Meine geliebte Mizi, ich hab Dir natürlich gestern Abend geschrieben, wie alle Tage, dass dieser Brief
aber nicht an Dich abgeschickt worden ist, das liegt daran – doch Du wirst es im Verlaufe
der nun folgenden Chronik sehen, welche anhebt, nachdem ich Dich hunderttausend Mal
geküsst habe. Noch eines vorher: Du bist nicht ganz zufrieden mit meinen Briefen -
ich bin es auch mit Deinen nicht aber wir haben beide Unrecht, Mizi. Sollten wirklich ein paar geschriebene Worte u seien sie noch so superlativisch,
für einen Ersatz der Nähe und der gefühlten Zärtlichkeit gelten können? Das Misverhältnis wird allzu deutlich – je heißer man sich sehnt, um
so deutlicher. Darf ich hoffen, dass Du also aus denselben Gründen unzufrieden bist
wie ich?–
Also die Chronik. Gestern
Fischer,
Erich Schmidt (nicht getroffen); Mittag gespeist mit
Kerr,
Hirschfeld,
Jarno – Nachmittg bei
Entsch und
Frau, dort
Nathanson (Übersetzer des verunglückten
Amoriggiamenti). Abends, da ich zu meinem
Stück das zum 3. Mal war, keine Lust hatte, ins
Thaliatheater, wo ich 2 Akte
Gebildete Menschen mitmachte
Bei
Wedel (schlechtes
Wiener Rest.) allein genachtm; ins
Lindencafé ein paar Zeitungen gelesen – nach Hause – ausgekleidet – plötzlich fehlt meine Brieftasche Ich durchsuche Zimmer
u Bett – vergeblich. Angekleidet, zu
Wedel, ins
Lindencafé nichts. Nach Hause. Suche, suche, reiße das Bett auseinander – nichts. 170fl und
eine Menge Notizen hin.– Ich setze mich an den Tisch und schreibe Dir einen Brief
zwar in großer Liebe, aber doch recht übellaunig. Dann lege ich mich nieder; lese, fahre mit der Hand zwischen Matratze u Bettgestell – plötzlich
fühle ich die Brieftasche,– an einer Stelle, wo ich schon hundert Mal gesucht hatte.
Ich war sehr froh und beschloss sofort, den übellaunigen Brief nicht abzusenden.–
Heute früh bei
Entsch (mit einem Auftrag von
Ebermann), dann bei
Sudermann etwa 1 Stunde; über
Freiwild, über
Morituri; Discussion über den »Milchbart« der mir nicht gefiel (in
Teja) worin mir Frau
Sudermann lebhaft beistimmte. (Er fragte mich direct nach dem Eindruck dieser Stelle.) Die getheilte
Aufnahme in
Wien hat ihn etwas verstimmt. In persönlichem Verkehr ist er sehr, wohl etwas allzu liebenswürdig.–
Dann bei
Fulda, der herrlich wohnt; in wenigen Tagen kommt er samt
Frau nach
Wien, da sein
Stück die nächste Première an der
Burg ist.– Bei
Bie Mittag; dort
Kerr; Klavier. Jetzt zu Haus, wo ich u. a. häuslichem einen beinahe zärtlichen Brief von
Bahr vorfand.
– Da dies, mein geliebter Engel der letzte
Berliner Brief ist, sag ich Dir gleich, was ich noch
vorhabe: Heute Abend
Theater des Westens, dann
Jonas; morgen Mittag
Schlenther, Abend mein
Stück. Zwischenzeiten zu Correcturen.
Ich küsse Deine geliebten Augen tausendmal! Dein
Arthur