Erklärung.
Die bereits vor mehreren Tagen verbreitet gewesene Nachricht, das Schauspiel »
Der Schleier der Beatrice« von
Arthur Schnitzler sei vom
Burgtheater abgelehnt worden, hat mit Rücksicht darauf, das dieses Werk bereits durch längere
Zeit für angenommen galt, zu verschiedenen befremdlichen Vermuthungen Anlaß gegeben.
In Folge weiterer, einander widersprechender Mittheilungen fanden wir uns bestimmt,
uns mit diesem Falle näher zu beschäftigen. Wir sehen uns nun genöthigt, zur
principiellen Wahrnehmung der
Autorrechte in der vorliegenden Angelegenheit das Wort zu ergreifen und den Sachverhalt darzulegen.
Zu Anfang des December 1899 hat Herr
Arthur Schnitzler sein eben vollendetes Werk noch in Manuscriptform dem
Burgtheater eingereicht. Der
Director des
Burgtheaters, Herr Dr.
Paul Schlenther, hat nach der ersten Lectüre des Stückes keine Bedenken gegen dessen Aufführbarkeit
erhoben, vielmehr eine vorläufige Rollenbesetzung eigenhändig in das Manuscript eingetragen
und einige ihm nöthig erscheinende Striche angebracht.
Bei einer bald darauf erfolgten Begegnung dankte Herr Director
Schlenther dem Verfasser mündlich für die Uebersendung des Stückes, besprach einige Besetzungsfragen,
doch nahm er auch in dieser rein privaten Unterredung keinen Anlaß, ein Bedenken gegen
die Aufführbarkeit des Stückes am
Burgtheater zu äußern.
Hierauf erfolgte die Uebergabe der gedruckten Exemplare, und beiläufig sechs Wochen
später empfing Herr
Arthur Schnitzler unter dem Datum des 13. Februar 1900 nachstehenden Bescheid von der Hand des Herrn
Dr.
Schlenther:
»Lieber Dr. Schnitzler! Anbei das Resultat meiner ersten, flüchtigen Durcharbeitung. Nicht alle meine Strichs
sind mir selbst schon zweifelsohne. Am strittigsten wohl die Weglassung des Andrea.
Freundschaftlich warnen möchte ich Sie vor dem Deutschen Theater, das bei seinem jetzigen Personal, ohne Kainz und Sorma, der Riesenaufgabe nicht gewachsen ist. Uebrigens würde ich die Erstaufführung am
Burgtheater zur Vorbedingung der Annahme machen. Ich glaube, nur das Burgtheater kann dieses Stück spielen. In Berlin allenfalls die Hofbühne. Filippo Christians, Herzog Matkowski, Beatrice Poppe. Unsere relativ beste Beatrice wäre doch wohl Fräulein Witt. Mit herzlichem Gruß &c. &c.«
In Erwiderung darauf ertheilte Herr
Arthur Schnitzler wenige Tage später dem
Burgtheater, nebst seinem principiellen Einverständniß zu Strichen und Aenderungen, das gewünschte
Recht der Erstaufführung und erbat, wie sich das in solchen Fällen von selbst versteht,
einen Aufführungstermin, vor Allem aber, behufs Erledigung der zur Darstellung des
Werkes nöthigen Besetzungs- und Aenderungsfragen, eine baldige Untereredung mit dem
Director.
Vier Monate lang ist Herr
Arthur Schnitzler auf dieses in der Zwischenzeit erneuerte Ansuchen ohne Antwort geblieben, mit Ausnahme
einer einzigen, erst Anfangs Juni eingelangten Karte, in welcher der
Director mittheilt, er werde sich »dieser Tage zum dritten Mal an das Studium des Stückes
machen«, und den Autor ersucht, »seine hart auf die Probe gestellte Geduld noch einige
Tage laufen zu lassen«.
Erst am 18. Juni erhielt Herr
Arthur Schnitzler ein Schreiben des
Directors, worin dieser nunmehr Bedenken gegen die Erfolgmöglichkeit des Stückes erhebt und
nach ausführlicher Darlegung derselben dem Verfasser proponirt: »Warten bis zum Frühjahr!
