Hermann Bahr an Arthur Schnitzler, 15. 5. 1902

15. Mai 1902

Du bist enttäuscht, lieber Arthur, da Du geöffnet hast und siehst, daß diese Blumen, statt von einem Weibchen, nur von mir sind. Aber sie sollen Dir halt heute, wo Du ankommst

nel mezzo del cammin di nostra vita,

einmal sagen, daß ich Dich sehr gern habe und über unser gut und fest gewordenes Verhältnis froh bin und meine, es könne, was immer etwa noch das Schicksal zwischen uns werfen mag, doch eigentlich im Grunde niemals mehr wankend werden. Und mir ist, frühere Dinge jetzt erst zu verstehen, und ich rede mir ein zu meinen, daß, was ich einst gegen Dich empfunden habe, vielleicht auch nur eine freundschaftliche Ungeduld gewesen sein mag, den zu lange bei seiner Jugend Verweilenden schneller männlich werden zu sehen. In meinem Verhältnis zur Duse weiß ich jetzt ganz gewiß, daß die unbegreifliche Wuth, die ich nach meiner ersten Begeisterung plötzlich auf sie hatte, genau mit ihrer inneren Krise zusammenfiel, aus welcher sie verwandelt emporstieg. Wäre ich d’Annunzio und würde auch stylisieren, so würde ich sagen: Ich bin der Ehrgeiz meiner Freunde – io sono l’orgoglio della mia razza (was übrigens ganz gut klingt).
Reden wir übrigens nicht vom Vergangenen, blicken wir vor . . . und da kann ich Dir nur wünschen: Die nächsten zehn Jahre mögen Dir so reich sein, als es Dir die letzten gewesen sind! Dann werde ich Dich zu Deinem 50. öffentlich anstrudeln müssen, was weitaus nicht so gemütlich sein wird.
Des Herrn Jettel will ich gedenken. Wenn Du kommst, telephonier vorher. Herzlichst
Dein
Hermann