Hermann Bahr an S. Fischer, 11. 3. 1922

11. 3. 22

Lieber Freund!

Ich will Ihnen gleich in der ersten Freude sofort für Ihren lieben Brief danken, der mich beglückt und fast auch beschämt: denn »gekränkte Liebe war mein ganzer Zorn« und in allen meinen Klagen über den »Verleger« stak im Grunde nur die Bitterkeit des seit Jahren wachsenden Gefühls, daß Sie sich mir immer mehr entfremdeten, daß Sie menschlich immer mehr von mir abgerückt sind, daß Sie vergessen, wie wir doch eigentlich zusammen angefangen haben; das Gefühl gemeinsamen Anfangs ist ein Menschen wunderschön vereinigendes Band, Sie schienen es mir zu lockern. Und wenn ich zuweilen fand, daß Ihr Verlag für das eine oder das andere Buch von mir (»Himmelfahrt« hauptsächlich) mehr hätte tun können, so lag auch darin ein Gefühl von Kränkung im Grunde: für mich, wie wir, ob wir wollen oder nicht, innerlich zu einander stehen müssen, müßte der Freund mehr tun, auch wenn der Verleger sich keine besondere Wirkung davon verspricht. Lassen Sie michs aussprechen: ich hatte seit Jahren immer wieder zuweilen das Gefühl, daß ich mit meinen Werken nur noch ein schandenhalber mitgeschleppter Ballast aus Ihrer kleinen Zeit war, an den Sie sich, seit Sie der große Verleger geworden, lieber nicht mehr erinnern wollen. Und um ganz aufrichtig zu sein: auch im persönlichen Verkehr, die paar Mal wo wir uns in den letzten Jahren sahen, schienen Sie mir nicht mehr der Alte, Sie schienen so verlegen, wie wenn ein großer Fabrikant nach Jahren einen wiederfindet, mit dem er einst als junger Handwerksbursch »auf der Walz« zusammen gewesen ist: ich hatte fast den Verdacht, daß Ihnen jetzt Trebitsch jedenfalls »gesellschaftlich« näher steht als ein alter Salzburger Eigenbrödler, und – da gab ich die Concurrenz lieber auf. Ich habe sehr viele Beziehungen in den letzten Jahren, seit ich aufgehört habe, von Wichtigkeit zu sein, abgeschüttelt: bei Ihnen würde mir das schwer, denn da wäre mir, als ging ein Sonnenschein meiner Jugend damit weg!
Ich will nicht, daß Sie Bücher von mir, die Ihnen gleichgiltig sind, blos seufzend drucken, weil Sie mir nicht gut Nein sagen können. Dieses leise Seufzen, das ich immer wieder gelegentlich zu hören glaubte, hat mich wild gemacht. Sagen Sie mir ehrlich: »Nein, Ihre Bücher gehen nicht mehr, ich drucke sie nicht«, so können wir die besten Freunde bleiben. Oder Sie können mir auch sagen: »Ich nehme dieses Buch, obwol ich weiß, daß es nicht gehen wird, aber ich nehms aus alter persönlicher Freundschaft und weil ich Ihnen helfen will«, so werd ich gar keinen falschen Stolz haben, sondern, wenn ich fühle, das Sies gern tun, Ihnen herzlich dankbar dafür sein. Nur die Rolle desjenigen, den man lieber endlich los wäre, jedoch nicht loszuwerden für eine »Pflicht« hält, die man mit saurer Miene tut, ist mir unerträglich. Die saure Miene – darum geht alles zwischen uns! Und da nun Ihr letzter Brief gar keine saure Miene macht, bin ich sehr geneigt, anzunehmen, das alles mögen nur Wahnvorstellungen von mir gewesen sein. Und darum nochmals herzlichsten Dank!
