Lieber Hermann! Ihren lieben Brief hab ich erhalten. Hätt ich gewusst dass Sie
jedenfalls in
Salzburg sind, wäre ich ja gekommen. Sind Sie nicht wieder überarbeitet?
Seit
Griechenland ein
Stück und einen Dialog –
ganz fertig – Sie begreifen mein Staunen – machen!
Den »
Marsyas« habe ich heute zum zweiten mal, und mit vieler freude gelesen. Die Momente, an die
er anknüpft, haben mich an jene Zeit – jetzt finde ich sie schön – erinnert, in der
mir der Plan zur »
Ariadne«
im Kopf herumgieng. Flöte und Leier waren mir damals wichtige Symbole für Dionysos und
Orpheus, die sich auf Naxos treffen sollten, Orpheus ein untergehender, Dionysos ein aufgehender Gott, der seiner noch nicht sicher ist, und für den Ariadne und ihr
Schicksal – ihr Tod und das Aufflammen ihrer Krone am Abendhimmel – eine Bekräftigung
seiner Sendung ist. Dort – auf Naxos – sollten die Mänaden Orpheus zerreissen, und in den jubelnden Zug des Dionysos hätte
das Klagen der Leyer tönen müssen, die, zusammen mit dem singenden Haupt des Orpheus
den Bergbach hinab, auf’s Meer hinaus – nach Lesbos – trieb, für Dionysos eine beklemmende Ahnung, dass auch Götter sterben. Damals wusste ich Einiges von diesen Dingen. Dass bei
Theophrast die Zubereitung des Flötenrohres beschrieben war: wie das Rohr nur selten wuchs,
in einem kleinen Bezirk, und nur bei den Überschwemmungen des Cephissus, die alle neun Jahre wiederkehrten, und
wie auch die Zeit nicht gleichgiltig war zu der man es schnitt. Die Flöte des Marsyas
aber, hatte ein ähnliches Schicksal wie die Leyer des Orpheus: Sie schwamm den Mäander
hinab, über’s Meer, zu den Sicyoniern. Aber alle diese Dinge waren Ihnen diesmal nur
Anlaufslinie. Und dass Sie diese wählten, erscheint mir wie ein schönes dankbares
Grüssen, hinüber zu jenen Gegenden, die Sie in diesem Frühjahr gesehen haben. Je weiter
ich im »
Marsyas« las, desto mehr war es mir, als
rede wendeten Sie Sich im Reden, einem von uns zu: Dem
Arthur, oft dem
Hugo, und, manchmal vielleicht auch, – ich denke an das »espressivo« – mir.
So Vieles – mehr als ich jetzt Ihnen darüber schreiben kann – wäre darüber zu sagen,
und ich hoffe, es wird auch im Herbst, – peripathetisch, unter den Bäumen unseres
Gartens in
Rodaun – gesagt werden. Wegen des »espressivo« aber: »
Léonard est un expressif« sagt
Seailles von ihm; ich habe das schöne
Buch – das Sie ja auch kennen, mit.
Mit Ihnen – leider zu sehr mit Ihnen – bin ich bei Allem was Sie auf den letzten zwei
Seiten (des Bürstenabzuges) sagen. Leider – weil ich nur zu sehr empfinde, wie leicht
solche Dinge, gerade mir, Beruhigung geben, wenn ich an meine Trägheit denke.
»
Düngt Euch mit Aufregung, ja! Dann aber steht der Bauer und harrt bis die Erde will!« Das klingt meinen Ohren nur zu lieblich! Aber Bauer und Erde sind hier
eins, und wenn er zu lange harren muss, taugt am Ende die Erde nicht viel.
So ist es mir erlaubt, Ihnen, in einem versteckten Winkel meines Ichs zuzustimmen.
Aber laut muss ich mich, vor mir selbst, dagegen w
ehren – aus hygienischen Gründen – sonst könnte ich mich ja mit Ihrem Spruch »
beruhigt auf ein Faulbett legen«.