Sehen, wie dann die Constellation am
Burgtheater ist.«
Das vier Monate innegehabte Recht der ersten Aufführung wurde in diesem Schreiben
zurückgelegt mit dem Beisatze: »Ich müßte es mir selbstverständlich gefallen lassen,
daß eventuell
Berlin oder
München vorangehen.«
Diese für das Schicksal des Stückes so wichtigen Eröffnungen entzogen sich eben durch
den Umstand, daß sie erst knapp vor Eintritt der Ferien an den Verfasser gelangten,
einer sachgemäßen Entgegnung, weshalb Herr
Arthur Schnitzler erst zu Beginn des neuen, gegenwärtigen Spieljahres an die Direction des
Burgtheaters einen Brief richtete, in welchem er im Zusammenhalte der beiden ihm vermittelten
Bescheide vom 13. Februar und vom 17. Juni die Anfrage stellte, ob sein Stück innerhalb der jetzt laufenden Saison, also über
den proponirten Zeitpunkt der zu erwartenden »Constellation« hinaus, angenommen sei
oder nicht.
Auf dieses Schreiben vom 1. September erfolgte die ablehnende Antwort am 2. September d. J.
Es ist
nicht unsere Absicht, für das Drama »
Der Schleier der Beatrice«
von Arthur Schnitzler Partei zu ergreifen. Wir stellen die Qualitäten dieses Werkes in dem vorliegenden Falle gänzlich außer
Discussion und lassen ebenso die allenfalls naheliegende Frage unerörtert, ob ein
Stück von
Arthur Schnitzler nicht auch dann einen gewissen Anspruch darauf hat, der Oeffentlichkeit und der Kritik
im Verlaufe zweier Jahre vorgeführt zu werden, wenn es (
error possibilis) der Meinung des
Directors zufolge zweifelhafte Erfolgaussichten besitzt. Wir versagen uns gleichfalls, darauf
hinzuweisen, daß keineswegs alle am
Burgtheater in der letzten Zeit gespielten Stücke jene Hoffnungen erfüllten, die den Director
zu ihrer Aufführung bestimmten.
Wir erheben hier demnach weder auf die bisherige Beziehung des Verfassers zum
Burgtheater gestützte, noch mit den künstlerischen Eigenschaften des abgelehnten Werkes motivirte
Einsprache gegen die Zurückweisung des »
Schleiers der Beatrice«.
Denn wir sind weit davon entfernt, dem Director des Burgtheaters das Recht, Stücke anzunehmen oder abzulehnen, das er kraft seiner persönlichen Verantwortlichkeit
zweifellos und unantastbar besitzt, irgendwie schmälern zu wollen.
Allein jeder Schriftsteller, wie viel oder wie wenig er nur immer bedeute, hat den
ebenso zweifellosen und unantastbaren Anspruch darauf, daß dieses Recht gegen ihn und seine Werke, seien sie
nun gut oder mißlungen, in einer Weise gehandhabt werde, die jede Willkür, jede Schädigung
und nachtheilige Unklarheit ausschließt.
In dem Falle, der uns beschäftigt, hat der
Director des
Burgtheaters unserer Meinung nach durch sein Verfahren dem Autor in einer unstatthaften Weise
begegnet, und gegen dieses Verfahren sehen wir uns umso dringender genöthigt, Protest
einzulegen,
als nach den heute am Burgtheater geltenden amtlichen Bestimmungen die dramatischen Schriftsteller jeder wie immer
gearteten directorialen Entscheidung wehrlos gegenüberstehen.
Das Unstatthafte dieses Verfahrens besteht zunächst darin, daß Herr Director
Schlenther durch seine Zuschrift vom 13. Februar Herrn
Arthur Schnitzler in den festen Glauben versetzte, der Annahme seines Stückes stünden keine sachlichen
Gründe mehr im Wege. Das Unstatthafte dieses Verfahrens besteht weiters darin, daß
der
Director des
Burgtheaters trotz seines hier angeführten Schreibens vom 13. Februar den Autor vier Monate lang ohne jede Antwort gelassen und es vermieden hat, eine
wiederholt angesuchte, die schwebende Angelegenheit betreffende Unterredung herbeizuführen.
