Richard Beer-Hofmann an Hermann Bahr, 9. 8. 1904

Aussee 9./VIII 04.

Lieber Hermann! Ihren lieben Brief hab ich erhalten. Hätt ich gewusst dass Sie jedenfalls in Salzburg sind, wäre ich ja gekommen. Sind Sie nicht wieder überarbeitet?
Seit Griechenland ein Stück und einen Dialog – ganz fertig – Sie begreifen mein Staunen – machen!
Den »Marsyas« habe ich heute zum zweiten mal, und mit vieler freude gelesen. Die Momente, an die er anknüpft, haben mich an jene Zeit – jetzt finde ich sie schön – erinnert, in der mir der Plan zur »Ariadne« im Kopf herumgieng. Flöte und Leier waren mir damals wichtige Symbole für Dionysos und Orpheus, die sich auf Naxos treffen sollten, Orpheus ein untergehender, Dionysos ein aufgehender Gott, der seiner noch nicht sicher ist, und für den Ariadne und ihr Schicksal – ihr Tod und das Aufflammen ihrer Krone am Abendhimmel – eine Bekräftigung seiner Sendung ist. Dort – auf Naxos – sollten die Mänaden Orpheus zerreissen, und in den jubelnden Zug des Dionysos hätte das Klagen der Leyer tönen müssen, die, zusammen mit dem singenden Haupt des Orpheus den Bergbach hinab, auf’s Meer hinaus – nach Lesbos – trieb, für Dionysos eine beklemmende Ahnung, dass auch Götter sterben. Damals wusste ich Einiges von diesen Dingen. Dass bei Theophrast die Zubereitung des Flötenrohres beschrieben war: wie das Rohr nur selten wuchs, in einem kleinen Bezirk, und nur bei den Überschwemmungen des Cephissus, die alle neun Jahre wiederkehrten, und wie auch die Zeit nicht gleichgiltig war zu der man es schnitt. Die Flöte des Marsyas aber, hatte ein ähnliches Schicksal wie die Leyer des Orpheus: Sie schwamm den Mäander hinab, über’s Meer, zu den Sicyoniern. Aber alle diese Dinge waren Ihnen diesmal nur Anlaufslinie. Und dass Sie diese wählten, erscheint mir wie ein schönes dankbares Grüssen, hinüber zu jenen Gegenden, die Sie in diesem Frühjahr gesehen haben. Je weiter ich im »Marsyas« las, desto mehr war es mir, als rede wendeten Sie Sich im Reden, einem von uns zu: Dem Arthur, oft dem Hugo, und, manchmal vielleicht auch, – ich denke an das »espressivo« – mir.
So Vieles – mehr als ich jetzt Ihnen darüber schreiben kann – wäre darüber zu sagen, und ich hoffe, es wird auch im Herbst, – peripathetisch, unter den Bäumen unseres Gartens in Rodaun – gesagt werden. Wegen des »espressivo« aber: »Léonard est un expressif« sagt Seailles von ihm; ich habe das schöne Buch – das Sie ja auch kennen, mit.
Mit Ihnen – leider zu sehr mit Ihnen – bin ich bei Allem was Sie auf den letzten zwei Seiten (des Bürstenabzuges) sagen. Leider – weil ich nur zu sehr empfinde, wie leicht solche Dinge, gerade mir, Beruhigung geben, wenn ich an meine Trägheit denke.
»Düngt Euch mit Aufregung, ja! Dann aber steht der Bauer und harrt bis die Erde will!« Das klingt meinen Ohren nur zu lieblich! Aber Bauer und Erde sind hier eins, und wenn er zu lange harren muss, taugt am Ende die Erde nicht viel.
So ist es mir erlaubt, Ihnen, in einem versteckten Winkel meines Ichs zuzustimmen. Aber laut muss ich mich, vor mir selbst, dagegen wehren – aus hygienischen Gründen – sonst könnte ich mich ja mit Ihrem Spruch »beruhigt auf ein Faulbett legen«.
