Hermann Bahr: Tagebuch 10. Januar, 26. 1. 1930

10. Januar. Der Nobelpreis für Thomas Mann ehrt Deutschland und wir Oesterreicher freuen uns dieser Ehrung neidlos mit, aber insgeheim fragt sich unsereiner gelegentlich doch, ob denn in Schweden niemand bemerkt, daß es noch immer, wenn auch bloß in aller Stille, sozusagen verschämt, Oesterreicher gibt. Da Hofmannsthal uns vor der Zeit erlosch, wäre für den Nobelpreis jetzt Artur Schnitzler an der Reihe. Ihm selber kam sicherlich der Gedanke daran noch gar nicht, für sich zu werben oder auch nur sich zu melden ist ganz unösterreichisch, wir verzichten eher auf unser gutes Recht, um nur ja nicht eitel zu scheinen. Schweden aber meinen vielleicht, daß Oesterreich ja längst zu Deutschland gehört. Es gibt Deutsche, die derselben Meinung sind. Mein neuer Roman heißt »Oesterreich in Ewigkeit«, so sollte man meinen, daß allein dieser Titel schon meinen unerschütterlichen Glauben an Oesterreich offenbart, vielleicht sogar aufdringlicher, als guter Geschmack erlaubt. Man denke sich nun meine Verwunderung, wenn ich in allerhand durchaus nicht böswilligen, sondern eher unverdient anerkennenden Kritiken immer wieder lese, daß ich für einen »Anschluß« Oesterreichs an Bayern werbe und auf ihn hoffe! Das österreichische Innviertel ist bayrischen Stammes, ja dieser streckt sich über Salzburg und Oberösterreich noch fast bis in die Wachau vor. Wir Oberösterreicher sind Mostschädel, doch in der Wachau löst dann den Most allmählich der Wein ab und mit dem Trank wechselt auch die Rasse, sie fühlt sich hier leise vom Osten angehaucht. Schon der alte Metternich sagte, daß in der Taborstraße bereits der Balkan beginnt. Mein Roman spielt in einer österreichischen Kleinstadt, die sich noch wehrt, entwurzelt zu werden, doch die Morgenluft des fernen Ostens zuweilen in allen Gliedern spürt. Davor erschrickt die Fürstin meines Romans und dieser Schreck mag flüchtigen Lesern in alle Glieder fahren. Lesen ist eine Kunst, die heute selten geworden ist, man liest nicht mehr, man sticht bloß auf jeder Seite einen oder den anderen Satz heraus, spießt ihn auf und meint nun, nach diesen paar Brocken urteilen zu dürfen. Aber meine Romane sind hochmütig, sie wollen Wort für Wort nachdenklich gelesen sein, oder aber lieber gar nicht.