Die Korrespondenz Hermann Bahr – Arthur Schnitzler

Nachlässe

Bereits zu Lebzeiten, als die Demenz einzusetzen begann und eine Übersiedlung innerhalb Münchens in eine kleinere Wohnung sich abzeichnete, wurden die Bücher Bahrs an die Universitätsbibliothek Salzburg vermacht, worunter sich auch seine Schnitzler-Exemplare befanden (). Der Nachlass selber wurde 1942 von München nach Wien übersiedelt. Zur Sicherheit wurde er unter der Rampe der Nationalbibliothek in der Hofburg verwahrt und ging nach dem Tod der Witwe 1946 – nicht ohne Schwierigkeiten – in das Eigentum der Theatersammlung der Nationalbibliothek über.

Schnitzlers Nachlass musste dagegen aus Wien gerettet werden und konnte noch nach dem ›Anschluss‹ Österreichs 1938 nach Cambridge gebracht werden. Die Ausnahme bildet die Bibliothek, die enteignet und gleichfalls in die Nationalbibliothek gebracht wurde. Nach dem Krieg bekam Heinrich Schnitzler den Großteil der Bücher restituiert, aber nur den ›privaten‹ Teil des Nachlasses, während die Werkmanuskripte und die prominenten Briefwechsel von der Cambridge University Library als ihr Eigentum verstanden wurden. Diesen privaten Teil vermachte Heinrich Schnitzler testamentarisch dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach, wohingegen seine Bücher (und damit die seines Vaters) und sein eigener Nachlass weitgehend wieder an die Nationalbibliothek bzw. an die Theatersammlung derselben gingen. Aus der Theatersammlung wurde wiederum 1991 das Österreichische Theatermuseum, ein eigenständiges Bundesmuseum. Es wurde allerdings 2001 in den Museumsverbund des Kunsthistorischen Museums eingegliedert und firmiert als Theatermuseum Wien. Hier befinden sich heute die Korrespondenzstücke Schnitzlers an Bahr, während Cambridge die Gegenbriefe beherbergt.

Überlieferung

Von beiden Seiten wurde der Briefwechsel als relevant eingestuft, sodass er in großen Zügen erhalten ist. Lücken tun sich an wenigen Stellen und vorwiegend mit Bahr als Empfänger auf: die Gratulation zur (1.) Hochzeit (), zur Premiere von Juana (), ein Dankschreiben für Renaissance (); eine Karte aus Rom (); eine Sendung am 20. 11. [1902?] (); Geschäftspost, die in die Redaktionen Bahrs ging – zumindest ein Brief sollte 1922 im Dorotheum versteigert werden (, ); die Aufforderung, in ein Lokal in Hietzing zu kommen (); zwei Briefe an das Burgtheater, wovon sich von einem ein Durchschlag erhalten hat (, ); auf der anderen Seite fehlt ein Schreiben vom 26. 12. 1893 (), eine Terminabsage (22. 4. 1894?, ), das Original des Briefes von Bahr vom 2. 4. 1894 (), das von Heinrich Schnitzler gemeinsam mit je einem Brief von Brandes, Hauptmann, Karl Kraus und vermutlich weiteren 1937 an den Sammler Sandór Wolf verschenkt wurde.

Das vermutlich relevanteste Dokument, das verlorengegangen ist, ist der Rekurs bezüglich der verbotenen Reigen-Vorlesung (). Ein weiterer bedeutsamer Verlust auf Seiten Bahrs dürfte ein Manuskript des Artifex darstellen, das in der kryptisch bleibenden Aufstellung im »Verzeichnis des Briefnachlasses« (VM 2048 Ba) aus dem Jahr 1943 gemeint sein dürfte, wo unter Schnitzler vier (!) Briefe aufgeführt sind, mit folgendem Kommentar: »davon 1 unter Schlenther; 2 aus Autogrammsammlung; 1 in Mappe Burgtheater; ›Antifex‹ unter Olbrich Darmstädter Zeit; 1 Telegr. z. 50. Geburtstag; 1 Visitenkarte unter ›Tschapperl‹ in Mappe ›Die Andere‹«.

