Lieber Hermann, deine Ansicht betreffs dieser weitgehenden Rechte des Regisseurs und des Vorlesers
– nach Belieben zu streichen u zu ändern! – theile ich durchaus nicht. In Hinsicht
auf »Regisseur« und auf »streichen« könnte man
ja manches zugeben; beim Theater handelt es sich nicht nur um
einen Abend und das Mislingen des ersten kann natürlich die schwersten Folgen haben. Auch
versteht der Regisseur manchmal besser als der Autor, was des letztern Vortheil ist. Der Vorleser
hat diese Entschuldigungen nicht für sich. Er hat einfach die Pflicht, die Dinge so
zu lesen wie sie geschrieben sind. Ich will ihm noch etwas zugestehn: findet er das
betreffende Werk zu lang und ist der Autor unerreichbar für ihn – z. B. dadurch dass
er gestorben ist oder irgend einen andern Ausflug in besondere Fernen gemacht hat, – so mag er kürzen. Kann er aber den Autor finden,
so überlasse er
ihm die Kürzungen oder lege ihm mindestens die seinigen (die des Vorlesers) vor. Aenderungen
sind
absolut unstatthaft, wenn sie nicht vom Autor selbst oder mit Zustimmung des Autors gemacht
sind, wobei noch zu bedenken ist, dss auch gewisse Streichungen in ihrem Effekt nur
dem Sinne nach als Aenderun
gen zu gelten haben. Würdest du beispielsweise, um etwas naheliegendes zu citiren, den
Schluss von »
Die Todten schweigen« streichen, so würdest du auch aendern. – Wohin käme man
also, wenn deine Idee über die Souveränität des Vorlesers zu Recht bestände! – In meiner
Nov. die du vorlesen willst, bitte ich dich
zwei
Lapsus’ zu corrigiren: Auf der vierten Seite, Zeile 22 ist der Satz zu streichen: »Die Scheiben klirren
nur so stark, weil der Sturm –« (der Wagen ist nemlich
offen, hat keine Scheiben, die aus einer
früheren
Fassung stehen geblieben sind.) Auf der 16. Seite, Zeile 14, steht einmal Wohnzimmerthür
statt »Wohnungsthür«. –
– Dass ich nicht dabei sein kann, wenn Du die Geschichte liest, bedaure ich wirklich.
Du wirst sie gewiss zu starker Wirkung bringen.