, kein Zwang war, wenn sie ihm huldigten. Singer selbst scheint sich jetzt sogar darüber zu amüsieren, daß ich durch meine beim blinden Gehorsam der anderen ja ganz unschädliche Unbotmäßigkeit bewiesen habe, daß er kein Tyrann ist, sondern seinen Redacteuren alle Freiheit läßt.
Unvergeßlich die Stimmung, wie wir Samstag abends auf zwei Dampfern (jedem mit einer Musikkapelle) über den Traunsee fuhren und uns Ebenhoch auf einem winzigen rot beleuchteten Propeller, der einem Torpedoboot glich, entgegenkam, um »auf hoher See« vom Schiff aus eine nach meinem Geschmack allerdings unerträglich devote Rede zu halten.
Lustig, wie wir Samstag 18. abends um halb sieben in Salzburg ankommen und Singer, der durchaus noch vor dem Denkmal der Kaiserin patriotisch und vor dem Mozart künstlerisch demonstrieren will, den Leuten, um sie beisammen zu halten, keine billets de logement gibt, sondern sie, die glauben, die Einquartierung werde anderswo ausgeteilt, durch die ganze Stadt führt, mancher sein Köfferchen in der Hand. Als sie die ××× vor dem Mozart erblicken, glauben sie erfreut, hier habe das Wohnungscomité sein Bureau aufgeschlagen und wissen gar nicht, warum ich nun plötzlich feierlich zu reden beginne. Ein Franzose hat sich müde hinter mir auf sein Köfferchen gesetzt, merkt, daß hier etwas anderes vorgeht, versteht kein Wort, starrt die schwarze Figur des Mozart an und fragt verzweifelt einen Kameraden neben ihm: Mais dites donc, qui est-ce?