In seinem neuen Stücke lässt uns Schnitzler zwei
Wiener Studenten von der Art der jungen Leute aus guten Familien sehen. Sie sind, was
man »recht sympathisch« nennt; dummer Streiche, die man doch ihren Jahren verzeihen
würde, gewiss nicht fähig, von angenehmen und empfehlenden Manieren, überaus correcte
Herren, denen es nicht einfällt, Glocken abzureißen, Laternen auszudrehen und Passanten
anzurempeln. Auch hüten sie sich vor verwegenen und anstößigen Gesinnungen, haben
den besten Leumund, billigen Ausschreitungen nicht, versprechen vortreffliche Unterthanen
zu werden, und die Polizei möchte nur wünschen, dass alle so wären. Es braust in ihnen
nichts und das ist doch bei jungen Menschen ein großes Glück. Sie thun nichts, denken
nichts, wollen nichts, sondern lassen sich vom Leben treiben, ohne erst viel zu fragen,
wohin, wie man in der Menge mit der
Burgmusik geht, vom Takte geschoben, jetzt ein bischen schneller, jetzt langsamer, ohne was
zu merken, bis der Marsch plötzlich aus ist und man nun nicht weiß, was man mit den
Füßen anfangen soll, und sich verlassen und müde und so leer fühlt. Sich immer wieder
irgend eine
Burgmusik, die sie mitnimmt, zu verschaffen, ist ihre einzige Sorge. Sonst brauchen sie gar
nichts. Leidenschaften, Begierden, Triebe sind ihnen fremd. Zuweilen gehen sie in
die Vorlesung, wie man eben in die Vorlesung geht, oder sie sitzen im Café, wie man
eben im Café sitzt, lesen wohl auch Romane, weil man doch diese neueren Sachen kennen
muss, machen Besuche, weil man doch seine Bekannten besuchen muss, und handeln nie
aus sich, sondern immer nach der Sitte; es drängt sie nie, zu thun, was man nicht
thut. Sie sind ganz unpersönlich und könnten ohne Muster gar nicht sein. Sie existieren
nur als Exempel der Gattung. Sie sind jetzt Studenten, wie sie vor ein paar Jahren
Gymnasiasten waren und wie sie in ein paar Jahren Conceptspraktikanten und dann Gatten
und mit der Zeit hoffentlich Hofräthe und wohl auch Väter sein werden, und sie sind
nichts als Gymnasiasten oder Studenten oder Hofräthe, und wenn man den Gymnasiasten
oder den Praktikanten oder den Hofrath von ihnen abziehen würde, würde von ihnen nichts
übrig bleiben; es ist kein Wesen da. Sie können sich nicht einen Moment von dem, was
sie vorstellen, isolieren. Aus sich sind sie nichts; sie bestehen nur aus Beziehungen.
Sie selber lieben nicht, sie selber hassen nicht, sie selber freuen sich nicht, sie
selber leiden nicht, sie selber fühlen nichts, sondern sie nehmen alle Stimmungen
an, die gerade ihren Verhältnissen entsprechen. Sie haben keine Instincte, denen sie
sich anvertrauen könnten; so müssen sie sich, um nur überhaupt handeln zu können,
immer erst in Relationen bringen. Da sie sich selber nicht fühlen, trachten sie, sich
als etwas zu fühlen: als der »Student, der mit einer Grisette geht« oder als der »Liebhaber einer Schauspielerin« oder als der »unwiderstehliche Mann«; aus dem Gefühle dieser Typen holen sie erst
ihre Impulse. Jemand hat sie Fünfguldenlebemänner genannt, weil sie mit einem Taschengeld von fünf Gulden täglich das Ansehen von
Viveuren zu bestreiten wissen. Auch
Lebebuben hat man sie genannt, was das Unmännliche ihrer ganzen Art ausdrückt.
