W. Fred an Hermann Bahr, 10. 2. 1904

10. 2. 04.

Lieber Freund,

vor allem müssen Sie wirklich nach diesem verwienerten Abbazia? Ich meine: ist irgend ein ärztlicher Rath massgebend? Oder könnten Sie diese Baeder vielleicht in einem schöneren, wirklich südlichen Ort, Capri, Amalfi, Sorrent auch haben? Dahin käme ich Ihnen bald nach. Ich könnte am 22. oder 23. hier weg und ich würde mich herzlich und ungemein freuen, mit Ihnen zu sein. Ich liesse dann Spanien noch einmal und gienge auch mit nach Sicilien. Alles natürlich, wenn Ihnen angenehm. Aber auch wenn Sie bei Abbazia bleiben wollen, komme ich zu Ihnen – aller Voraussicht nach – und wir können dann vielleicht zusammen weiter gehen – Constantinopel ist nichts für mich, zu teuer. Aber wohl auch nichts für Sie: zu unruhig, uncomfortabel etc.
Übrigens – ich habe gestern mit Schnitzler, der Sie herzlich grüssen lässt–, lange gesprochen. Er meinte, ob Sie Ornter gefragt hätten, wie er über Wechsel eines Sanatoriums, rsp. Aufenthalts gesprochen dächte, war aber im Ganzen eher geneigt, Ihr weggehen für gut zu halten. Ich freute mich aber sehr zu hören, dass Ihre schwarze Meinung über Ihren körperlichen Zustand nicht nötig ist. Hofmannsthal war, wie Sch. erzält und ich Ihnen wieder sagen darf, letzte Woche bei Orntner, der sagte, er hätte Ihnen mit Absicht Alles mit grossem Nachdruck gesagt, um Sie sicher zu bestimmen, auszuspannen, sich zu erholen, von Wien wegzugehen u. anders zu leben. Es sei aber lange nicht so ernst. Also, verzeihen Sie mir die aufgedrängte Weisheit: Machen Sie sich keine argen Gedanken und schauen Sie in die Sonne zu kommen. Ich denke nur, Abbazia wird Sie zu sehr mit aergerlichen Wienern zusammen führen. Mir wäre Italien, für Sie und mich lieber. Die Reise ist ja von Marbach wohl die gleiche. –
Die Sache mit Jennerl dachte ich mir so. An Frau M. zu schreiben, wird mir nicht möglich sein, so sehr ich Ihr Elend spüre. Sie selbst und später noch wer haben mir gesagt, wie sie über meine Gefühle zu ihr – am Anfang – gedacht hat. Schreibe ich jetzt, wo es sich um Scheidung handelt und sie ausserdem, wie Felix mir sagt, schwer hysterisch, von einem M’er Professor hypnotisch behandelt wird, so kann keiner wissen, wie sich in ihr diese Freundschaft wieder spiegelt. Ich kann auch bei Ihrer Gereiztheit gegen mich und uns alle, von der Felix mir wieder sagte, nichts riskieren. Brauche selbst für meine Galle Schonzeit. Denn auch mit mir stehts nicht schön.
Nach Ernst Hardt’s Adresse werde ich fragen und Ihnen nächster Tage Nachricht geben. Heute ist Bonaparte’s Ehrentag.
Schreiben Sie bald Ihrem
herzlich grüssenden treuen
WFred
Wenn Sie sich zu Italien dann eher entschlössen, wenn ich gleich mit käme, Sie also abholte, dann würde ichs gerne tun.