Nun aber eine tatsächliche Berichtigung: nicht ich habe Ihnen plötzlich Neues von mir nicht mehr »angeboten«, sondern während vorher alle meine Theaterstücke bei Ihnen erschienen waren, zeigten Sie zum »Konzert« so wenig Lust, daß ich es Reiß gab. Ich kehrte dennoch darauf mit dem nächsten Stück zu Ihnen heim und wieder erschien jedes Stück von mir bei Ihnen, bis Sie wieder, beim »Unmenschen« Bedenken zeigten und ich wieder zu Reiß ging und dann auch mit dem nächsten Stück bei ihm blieb. Meine Romane sind sämmtlich bei Ihnen erschienen. Meine »Tagebücher« hab ich Ihnen anzutragen einfach nicht den Mut und Sie hätten, ehrlich gestanden lieber Freund!, gar keine Freude daran gehabt. Ich bin mit ihnen schon beim vierten Verleger und gelesen werden sie sicherlich erst nach meinem Tode, dann aber als ein Nachschlagebuch der Zeit sehr.
Somit bleibts also mit dem »Selbstbildnis« bei unserer Abmachung. Und ich glaube, Sie haben Recht: der erste Band muß jedenfalls bis 1891 gehen, also nicht mit der Wiener Relegierung schließen, sondern auch noch meine an der Berliner Universität verbrachten Jahre 1884 bis 1887, mein Wiener Freiwilligenjahr, Paris 1888 bis 1890 und meinen mit dem Eintritt in Ihre Freie Bühne beginnenden zweiten Berliner Aufenthalt bringen. Dies aber zu der ursprünglich gedachten Frist fertigzustellen wage ich bei meiner sinnlosen Überbürdung mit Journalismus und meinem neuestens sehr labilen Zustand meiner Gesundheit nicht zu hoffen und so ists das Beste, wir beschließen gleich das Erscheinen für Ostern 1923. Lassen Sie mich aber bald wissen, wie viel Bildbeilagen Sie sich denken, damit ich dann die Auswahl treffen kann. Und bitten lassen Sie nur gleich auf einer Karte schreiben, bis zu welcher Nummer (inclusive) die von mir Ihnen gesandten Ausschnitte gehen! Ich schicke dann künftig alles nach Erscheinen immer an Sie. Der zweite Berliner Aufenthalt soll in der Neuen Rundschau kommen. Dagegen hat mich diese jetzt durch Anforderung eines Beitrags über Schnitzler in Verlegenheit gesetzt, ich hatte wenige Tage vorher einen Schnitzleraufsatz an Hirschfelds Moderne Welt für ein Schnitzlerheft geschickt, ich kann doch um Gottes willen nicht dasselbe noch einmal sagen, in ewig derselben Geburtagsrührung? Dagegen will ich Ihnen gerade fürs Maiheft ja den Stifteraufsatz schicken!
Und auch damit bin ich einverstanden, daß Sie mir erst nach Ostern Bescheid wegen der Auswahl angeben. Nur bitte nicht zu spät! Und sagen Sie mir doch jetzt schon, was Sie für buchhändlerisch aussichtsvoller halten: »Ausgewähltes Theater«, in wie viel Bänden?, oder Auswahl der Romane, beziehungsweise was mir das liebste wäre: Die sämmtlichen Romane.
Den Politischen Band, der auch mein berühmtes bis zum Umsturz verbotenes Buch über »Wien« enthalten soll, lasse ich ja viel lieber bei Ihnen erscheinen als bei irgend wem anderen, aber überlegen Sie, ob ich da nicht mir mit mir selbst Concurrenz mache, während wenn der Band in einem Wiener Verlag erscheint, dies doch nicht zu befürchten ist. Sagen Sie mir aufrichtig Ihre Meinung – ich halte mich daran!
Und sagen Sie Ihrer lieben Frau, die ich eigentlich im Verdacht habe, daß ich eigentlich ihr Ihren lieben Brief zu danken habe, meinen herzlichsten Dank und meine verehrungsvollen Grüße!
In alter Freundschaft
HermannBahr