Schnitzler hat eine besondere Vorliebe, sie darzustellen; sie müssen ihm verdächtig nahe gehen:
er kommt von ihnen nicht los. Schon im »
Anatol« hat er nur sie geschildert, dann im »
Märchen« und nun schildert er sie mit den Mädchen, die zu ihnen gehören, wieder. Diese Mädchen
sind genau wie sie: unpersönlich, ohne Leidenschaft, passiv. Sie begehren nichts,
wehren sich nicht, lassen sich alles gefallen. Sie sagen nicht Ja und sagen nicht
Nein und warten geduldig ab, was ihnen bestimmt ist; dagegen kann man ja doch nichts
machen. Spricht sie wer an, so antworten sie gern; will er mehr, so geben sie nach;
verlässt er sie, so klagen sie auch nicht. Wer weiß, wozu es gut ist! Manche hat so
schon ihr Glück gemacht, andere gehen freilich zu Grunde; es triffts halt nicht jede
gleich. Man muss sich bescheiden, wie’s eben kommt. Keine denkt je daran, etwas für
sich vom Leben anzusprechen, das ihr allein und nur ihr und nicht der ganzen Kategorie
zukommen würde. Diese Mizzis und Christins fühlen sich nie als die Mizzi oder die
Christin, sondern nur so im ganzen als
arme Mädchen, gerade wie jene jungen Leute, Herr Fritz Lobheimer und Herr Theodor Kaiser, sich
nie als der Fritz oder der Theodor, sondern immer nur als Studenten, Praktikanten
oder Lebemänner fühlen. Und so fragen sie nicht, was kommen wird, geben sich der süßen
Stunde innig hin und werden jene lieben, so bequemen, niemals raunzenden Geschöpfe,
die, wie der Theodor sagt, »
zum Erholen da sind«, immer lachen, auch wenn man gar keinen Witz macht, und nie sich kränken, zu denen
man »
du Patsch« sagen darf und mit denen man nicht von der »
Ewigkeit« sprechen muss.
Unter das leichtsinnige Personal dieses recht österreichischen Kreises lässt
Schnitzler plötzlich das ernste Schicksal treten und da zeigt es sich denn, dass ihre beinahe
türkische Ergebenheit und Demuth ihnen gar nichts nützt und, wenn sich die Menschen auch noch
so klein und bescheiden machen, das Leben doch groß und furchtbar bleibt. Der Fritz,
der daneben auch mit einer Frau eine »Bandelei« hat, wird von dem Gatten im Duell
erschossen und nun thut sich die ganze Verlogenheit dieser so gemüthlichen Existenzen
auf: die Liebelei endet, als ob sie eine Leidenschaft wäre, und das Mädchen, die Christin,
muss erfahren, wie wenig sie ihm gewesen; indem er an einer Lüge stirbt, wird sie
inne, dass sie von einer Lüge gelebt hat. Sie war doch gar nichts für sich, sondern
nur für ihn da: selber gar kein Wesen, sondern nur seine Geliebte, nichts als seine
Geliebte; und nun wird es offenbar, dass sie auch das nicht war, nicht einmal das.
Sie hat nur von einer Beziehung gelebt und auch diese bildete sie sich nur ein. Und
so ist ihr ganzes Leben dahin! »Er ist für eine andere gestorben! für eine Frau, die
er geliebt hat – ihr Mann hat ihn umgebracht! Und ich – was bin ich denn? Was war
denn ich? Was bin denn ich ihm gewesen?« Diese Klage hat einen so innigen und echten
Ton, dass man merkt, sie kommt dem Autor vom Herzen; das sehr
wienerische Elend, an dem Leben so daneben vorbeizuleben, hat er, das vernimmt man, wohl an sich
selbst gespürt.
