Olga an Arthur Schnitzler, 16. 9. 1919

Salzburg, Dienstag, 16. Sept. 19., nach Tisch.
Mein Liebes, ich bin ein bissel müde, hab vor Tisch im Mozarteum gut gearbeitet,– Frl. Zotos war wieder dabei,– aber ich muss Dir von dem gestrigen prachtvollen Nachmittag bei der Mildenburg erzälen.
Ich kam kurz nach 3 Uhr hin,– es waren ausser mir noch 3 Zuhörerinnen da,– und sie studierte schon mit einer Schülerin,– übrigens ein blondes, blühend schönes Geschöpf, aber seelisch vollkommen ahnungslos in ihrer fabelhaften unberührten Gesundheit,– den »Fidelio.« Mein Liebes, mir fehlen die Worte,– oder ich müsste Dir stundenlang erzälen, wie herrlich diese grosse Frau ist. Es war im Nu 5 Uhr,– so verging die Zeit,– und mir kamen stellenweise die Thränen vor Ergriffenheit, so ist das innerlichst wahr, echt, menschlich rührend und einfach,– was sie zeigt. Für mich eines der stärksten künstlerischen Erlebnisse,– ich war und bin ganz beglückt, dass es so ein Wesen gibt,– übrigens ist sie derart malerisch in jeder Bewegung, dass ich den Harta auf sie hetzen werde.–
Sie bat mich dann noch dazubleiben, zeigte mir ihre unglaublich schönen grossen Zimmer, und wir tranken Thee auf einer grossen Terasse neben einer Volière mit vielen kleinen Vögelchen,– auch Frl. Kowo, ihre Begleiterin, Freundin von Specht und Robert-Schülerin, war dabei, leider sehr hässlich, eingebildet, mit beesen Augen,– nicht mein Fall. Aber die Mildenburg! Arthur, ich habe mich absolut in sie verliebt. Wie sie, was sie spricht,– über die Lehmann, über Gesangsmethoden, über Menschlichkeiten,– über ihre Verletzlichkeit,– weil sie alle Menschen sehr ernst nimmt, über die Heiterkeit und Unberührbarkeit ihres Mannes,– ich kann Dir nicht sagen, wie unglaublich sie mir gefällt. So gescheit, humorvoll, grosszügig,– und dabei im innersten mädchenhaft ist diese tragische Muse. Sie behielt mich bis 7 Uhr dort,– morgen soll ich wiederkommen, erst Curs anhören, und ihr nachher Vorsingen, nächstens singt sie mir auch Wolf und Schubert vor. Ich freu mich schon sehr auf morgen! Sie hat mir auch ihre Wohnung zur Verfügung gestellt, ich kann jeden Vormittag dort üben,– aber ich übe lieber im Mozarteum, das ja so nah liegt.
– Zu Mittag kam Prechner an meinen Tisch und erzälte mir von Euch,– die Stunden bei dir seien ihm die besten in Wien gewesen.
Gestern Abend mit Harta’s Schwiegermutter, Frau Hermann, und Paumgartner in der Halle, – Frau H. die den ganzen Winter hier bleibt und ihr Hietzinger Haus vermietet,– sagte mir scherzweise, sie werde dir einen Brief schreiben und dir dasselbe raten, du passt viel besser her wie nach Wien. – (Sie ist die Schwester der Frau Jellinek aus der Cottage.)
Bitte schreib mir, ob man zugleich mit den Fowlerschen Tropfen Obst essen darf, – ich hab mir heit so herrliche Meraner Trauben gekauft, – und ob man die Tropfen während d. Grafen nehmen darf, sonst nehm ich sie so, dass sie um diese Zeit 6. Oct., schon ganz im Abnehmen sind.
Von der Wucki, nach fast 4 Wochen, kein Wort. Lieber, wenn ich bedenke, dass sie es nur mir verdankt, dass sie noch im Hause ist, – und dass sie gesehen hat, wie schwer und traurig ich diesmal fortgefahren bin, – so muss ich mir sagen, dass sie schliesslich genau so viel wert ist wie die meisten anderen bezalten Leute. Ich bin wirklich böse auf sie.
Gegen 5 holt mich Frl. Z. und wir fahren nach Hellbrunn. Es ist heut sehr heiss, fast wär’ mir ein Regentag willkommen.
Leb wol, halt mir Daumen,– ich muss immer so gut als möglich singen, denek freundlich an mich.
Viele Küsse an mein Haserl, an Heini schreib ich. Innigst dein
O.