Vor wenigen Wochen wurde der
akademisch-dramatische Verein in
München aufgelöst, weil er einige Dialoge aus
Arthur Schnitzlers Dialogbuch »
Reigen« auf die Bühne gebracht hatte. Wir haben unsere Auffassung, daß die Aufführung dieser
Szenen auch in künstlerischer Hinsicht eine Geschmacklosigkeit bedeutete, niemals
verhehlt, tragen aber auch kein Bedenken, die Auflösung der immerhin verdienten literarischen
Vereinigung für nutzlose Härte zu erklären.
Inzwischen sind uns aus unserem Leserkreise so viele Anfragen über das
Buch Schnitzlers zugegangen, daß es geboten erscheint, einmal ein paar Worte über das merkwürdige
Werk zu sagen, damit die irrigen Ansichten, die darüber in Umlauf sind, richtig gestellt
werden. Wir geben zu diesem Zwecke einige Sätze aus einer Schrift wieder, die
Hermann Bahr der
Statthalterei in
Wien zugehen ließ, um die ihm bisher noch verweigerte Erlaubnis zu einer Vorlesung der
Schnitzlerschen Dialoge zu erhalten. Der Autor des »
Meister« schreibt:
»Es hat unserer Publizistik an dem Mute gefehlt, öffentlich für das
Werk Schnitzlers einzutreten. Gewiß, viele unserer Schriftsteller und Kritiker erkennen den literarischen
Wert der Dichtung
Schnitzlers voll an, aber in keinem Blatte ist ein Artikel für das Buch erschienen. So wurde
das Werk eines Dichters totgeschwiegen, ja schlimmer als das, dem Unverstande und
der Gehässigkeit preisgegeben. Durch die Vorlesung will ich den Folgen dieser Unterlassung
entgegentreten und will in den Hörern die Erkenntnis erwecken oder die Ueberzeugung
bekräftigen, daß es sich hier um ein literarisches Werk handelt, daß die Form des
Ganzen und die Idee, die ihm zu Grunde liegt, es zu einem Kunstwerke machen, daß die
heiklen Situationen, die in ihm vorkommen, nicht in den Dienst frivoler Spielerei,
sondern ernster Gedanken gestellt und nicht um ihrer selbst willen, sondern aus künstlerischen
Gründen mit künstlerischer Notwendigkeit behandelt sind.
Schnitzlers ›
Reigen‹ zeigt in satirischer Form die Konsequenz davon, daß unserer Anlage nach und noch
mehr unserer Gesellschaftsordnung nach das sexuelle Moment in den Mittelpunkt des
ganzen Lebens gestellt ist.
Schnitzler führt uns in Beispielen, die mit Absicht aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten
gewählt sind, vor, wie anders der ›Werbende‹, wie anders der ›Erhörte‹ sich benimmt.
Um diese Kontraste wirksam und überzeugend zu gestalten, hat sie der Dichter so nahe
wie möglich zusammengerückt. Wenn man also nach einer Tendenzen im vulgären Sinne
in der Dichtung suchen wollte, müßte man diese geradezu als sittlich bezeichnen, und
wenn die Dichtung etwa einen bestimmenden Einfluß auf den Leser oder Hörer üben sollte,
so könnte dieser Einfluß nie darin bestehen, daß sie das Mädchen zur
Hingebung verleitet, sondern nur darin, daß sie ihm die Notwendigkeit der Zurückhaltung nahe
legt, nicht darin, daß sie den Manne aneifert, den vorgeführten Beispielen zu
folgen, sondern nur darin, daß sie ihn bestimmt, zu
unterlassen, was ihm als abstoßend oder lächerlich vorgeführt wurde.«