Das Stück sagt also: »Seid selber etwas! Seid so viel, dass, wenn man euch auch das
Amt, die Liebe, alle Beziehungen nimmt, in euch selber immer noch genug bleibt! Lebt,
statt euch bloß leben zu lassen!« Das wird von ihm sehr wahr und gerecht, auch mit
einer freilich mehr feuilletonistischen als dramatischen Anmuth und nicht ohne einen gewissen Geist
gelehrt. Die Führung der Scenen ist oft geschickt, glückliches Detail ergötzt, hübsche
Worte fehlen nicht, es ist eine saubere, anständige und brave Arbeit, und so wäre man nicht abgeneigt, von
Schnitzler zu sagen, was
Laube einmal über
Bauernfeld schrieb: »
Jedenfalls ist es für die Theaterdirection ein Glück, wenn in ihrer Stadt ein producierendes
Talent sich entwickelt, welches in gebildeter Weise und außerhalb der alltäglichen
Routine die neuen Lebenselemente der Stadt dramatisiert.« Nur darf man nicht verschweigen, dass er vorderhand noch nicht soweit ist. Er weiß
die neuen Elemente unserer Stadt zu fühlen, auch zu schildern; »dramatisieren« kann
er sie noch nicht. Man dramatisiert Zustände, indem man Menschen in sie bringt, die sich ihnen widersetzen;
dort, wo sich die Menschen mit den Dingen entzweien, fängt das Drama erst an. Aber
seine Menschen, die nichts wollen, sitzen unbeweglich in ihren Zuständen drin, wie
Chamäleons, die immer die Farbe ihrer Umgebung haben; so kann man sie nicht sehen, sie bleiben grau, traurige, aber nicht tragische Personen,
und er scheint nicht zu wissen, dass der Mensch erst, wenn er sich aus seinem Boden
löst, von den anderen abhebt und seine eigene Farbe annimmt, dass er im Streite und
durch die That erst dramatisch wird. Das hat er noch zu lernen.
Das
Schauspiel war schlecht insceniert; das
wienerische Wort ist hier am Platze: schlampert. Die Schauspieler standen immer im Rudel um den
Souffleur, ohne je zu einer natürlichen Gruppe, zu einem ruhigen Bilde zu kommen.
Die angenehme Laune des ersten Actes wurde durch eine forcierte und ungemüthliche
Lustigkeit mit Gepolter und
Tapage gestört. Dem lieben Stübchen der Christin im zweiten, das hier eher einer Manège
glich, fehlte jede Stimmung; ein »Kanari«, eine Nähmaschine, ein Spinett hätten dazu
genügt und wenn man schon selber keinen Gedanken hatte, brauchte man doch nur das
fünfte Bild vom »
Nazi«, wo dieselbe Situation sehr lieblich dargestellt wird,
nach dem
Wiedener Theater zu copieren. Eine stille Lampe schien heller, als je die Sonne scheint, und wie dann
der Mond kommen soll, wurden die Liebenden in einem lächerlich grasgrünen Lichte komisch.
Alle Stellungen, Bewegungen, Beleuchtungen waren falsch. Durch diese saloppe Regie
wurden auch die unbeschreibliche Größe, Gewalt und Pracht der
Sandrock und die köstlichen Gestalten der Herren
Zeska und
Kutschera beschädigt.
Vor der »
Liebelei« wurde, fein und intim insceniert, ein Act von
Giuseppe Giacosa gespielt, »
Rechte der Seele«, deutsch von
Otto Eisenschitz, der letzte Act einer Tragödie zwischen Gatten, dem nur leider die nothwendigen Voraussetzungen
und Vorbereitungen fehlen: so stört allerhand Exposition, die bereits erledigt sein
müsste, da hier keine Zeit mehr ist, auch hat der Hörer Mühe, so geschwind von selber
in die Stimmung zu kommen, die von ihm verlangt wird, und daher mag an dem Stoffe
manches gekünstelt und erklügelt scheinen, das doch sehr wahr und lebendig ist. Herr
Hartmann spielte eine heikle Rolle mit Verstand, Geschmack und einer behutsam lenkenden Routine.
Frau
Hohenfels gefiel den Leuten sehr, mir gar nicht: ganz subtile, verschämte und geheime Sachen
schrie sie mit Gewalt ins Parterre; aber da es wirkte, hatte sie ja recht.
Hermann Bahr.