Das Citat: »L’ordinare é opra signorile, l’oprare è atto servile«, kannte ich nicht; es ist wunderschön! »Servile« lass ich gelten, denn die Conception ist unser Herr. Aber »l’oprare« muss nicht »atto servile« bleiben – ich glaube es darf es gar nicht. Wer im »oprare« nicht getrieben wird von der Sehnsucht nach dem verlornen Paradiese der ersten Conception der taugt nicht viel. Und die Qual und Spannung, das Ringen – und »nicht lassen, denn Du mich segnest« vermag auch im »oprare«, signorile Gefühle zu geben.
Da Sie nun einmal von diesen Dingen laut gesprochen haben, darf ich ja auch vielleicht – ganz leise – Ihnen – sagen, dass in diesen vielen Jahren – wo ich für Andere – manchmal auch für mich – der Faule war, ein wenig von dem Stolze gehalten wurde, dass mein Arbeiten nie blos »atto servile« gewesen ist. Immer habe ich versucht (was immer ich von mir aussage – es gilt von meinen Intentionen, nicht vom Gelingen) im Arbeiten, etwas von den verlorenen Schaudern der ersten Empfängnis wiederzufinden. Aber wenn man auch diese nie wiederfindet – sie sind einzig und unwiederbringlich – wie Alles – andere, nicht geringere Schauder werden uns geschenkt, wenn – nach allen Qualen der Ohnmacht und der Selbstverachtung – endlich widerspenstige Massen zu glühen und zu fliessen beginnen. Und auch diese Schauer sind »herrlich« – »signorile«.
Wie es Leonardo beim »oprare« gegangen ist, erzählt Bandello – ich finde die Stelle bei Séailles. Er arbeitet an dem Abendmal. Und manchen Tag erscheint er ganz früh am Morgen, läuft das Gerüst hinauf, isst nichts, und bleibt – bis er herunter muss weil es Nacht ist. Ein andermal rührt er 3–4 Tage nicht an sein Werk. Er kommt nur und bleibt ein bis zwei Stunden mit gekreuzten Armen vor seiner Arbeit stehen. Und einmal sieht man ihn – in den Hundstagen um Mittag, von der Citadelle (wo er an seinem Pferd arbeitet) durch die leeren Strassen der Stadt laufen – quer durch – den nächsten Weg, nicht den schattigsten. Er springt aufs Gerüst, setzt ein paar Pinselstriche hin – ein oder zwei – sagt der Bericht, und lauft wieder nach Hause. Hier haben Sie es: Die guten gesegneten Tage, wo erst die Nacht uns – wie seelig verspielte Kinder – wider unsern Willen zur Ruhe bringt; die bösen Tage, wo uns widert an unser Werk zu rühren – aber davorstehen müssen wir, und hinstarren, und mit erbarmungslosen Augen unsere Schwäche erkennen, und den Abgrund der zwischen den Wesen klafft, die wir einmal, wundervoll bewegt in Licht und Luft mit geschlossnen Augen sahen – und jenem Roth und Blau und Grün das wir auf den Malter hinstrichen. Und endlich jene dritten Tage: Wir waren mit Gleichgiltigem beschäftigt, dachten nicht an das Werk – oder glaubten – besser gesagt – nicht daran zu denken (als könnten wir das). Aber plötzlich fühlten wir den Funken in uns fallen und geschüttelt vor Angst, er könnte erlöschen ehe er gezündet, stürmen wir hin.
Sie sehen, lieber Hermann, Sie haben von Sich in diesem »Marsyas« gesprochen, und ich habe von mir darin gelesen. Wie grosse Egoisten, vermögen wir Künstler nichts Anderes, als von uns zu reden. Aber was uns von Jenen scheidet, ist, dass ein Gott unsern Zungen den Zauber gegeben hat: Wie viel wir auch von uns reden, andere hören nur von sich darinnen.
So hab ich mir aus Ihrem »Marsyas« ein wenig Muth für mich herausgelesen. Ich kann ihn gut brauchen; denn für mich sind jetzt Tage wo ich mit verschränkten Armen und bösen Augen vor der bemalten Wand stehe.
Vielen Dank also für den »Marsyas«. Schreiben Sie bald; Mirjam kennt Ihre Schrift schon, und ruft es mir zu meinem Fenster hinauf, wenn die Post kommt, und ein Brief von Ihnen darunter ist.
Ich grüsse Sie von Herzen
Richard