Arthur Schnitzler an Marie Reinhard, 27. 6. 1897

Ischl 27/6. 97

Meine geliebte Mizi, ich habe dir nur einiges über den gestrigen Tag zu erzählen, u eigentlich nicht viel. Den Nachmittag hab ich angenehm u allein auf meinem Zimmer verbracht, mit den Entrüsteten beschäftigt, u einem neuen Stück, dessen 3 Akte ich mit einem plötzlichen Interesse skizziert habe (es ist mir schon in Wien eingefallen) u das vorläufig unter dem Titel »Das Kind« gehen soll. Abds im Wald spazierengeradelt. Nach dem Nachtmahl zu Richard; mit ihm zu Paula, die in einem der letzten Ischler Häuser gegen die Traun zu, im Steinfeld, wohnt, sich sehr wohl befindet; wir gingen dann noch in der Abendbeleuchtg zwischen Holzplätzen und längs eines todten Traunbetts, wo Holz in großen Massen angeschwemmt liegt, spazieren; Glühwürmchen, fernes Gewitter, erleuchtete Fenster . . kurz die Regie war vorzüglich. –
Heut früh bin ich mit Richard, der ein blutiger Anfänger ist, nach Laufen geradelt, woher ich eben zurückkomme. –
Gestern bei der Table d’hôte die noch mäßig zahlreichen Gäste besichtigt, mir durchwegs ziemlich unsympathisch; schwachsinniges Sommercurortgetalke über Wetter, Ausflüge, Nachmittagssonne und Radfahren. Ich schwieg. Die meisten scheinen gerührt über ihre eigne Liebenswürdigkeit, Nettigkeit und machen den Eindruck, als wollten sie sagen: »Seht, so sind wir, freundlich gegen Leute, die wir kaum kennen, zuvorkommend, voll Humor, . . und doch steckt eigentlich noch etwas in uns – das kann man natürlich bei oberflächlicher Bekanntschaft nicht bemerken; aber es leuchtet zuweilen durch . . . . «
– Eben ist auch die »Zeit« gekommen – ein Artikel Bahrs über ein offenbar ganz kindisches Buch »Berliner Theater« von Linsemann: Ich war dabei, wie die Frau des Linsemann (eine Berliner Schauspielerin) Bahr besuchen kam. Auf diese Weise erzielt man Feuilletons von diesem Tropf. – Das Feuilleton ist danach. – Mein Ekel vor allem diesem Gesindel wächst ins Riesengroße. – Leb wohl mein Schatz. Morgen, morgen endlich wird ein Brief von dir da sein, hoff ich!
Von der Rudolfshöhe bin ich neuerlich entzückt; mein Fenster geht aufs Grüne, nur aufs Grüne, Wald, Wiese, – und Himmel, der übrigens blau ist. –
Leb wohl, meine Mizi, und sei tausend Mal geküßt! Ich sehne mich nach dir.
Dein
Arthur