Das Unstatthafte dieses Verfahrens besteht ferner darin, daß Herr Director Dr.
Schlenther den Autor erst am 16. Juni mit seinen so völlig veränderten Absichten überraschte, und endlich spricht sich
das Unstatthafte dieses Verfahrens darin aus, daß Herr Director Dr.
Schlenther auf die Anfrage des Autors vom 1. d. nicht nur den von ihm selbst als möglich bezeichneten Termin, Frühjahr 1901, fallen
ließ, sondern auch für die ganze ihm vom Autor freigestellte Saison einen Termin verweigerte
und schließlich das Stück mit dieser einzigen Begründung abwies.
Mit Rücksicht darauf, daß der
Director des
Burgtheaters in seinem Brief vom 13. Februar d. J. das Erstaufführungsrecht für den »
Schleier der Beatrice« verlangte und spontan erklärte, nur das
Burgtheater könne dieses Stück spielen; mit Rücksicht darauf, daß sich aus diesen und den übrigen
in der erwähnten Zuschrift enthaltenen Mittheilungen ergibt, der
Director des
Burgtheaters habe sich bereits am 13. Februar über das ihm vorliegende Werk vollständig orientirt
und beschlußfähig gezeigt; mit fernerer Rücksicht darauf, daß keine Veranlassung besteht,
die Worte eines auf so verantwortungsvollem Posten befindlichen Theaterleiters in
einem so wesentlichen Fall als nicht seriös anzusehen, ist ein sachlicher Zusammenhang
zwischen seinen Verlautbarungen vom 13. Februar und 17. Juni nicht auffindbar. Dieser
sachliche Zusammenhang wäre auch mit der etwaigen Erklärung nicht gegeben, es hätten
sich Bedenken gegen das Stück erst nach dem 13. Februar geregt, weil es in der hier
citirten, Anfangs Juni eingelangten Karte ausgesprochen erscheint, daß sich Herr Director
Dr.
Schlenther erst um diesen Zeitpunkt wieder mit dem »
Schleier der Beatrice« beschäftigt habe.
Darauf deutet auch der Umstand hin, daß Herr Director Dr.
Schlenther in der ganzen Zeit vom 13. Februar bis zum 17. Juni nicht das Bedürfniß fühlte, sich
über das eingereichte Stück nochmals zu äußern, zu welcher Aeußerung er, falls ihm
Bedenken in dieser Zwischenzeit aufgestiegen wären, aus naheliegender Rücksicht gegen
den Autor verpflichtet gewesen wäre.
Wir erheben Einsprache dagegen, daß es dem
Director des
Burgtheaters gestattet sein soll, sich in so auffallender Weise zu widersprechen und im September
ein Stück abzulehnen, dessen Erstaufführung er im Februar gewünscht hat. Denn es ist
klar, daß es einem Schriftsteller, der nur die nöthige Geduld aufbringt, gelingen
kann, im Wechsel der »Constellationen« binnen wenigen Jahren ebenso oft angenommen
als abgelehnt zu werden.
Wir erachten es, im Interesse der Autorität des Directors des
Burgtheaters, für geboten, daß sein in Ausübung des Amtes hinausgegebenes Wort einer gewissen
Verläßlichkeit nicht entbehre, und wir sahen uns genöthigt, in dem vorliegenden Fall
das Wort zu ergreifen, weil das Verfahren, das hier gegen einen bekannten Schriftsteller
geübt wurde, uns mit aufrichtiger Besorgniß für die Behandlung erfüllt, die heranwachsenden,
noch nicht beglaubigten Talenten am
Burgtheater zutheil werden mag.
J. J. David, Hermann Bahr, Julius Bauer, Dr. Robert Hirschfeld, Felix Salten, Ludwig Speidel.