Tagebuch von Arthur Schnitzler, 19. 9. 1920

19/9 S.– Spazierg. Dornbacher Park;– Verse am Weiher.
– Nach Tisch Bubi B.-H.; wir saßen alle auf der besonnten Terrasse.–
Unter Mühn weiter am Weiher, so gut es ging.
N. d. N. (O. lag zu Bett) wieder ein Gespräch; im Anschluss an ihren Brief. Sie erklärte sich absolut entschlossen das Haus zu verlassen, hat an Lucy schon geschrieben; bei der sie wohnen will (was die Sache natürlich erleichtert). Zu Weihnachten möchte sie wieder da sein, dann wieder fort.– So wird es nicht gehn. Die Disc. führte wie natürlich in die tiefsten Urgründe, fand in einem trocknen, versöhnungfernen Ton statt. Immer klarer stellt sich eben heraus, daß sie anderswo innerlich zu Hause ist.– Trotzdem sie (wenn es zu der Trennung kommt) so viel mehr verliert als ich (ich meine die Kinder, das Haus) fühl ich, um wie viel tiefer mein Schmerz ist als der ihre.– Das gesetzmäßige des Verlaufs kam mir zu Bewußtsein;– fast auf den Tag wird es enden, wie ich vor 2 und 3 Jahren vorhergesagt.– Dabei passirte es mir wieder manchmal innerlich, dass ich in der Disc. mehr auf ihrer Seite stand als auf der meinen.– Sehr wesentlich für ihren Entschluss – daß sie hier nun keinen Boden – keine Freundinnen hat, und alle in München.– Sie bleibt dabei, daß ich unsre Ehe zerstört habe durch »Mißtraun« . . . !– Mißtraun sagt ich, heißt ein ungerechtfertigter Verdacht;– nicht: Leid,– weil man ahnt – und endlich weiß.– Ich erwähnte wieder ihre Bemerkung vor 15 Jahren: »Es wird ein Unglück für uns beide, wenn ich keine Carrière als Sängerin mache.« – Darauf berichtete sie mir, dass sie in Salzburg mit der Mildenburg (die sich gewundert, dass die vorjährigen Concerte keinen Erfolg gehabt) Münchner gemeinsames Studium besprochen.– Ich verließ das Zimmer,– in der einen Tasche ihre Briefe, in der andern – den Friedhofszettel von Liesls Asche; denn nun soll sie wieder nach München zurück.– Und in all dem bittern, bittern, von niemandem völlig nachzufühlenden Gram – geht man im Dornbacher Park spazieren, schreibt sogar ein paar Verse, macht Späße mit einem Besucher, läßt sich von seinem Sohn Palestrina vorspielen, scherzt mit der Tochter, liest vor dem Schlafengehn in einem neuen Geschichtenbuch von Bruno Frank – und schläft immerhin, nach Pyramidon, ein.