Olga an Arthur Schnitzler, 13. 2. 1922

Montag Vorm, 13. Februar 22.
Lieber, Du fragst mich, wie ich meinen Tag verbringe,– nun, ich will Dir den gestrigen Sonntag schildern, und mit wenigen Variationen ist es immer das gleiche.
Um 8 gefrühstücjt, bis 9 im Bett gelesen (das Juni-Heft der Rundschau, das mir eine Dame geliehen hatte,– darin eine hübsche Novelle von Bruno Frank, mit dem die Dame eben verlobt war aber nicht mehr ist, dann ein sympathischer Aufsatz von Dauthendey über Java, wo es viele Kartones zu geben scheint, – und endlich ein kleiner Essay von Werfel über das Theater, sehr seinen Ansichten entsprechend, sehr frisch, klug und voll Phantasie und Unmittelbarkeit,– Werfel ist ein prachtvoller Kerl, ich hab sehr, sehr gern,) dann aufgestanden, genäht, – Strümpfe gewaschen, sorgfältig Toilette gemacht, mein altes immer noch schönes graues Flöge-Kostüm, neuer grauer Hut, weisse Bluse, und zum Essen,– während des Essens, wie immer gelesen, weil mich die dummen Gesichter langweilen.
Menu: gefüllter Kohl, Entrecôte mit Pommes frites u. Gurken, Palatschinken.
Um 3 spazieren, ganz allein im strahlendsten Sonnenschein!, so dass ich mit offener Jacke ging, nach Maria Plain hinauf, auf dem ganzen Weg viele Rodelkinder, Sonntagspaziergänger, unbeschreiblich herrliche Luft, Wärme, Schnee und die schöne, schöne Landschaft. Der Himmel hellblauseiden.
Oben auf einer Bank im Sonnenschein gesessen, einen Augenblick in der Kirche, einige von den dummen Attesten für die Muttergottes gelesen, und dann doch gleich lieber hinaus, wo der liebe Gott für sich selbst seufzt. Sehr an den Tag vor zwei Jahren gedacht, wo ich mit Dir da oben die vierblättrigen Kleeblätter gefunden habe,– ich wünschte Dich sehr herbei und wäre gern mit Dir, Deine Hand haltend, den schönen Weg zurück gegangen,– es hätte Dir vielleicht auch gut getan.
Aber so bin ich eben allein hinunter,– stillvergnügt, und hab mich auf den Frühling gefreut, bis alle die Obstbäume, an denen ich vorbeiging, in Blüte stehen werden. Die Sonne ging gegen 5 unter, und bald darauf war ich zuhause, mit Frau St. und ihrer Freundin Frau Korff Thee getrunken (oben in ihren Zimmern,) dann bald zu mir herüber, gelesen, geruht, früh heroben allein genachtmalt, bald ins Bett. –
Aber vorgestern war Ball! und sehr auf Zureden der beiden Damen hab ich mir’s einmal angesehen,– aber nächstens bleib ich wieder weg. Erstaunlich die alten Herren und Damen, die mit grösstem sachlichen Ernst Foxtrott tanzen, einige sehr erheiternde Gestalten, 2 ganz unwahrscheinliche.
Ich sass die ganze Zeit in einer Ecke, prächtig angetan, mein schwarzes Jettkleid und der Fortuny-Mantel, liess mir Niemanden vorstellen, es sind fast lauter Engländer und sammelte Cotillon-Orden für mein Lilikind und ging dann, hochbefriedigt gegen 12 schlafen. Nein, für diese Art von Heiterkeit bin ich leider verloren.
Heut hab ich Einiges in der Stadt zu besorgen, das tu ich auch wieder, nach dem Lunch. Freitag Nachm. war bei Frau St. grosse Nähstube, dann haben wir zu Dritt oben genachtmalt und nachher Poker gespielt. Ist dieses Leben orgiastisch?! nein, aber beruhigend, und viel inhaltsvoller (freilich, es kommt auf der Dame an,) als manche äusserlich bewegte Zeiten, wo dann das Liserl sagte: Ich kommt alle so heiss gelaufen zu mir.