Das Citat: »L’ordinare é opra signorile, l’oprare è atto servile«, kannte ich nicht;
es ist wunderschön! »Servile« lass ich gelten, denn die Conception ist unser Herr. Aber »l’oprare« muss nicht »atto servile« bleiben – ich glaube es darf es gar nicht. Wer im »oprare« nicht
getrieben wird von der Sehnsucht nach dem verlornen Paradiese der ersten Conception
der taugt nicht viel. Und die Qual und Spannung, das Ringen – und »nicht lassen, denn
Du mich segnest« vermag auch im »oprare«, signorile Gefühle zu geben.
Da Sie nun einmal von diesen Dingen laut gesprochen haben, darf ich ja auch vielleicht
– ganz leise – Ihnen – sagen, dass in diesen vielen Jahren – wo ich für Andere – manchmal
auch für mich – der Faule war, ein wenig von dem Stolze gehalten wurde, dass mein Arbeiten nie blos »atto servile« gewesen ist. Immer habe ich versucht (was immer
ich von mir aussage – es gilt von meinen Intentionen, nicht vom Gelingen) im Arbeiten,
etwas von den verlorenen Schaudern der ersten Empfängnis wiederzufinden. Aber wenn
man auch diese nie wiederfindet – sie sind einzig und unwiederbringlich – wie Alles
– andere, nicht geringere Schauder werden uns geschenkt, wenn – nach allen Qualen
der Ohnmacht und der Selbstverachtung – endlich widerspenstige Massen zu glühen und
zu fliessen beginnen. Und auch diese Schauer sind »herrlich« – »signorile«.
Wie es
Leonardo beim »oprare« gegangen ist, erzählt
Bandello – ich finde die Stelle bei
Séailles. Er arbeitet an dem
Abendmal. Und manchen Tag erscheint er ganz früh am Morgen, läuft das Gerüst hinauf, isst
nichts, und bleibt – bis er herunter muss weil es Nacht ist. Ein andermal rührt er
3–4 Tage nicht an sein Werk. Er kommt nur und bleibt ein bis zwei Stunden mit gekreuzten
Armen vor seiner Arbeit stehen. Und einmal sieht man ihn – in den Hundstagen um Mittag,
von der Citadelle (wo er an seinem Pferd arbeitet) durch die leeren Strassen der Stadt
laufen – quer durch – den nächsten Weg, nicht den schattigsten. Er springt aufs Gerüst,
setzt ein paar Pinselstriche hin – ein oder zwei – sagt der Bericht, und lauft wieder
nach Hause. Hier haben Sie es: Die guten gesegneten Tage, wo erst die Nacht uns –
wie seelig verspielte Kinder – wider unsern Willen zur Ruhe bringt; die bösen Tage,
wo uns widert an unser Werk zu rühren – aber davorstehen müssen wir, und hinstarren,
und mit erbarmungslosen Augen unsere Schwäche erkennen, und den Abgrund der zwischen
den Wesen klafft, die wir einmal, wundervoll bewegt in Licht und Luft mit geschlossnen
Augen sahen – und jenem Roth und Blau und Grün das wir auf den Malter hinstrichen. Und endlich
jene dritten Tage: Wir waren mit
Gleichgiltigem beschäftigt, dachten nicht an das Werk – oder glaubten – besser gesagt
– nicht daran zu denken (als könnten wir das). Aber plötzlich fühlten wir den Funken
in uns fallen und geschüttelt vor Angst, er könnte erlöschen ehe er gezündet, stürmen
wir hin.
Sie sehen, lieber Hermann, Sie haben von Sich in diesem »
Marsyas« gesprochen, und ich habe von mir darin gelesen. Wie grosse Egoisten, vermögen wir Künstler nichts Anderes, als von uns zu reden. Aber was uns von Jenen scheidet,
ist, dass ein Gott unsern Zungen den Zauber gegeben hat: Wie viel wir auch von
uns reden, andere hören nur von
sich darinnen.
So hab ich mir aus Ihrem »
Marsyas« ein wenig Muth für mich herausgelesen. Ich kann ihn gut brauchen; denn für mich
sind jetzt Tage wo ich mit verschränkten Armen und bösen Augen vor der bemalten Wand
stehe.
Vielen Dank also für den »
Marsyas«. Schreiben Sie bald;
Mirjam kennt Ihre Schrift schon, und ruft es mir zu meinem Fenster hinauf, wenn die Post
kommt, und ein Brief von Ihnen darunter ist.
Ich grüsse Sie von Herzen
Richard