Tagebuch von Arthur Schnitzler, 20. 9. 1918

20/9 Vorm. dictirt: Altes zum »Sohn«;– autobiogr. Details.–
Nm. zur Hofrätin; Bahr kam wie verabredet; die Hofr. ging ins auswärtige Amt. Ich blieb mit Bahr allein (bei vorzüglichem Milchcaffee) – er war sichtlich befangen;– ich von einer angenehmen Überlegenheit, da ich das zu erwartende Gespräch voraussehen konnte, ja – es inhaltlich der Hofrätin schon vor Bahrs Kommen geschildert hatte.– Nach Klagen über sein nun gehetztes Leben (»Wer hats dir geschafft?« fragte ich. Er, halb scherzend,–: Gott, durch Poldis Mund.) – begann er . . . »Sonderbar – unser erstes amtliches Gespräch . . . merkwürdiger Moment . . . Dein Stück gleich gelesen . . . ich hab kein Verhältnis dazu gefunden . . . diese Weiber – ja sie stehen da, aber ich kann nichts mit ihnen anfangen . . . Schon ähnlich ergings mir mit dem Weiten Land,– wo ich deine Kunst bewundert aber mich fragte. Ich könnts mit solchen Menschen – wie du sie schilderst, keine fünf Minuten aushalten.« Ich: Und hast es Stunden und Tage mit ihnen ausgehalten. Er: »Das ist allerdings wahr.« – »Nun hab ich das Stück dem Poldi gegeben – er sagte mir . . . Ja . . . Ihnen gefallen ja so unsittliche Stücke – ich bin nemlich für Rittner’s Unterwegs eingetreten,– das er nicht mochte . . . ;– u. s. w. u. s. w . . . endlich mußte ich ihm zugestehen, daß ich zu deinem Stück kein Verhältnis habe und es nicht aufführen möchte.« – Ich. »Und Poldi war erlöst . . . « Was Bahr lebhaft bestritt.– Ich: »Daß ich dies erwartete – hast du schon aus meinem Brief entnommen;– ich verstehe deinen Standpunkt vollkommen; . . . ich möchte nur meinen darlegen: ich liebe dieses Stück ganz besonders . . . u. s. w., habe auch wegen der Besetzung Bedenken gehabt etc . . . « Er: Ja . . . artistisch außerordentlich . . . Ich. Nicht nur artistisch – auch seelenhaft . . . »Was würdest du an meiner Stelle thun?« – Ich: Wenn mir als Direktor A. S. ein ausgezeichnetes Stück überreicht – natürlich aufführen!– aber, da ich Dramatiker bin, versetz ich mich völlig in dich, und verstehe, ja sah mit Sicherheit voraus, daß Ihr es nicht spielen werdet;– glaubte aber verpflichtet zu sein,– bei meiner Beziehung zum Burgtheater – und meiner alten Freundschaft zu dir und Poldi es euch wenigstens vorzulegen.– Er: »Du darfst nicht glauben, daß ich weil ich jetzt fromm bin, andre Ansichten über ›Sittlichkeit‹ – oder erotische Fragen überhaupt habe . . . etc.« – Ich: »Es bleibt doch bestehn, daß du das Stück nicht magst, und nicht spielst, weil es sich mit deiner ›Weltanschauung‹ nicht verträgt; denn du wirst ein Dutzend viel schlechtre spielen! . . . « – Dann er: Wie gegen außen . . . : Ich: »Wir bleiben bei der Wahrheit;– denn ich habe mich nicht zu schämen – daß ich das Stück dem B.th. vorgelegt habe – und Ihr natürlich nicht, daß Ihr es nicht spielen wollt.–« Er machte mich dann noch aufmerksam (auch das hatt ich vorausgesagt) daß man die Komoedie gegen mich ausnützen werde . . . etc. Ich: Ich stehe nun bald dreißig Jahre in der Oeffentlichkeit – man »nützt« alles gegen mich aus – Er versuchte dann noch die Figur des Casanova zu verkleinern;– Edthofer im V.th. würde sie »noch kleiner« machen – ich blieb unbeirrt; und ich möchte doch nicht in seiner Haut gesteckt haben – so freundschaftlich herzlich wir schieden. Wer ihm’s prophezeit hätte – vor 25 Jahren – daß seine erste Amtshandlung im B. Th. sein würde, des »Kampfgenossen aus Jugendjahren« Stück – zu refusiren – weil dem Cardinal die Aufführung peinlich sein könnte!– Als er fort war (wir sprachen noch über Aufführung Leb. Std. u. a.), war ich allein – nahm zufällig den Bernhardi aus der Hofrätin Schrank und las die Scene aus dem 2. Act – Bernhardi Flint . . . Bald kam O., die Hofrätin; denen ich berichtete. Sie waren doch etwas verwundert – daß ich fast wörtlich alles voraus gesagt.– Hr. Lieben kam – Politik.–
Aus dem Gespräch mit Bahr: Ich: »Und welches wäre denn die Weltanschauung in den Schwestern?– Die des Casanova? Oder des Andrea – die noch bis zum Schluss immer fast überlaut betont wird? Ich dachte eine Zeit lang sogar daran, Andrea ›Dies ist nicht meine Welt!‹ – fortgehen zu lassen . . . Auch steh ich nicht dafür, daß Andrea nicht während des Festes die Annina umbringt . . . Es ließe sich überhaupt ein sehr moralisches Nachspiel schreiben – das könntet Ihr immer, anschließend an das unmoralische Stück im Volkstheater, im Burgth. aufführen, und einen Autoverkehr arrangiren –«