Für immer möcht ich nicht so leben. Aber die bis zur Lethargie gehende Ermüdung in mir, eine natürliche Folge allzu schwerer Ereignisse, muss ausschwingen,– und sie geht ihrem Ende entgegen, das fühl ich deutlich, weil sich meine Arbeitslust wieder regt. Ich könnte mir, das Zimmer ist gross genug, ein Pianino hereinstellen, alle die englischen Kinder hier üben und »fischeln« auf ihren Zimmern. Auch ein guter Begleiter liesse sich finden, ich denke an Ledwinka, den Begleiter der Mildenburg. Aber ich weiss nicht, ob’s mir bis dahin reicht,– ich wage vorläufig nicht, irgend etwas zu unternehmen.
Körperlich fühl ich mich nicht sonderlich, es ist immer die gleiche Ursache, ich spür’s auch beim Gehen, eine gewisse Schwere im Kreuz, irgend etwas in mir, das ich weghaben möchte, wie einen kranken Zahn,– und anders. Aber ich möchte vorläufig davon absehen . . .
Von der Bella hab ich einen sehr warmen, sehr aufgeschlossenen, sehr nahen Brief, der mir beweist, das sie mir genau so gegenübersteht, wie ich ihr. Sie möchte mich gern sprechen, und mir geht’s auch so,– ich spiele schon längere Zeit mit dem Gedanken, zu ihr zu fahren, wenn die Kälte nachlässt,– und vor Allem, wenn ich’s leisten kann. Darüber will ich sie um Auskunft fragen. Berlin, Bella’s Nähe, eventuell Stunden bei Van Boos,– es hat manches Verlockende. – Ich will einmal sehen. Vorläufig hält mich hier mein köstlich geheiztes Zimmer fest, – aber sonst nichts.
Wen der Heinili nach Darmstadt fährt, kommt er nicht hier durch? und wann? bitte gleich um Auskunft.
Alle die Reigen-Geschichten hab ich gelesen. Die gewisse Notiz in der Presse war riesig »ich habe geschrieben nach rechts und nach links«-voll. Der alte Benedikt ist nicht totzukriegen,– und sein Geist schreibt allemal noch nach rechts, wi es am familienvollsten ist. Ein komisch verwestes Saublatt. Da lobe ich mir mein Wiener Journal, aus dem ich meine ganze Bildung beziehe, medicinische, historische, literarische, – das ist wenigstens eine aufrichtige Zeitung!, also ehrlich: das Letzte!
Die Grippe-Nachrichten aus Wien sind sehr beunruhigend, ich bitte Dich, geh nicht Abends aus, fahr nicht viel in der Electrischen.
Und bitte um häufige Nachrichten über Euch Alle, – der Heini soll auch lieber erst reisen, wenn’s weniger kalt ist, ich bin sicher, in 8–10 Tagen meldet sich der Frühling an.
Neuestens muss ich in der Bank sehr hohe Umsatzsteuern zahlen, bei tausend Mark sind’s dreissig. Die Herren raten mir,– da Du ja offenbar ebenso die Steuer zahlen musst, (von Berlin nach München) also zahlen wir überflüssiger Weise doppelt,) mir lieber gleich ein Mark-Conto zu erröffnen. Geht das ohne Schwierigkeit? Der Teufel hole alle Valuten-Geschichten,– man ist gezwungen, ein alter Börsenjud zu werden. –
Die Bank hier heisst: Carl Spängler & Co.
Mit dem Bahr hoff ich nächstens wieder spazieren zu gehen, die Baronin Thienen, Schwester von Franz Dubsky, bringt ihm eine Liebesbotschaft von mir, sie sieht ihn täglich.
Was Du über Gundolf sagst, ist mir, für Deinen eigenen jetzigen innern Zustand, ungeheuer bezeichnend und wertvoll, – aber davon abgesehen, hab ich vor Hochmut in dem Goethe-Buch derweil noch nichts bemerkt. George ist auch mir noch eine verschlossene Thür, hoffentlich tut sie sich mir eines Tages auf.
Leb wol, Lieber. Ich möchte, dass Du mir bald was von einer guten innern Stimmung schreibst,– dass Du arbeitest,– dass Du in einer richtige Harmonie gerätst. Heut Nacht hab ich so sonderbar von Dir geträumt, ich träum sehr oft von Dir.
Lass es Dir gefallen, dass ich Dich innigst umarme. Küss meine lieben Kinder tausendmal, ich schreib ihnen noch heut oder morgen.
O.