Verehrter Herr Doktor, ich habe soeben Ihre neue
Novelle empfangen und keine eigene Arbeit ist mir so wichtig, um nicht sofort für so liebe
Lectüre unterbrochen zu werden. In einem Zug von Anfang bis zu Ende, hatte ich doch
nachher das Gefühl einer grossen Fülle, das einen immer überkommt, wenn man Existenzen
nicht an einem zufälligen Punkte ihres Schicksals anstreift sondern durchlebt bis
zu jenem innersten Kern, in dem die ganze Summe ihres Lebens in stärkstem Extract
eingepresst ist. Nichts ist darin eigentlich episodisch, sondern Alles so zum Notwendigen
herangedrängt, dass – wie in jedem vollendeten epischen Werk – es gar keine Hauptfigur
mehr gibt, sondern jeder von seiner Seite das Geschehen beherrscht und ihr Gegeneinanderspiel
zu einem harmonischen Kampf der Kräfte wird. Reute es mich im ersten und mittleren
Teile, das Geschehnis nicht dramatisch gestaltet zu sehen – ich habe das Empfinden,
als hätte sich der Stoff ihnen zuerst dramatisch dargestellt, so stark ist das plastische Entgegentreten der Figuren
– der Schluss überzeugte mich durch seine Harmonie, dass hier die Form zu wählen war,
die
Novelle das einzig mögliche, weil nur sie die erhabene Beschwichtigung so erregter Gefühle
duldet. Ich muss für Sie befürchten, dass Sie auf manche Gegnerschaft gerade diesmal
stossen werden, weil Sie in so grosser Wahrhaftigkeit dem primitiv Sexuellen entgegengetreten
sind, indess die meisten Menschen aus einer merkwürdigen innern Verlogenheit jede
ihrer rein sexuellen Empfindungen mit dem Begriff Liebe verbrämen und selbst im Kunstwerk
das reine nakte Blutgefühl nicht dulden wollen: sie verwandeln dann gern ein falsches Schamgefühl
in moralische oder ästhetische Abneigung, indess ich gerade jene Intensität des Körperlichen
in Verbindung mit der atmosphärischen Elektricität dieser (wundervoll hingemalten)
Sommertage als stärkste Wahrheit dieses Werkes empfinde. Der Schluss hat freilich
auch mich im ersten Lesen befremdet, doch bin ich meiner hier weniger sicher als Ihrer
und zweifle nicht, dass eine zweite und nun weniger von der Spannung nach vorwärts
gejagte Lectüre mir die Notwendigkeit fühlbarer machen wird. Das Motiv der Entladung
aufgestauter erotischer Kräfte, das die
Garlan und
Das weite Land schon so prachtvoll ausbildeten, ist hier zu wundervoller Vehemenz geworden und ich
freue mich, dass wir an Ihnen gerade in jenen Jahren, wo die Dichter sonst gemessen
und vorsichtig werden, ebenso wie im
Bernhardi eine männliche geradeausblickende Kühnheit so sehr bewundern dürfen. Für mich werden
Ihre Werke immer selbstbewusster immer näher der Wahrheit, immer weiter vom Illusionären,
das doch irgendwie immer mit Jugend und Träumerei zusammenhängt. Haben Sie innigen
Dank auch für dieses Werk wie für all die andern, (mit denen ich öfter dank der schönen
Gesammtausgabe jetzt Zwiesprache tausche, als Sie es vermuten möchten).
Vielleicht komme ich noch irgendwo zurecht, mich über das Werk öffentlich auseinanderzusetzen:
es reizen mich so viele ineinandergefaltete Probleme hier einzeln vor den Blick zu
stellen. Leider sind Ihre Bücher bei den Blättern fast immer schon am Tage des Erscheinens
vergeben und man käme post festum.
Nun noch Eines: ich spreche
Montag um
½ 8 Uhr im kleinen Festsaal der
Universität zur
Bahr-Feier und sage es offen, dass ich Sie
sehr gerne unter den Anwesenden sähe. Nicht um meinetwillen (der vielfach Widerspruch wecken
dürfte, denn
Bahr ist eine so provocant agressive Persönlichkeit, dass er sogar noch als Thema erbittert) sondern um
Bahr’s willen, von dem vielfach vermeint wird, er sei von seiner ganzen Generation heute
irgendwie verlassen oder ihr entfremdet. Es ist ja zum Teil leider wahr, nicht aber,
wie ich doch weiss, bei Ihnen: deshalb hätte ich, ohne zudringlich sein zu wollen,
für ihn gerne Ihre Gegenwart erbeten.
Empfangen Sie verehrter Herr Doktor nochmals den Dank alter und immer wieder erneuter
Liebe und Verehrung von Ihrem getreu ergebenen