Editionsgeschichte

Der erste Hinweis auf die Korrespondenz als bedeutsame Einheit findet sich im Tagebuch Schnitzlers vom 30. 7. 1918, als er die Lektüre der »nun abgeschriebenen« Briefe Bahrs und Brandes’ festhält (). Diese Abschrift ist nicht überliefert.1 In allen zentralen Nachlassorten, in Cambridge und Marbach am Neckar sowie im Theatermuseum, existieren maschinenschriftliche Abschriften. Die jeweiligen Korrespondenzstücke eines Absenders wurden immer separat abgeschrieben, und es ist anzunehmen, dass Olga Schnitzler die Transkription der Briefe ihres Mannes an Bahr; Anna Bahr-Mildenburg umgekehrt jene ihres Mannes an Schnitzler betreute. Da unterschiedliche Schreibmaschinentypen zum Einsatz kamen, das Textkorpus aber gleich ist, dürfte es sich zum Teil um Abschriften der Abschriften handeln. Durch einige Hinweise lässt sich die Entstehung eingrenzen. Olga leiht die Korrespondenz von ihrem Ex-Mann 1932 aus und retourniert sie (). Anna Bahr-Mildenburg erbittet drei Jahre nach dem Tod ihres Gatten seine Briefe. Die erwähnte Schenkung an Sandór Wolf 1937 stärkt die Annahme, dass zu diesem Zeitpunkt die Korrespondenz transkribiert vorlag.

Zwar wurden an verschiedenen Druckorten vereinzelt Briefe publiziert, doch eine größere Edition unternahm erst in den 1970er Jahren der amerikanische Germanist Donald G. Daviau. Er wurde dabei von Heinrich Schnitzler unterstützt,2 konnte aber von Seiten der Rechteinhaber des Nachlasses Bahrs nur die Erlaubnis zur Publikation der Briefe Schnitzlers in ihrem Bestand erwirken, bei den Briefen Bahrs musste er auf referierende Zusammenfassungen in den Erläuterungen zurückgreifen.3 Zudem standen ihm nicht alle Briefe Schnitzlers im Original zur Verfügung, sondern gut ein Drittel zitierte er nach der Abschrift. Bei den ihm fehlenden Originalen handelt es sich um Kartenbriefe und Postkarten, die zu diesem Zeitpunkt nicht mit den Briefen verwahrt wurden. Die Edition Daviaus entstand also unter schwierigen Bedingungen. Aber auch wenn man diese zugutehält, sind die ihm unterlaufenen Fehler gewichtig. Das lässt sich an den zahlreichen Umdatierungen ablesen, die wir im Vergleich zur früheren Edition vornehmen.

Dazu zwei Beispiele. Schnitzlers Handschrift ist schwierig zu lesen, seine Ziffern sind nicht immer distinkt. Auf dem Brief vom 28. 3. 1903 (), der das Erscheinen des Reigen acht Tage später ankündigt, ist die »3« nicht durch eine klare Form, sondern nur durch Abgleich mit anderen erkennbar. Eine unbekannte Hand hat »9.« darunter geschrieben. Daviau datiert, der unbekannten Hand vertrauend, mit September. Dabei gibt es zu dem Brief eine Antwort Bahrs vom März. Auch hätte sich der genaue Erscheinungstermin des Reigen ermitteln lassen. Zweites Beispiel: Die Anfrage der Steuer bei Schnitzler über Bahrs Einkünfte vermutet Daviau, hätte zweimal, 1902 und 1907, stattgefunden. Dabei findet sich auch hier eine Ergänzung der fraglichen Ziffer von unbekannter Hand auf dem Blatt, die er gleichfalls übernahm, anstatt durch die so transportierte Unsicherheit auf textimmanente Hinweise zur Überprüfung zu achten. Die hätte es auch hier gegeben, und dies hätte auch hier erlaubt, beide Objekte im Jahr 1902 zu verorten.

Vergleichbare Fehler und Irrtümer finden sich in der Transkription und im Kommentar. Diese sind nicht vollständig durch das damals noch nicht publizierte Tagebuch Schnitzlers begründet (aus dem er zitiert), sondern es handelt sich teilweise um Missverständnisse (»Maitlissengasse« als Bahrs Wohnadresse, S. 96) und um logische Widersprüche. So behauptet Daviau (Endnote 300), Bahr sei zum Zeitpunkt der Medardus-Premiere in London gewesen (sich dabei offensichtlich auf den Brief Bahrs vom 26. 9. 1910 beziehend, ). In der Endnote 301 schreibt Daviau (sich nunmehr auf Bahrs Brief vom 22. 10. beziehend, ), er hätte an der Uraufführung nicht teilnehmen können, weil er auf Vorlesetournee in Deutschland gewesen sei.

  1. 1 In der Mappe 247 in CUL sind die Briefe sowohl als abgeschrieben verzeichnet als auch der Verwahrort der Originale gemeinsam mit jenen von 19 anderen prominenten Schriftstellern als »im Arbeitszimmer« befindlich angegeben.
  2. 2 Eine Abschrift im DLA (HS.NZ85.1.297) enthält Anmerkungen Heinrich Schnitzlers für Daviau, die dieser partiell berücksichtigt.
  3. 3 Zur schwierigen Rechtslage im Nachlass Bahrs vgl. Kurt Ifkovits: Der mühsame Weg des Nachlasses an die Öffentlichkeit. In: H. B. ÖKeA 185–202.