Arthur Schnitzler an Richard Beer-Hofmann, 15. 9. 1895

Herrn Dr. Richard Beer-Hofmann

Sonntg 15. 9. 95.

Lieber Richard. Ich freue mich, dass Sie in guter Stimmung sind. Wahrscheinlich werden Sie bald südlicher gehn; kennen Sie Riva? Es ist schön, war mir aber nicht sympathisch. Ich bin von dort nach Venedig gegangen; es ist so nah. Sie haben mich falsch verstanden; ich wußte, dass Sie Ende Sept. in Wien sein wollten. An dieses Wien hab ich mich noch nicht ganz gewöhnt; empfinde gleich wieder, jetzt wo die alten Verhältnisse sich aufdrängen, das vielfach unzulängliche, unter dem man zu leiden hat. Dünne Fäden, mit denen man an mancherlei gebunden ist – dünn, aber doch Fäden. Denken Sie, seit ich hier bin, bin ich bereits 2mal in der früh (um (6 oder ½ 7) geweckt worden – von Patienten, nicht vom Burgtheater. – Am Mittwoch 18. soll Leseprobe sein; wenigstens ist sie angesetzt.
– Die S. verhält sich stille; ihre Feindseligkeit hat sie vorläufig nur dadurch ausgedrückt, dass sie ihrer russischen Freundin einen Brief schrieb, sie dürfe mich nicht mehr als Arzt nehmen, wenn sie mit ihr verkehren wolle. Die russische Freundin kümmert sich nicht drum und läßt sich mit Begeisterung von mir behandeln. – Bckhrd sprach neulich das erste Mal von der Sache: »Ich hab ja nur zufällig durch den Bahr von der Sache erfahren . . aber ich werd ihr schon begreiflich machen, dass das beim Burgtheater nicht geht – besonders sie . . . Freilich mit Ketten kann ich sie nicht auf die Bühne zerren.« – Man war bei Besezny, ihm erzählen, wie dumm und ordinär mein Stück sei. – Unser Freund J. J. David: Ich werde vielleicht durchfallen, der Schnitzler aber doch ganz gewiss.–
Speidel zu Ebermann über die Liebelei – »Da werden die Wiener schaun!« – Ist vom Anatol äußerst – (ich genire mich »entzückt« zu schreiben.) – Theater: Alte Wiener, schlechtes Stück von Anzengruber. Böse Zungen, lächerliches Stück von Laube. –
Die Eltern Hugos neulich im Kaffeehaus. Hugo ritt durch Wien; sie standen beim Tegethoffmonument und schauten zu. Er war in Göding sehr unglücklich; die Manöver sollen ihm enorm gefallen haben. Jetzt ist er in Bruck.– Gesprochen: Salten oft, Schwarzkopf einige Mal, Gold selten, Bahr (Guten Tag, wie gehts dir denn?) Seine Frau heute ein Stück begleitet, mich dringlich zum Besuche aufgefordert. Auch er fährt schon bicycle.–
– Gearbeitet noch gar nichts – schämen Sie sich, dass ich mich nicht vor Ihnen zu schämen brauche.
Die Brion soll über uns geäußert haben: Setzen sich in die Prosceniumsloge – und man kriegt kein Bracelet, nicht einmal eine Einladung zum Souper! – Quelle unlauter, nemlich Paul Horn. Dieser tadelt an der kleinen Komödie die Unmöglichkeit, dass sich ein Mensch wirklich von den Seidenstrümpfen und den grande marque Cocotten zu einem lieben Vorstadtmädel hingezogen fühlen sollte.–
– Hier regnet es immer – und Sie? – Alles erkundigt sich nach Ihnen; sind Sie stolz? Leben Sie wohl, lassen Sie schnell wieder was von sich hören, bringen Sie den fertigen Götterliebling und viel Lust zu neuen Werken mit. Sagen Sie, wie hat denn die Lou das Alleinfahrenmüssen aufgenommen? Hier ist es »bekannt geworden« dass wir miteinander nicht über Literatur reden; man findet das höchst anmaßend – »so groß sind sie nicht, daß sie nicht mehr über Literatur reden müßten.« – Laßt uns lächeln.
Ihr
Arthur Sch
mit vielen herzlichen Grüßen.