Arthur an Olga Schnitzler, 26. 6. 1922

Wien 26. 6. 1922

liebe, am heutigen Tage hätte ich, dem ursprünglichen Plane nach, mit Lili abreisen sollen – gut dss dieser Plan schon vorher fallen gelassen war sonst würde man sich über den neuesten Eisenbahn und Telegrafen Strike noch mehr ärgern als es ohnedies der Fall ist. Übrigens nicht so sehr aergern – als ekeln – wie über das gesammte politische Getriebe hier, die Parteigesindelei rechts u links, an der Oesterreich zu Grunde geht – (viel gründlicher als an St. Germain) Aber ich will nicht politisiren. Der Strike wird wohl bald zu Ende sein, – und (wenn es gelingt die Billets zu bekommen, was heuer thatsächlich nur auf dem Cartellwege möglich sein soll), die Kinder werden gemeinsam (wie es ihnen auch am liebsten ist) am 2. Juli abreisen können. Und zwar scheint es mir nach wie vor das praktischeste, daß sie in München, (Rheinischer Hof) übernachten: und Morgens darauf mit dir (oder zu dir) hinausfahren. Ganz allgemein liest und hört man daß Bayern leer ist – daß sogar die Münchner Hotels Platz genug haben; in Partenkirchen z. B. schreibt jemand in der N. Fr. Pr. soll kaum ein Drittel vermiethet sein.– Ich also für meinen Theil habe mich entschlossen, um die zweimalige Reise zu vermeiden, bis Ende des Monats hier zu bleiben. Ich denke dann direct nach München zu fahren und mich vielleicht vorläufig ein paar Tage nur, in Possenhofen selbst oder in Eurer Nähe aufzuhalten – dann will ich ev. nach Berchtesgaden oder lieber noch, irgendwo höher hinauf – nicht ganz undenkbar wäre eine kleine Fußwanderung mit Vicki Zuckerk. Gegen Ende August denke ich, komme ich dann dorthin, wo du mit Lili bist – sei es nun dss Ihr am Starnbergersee bleibt oder ins gebirgige hinaufsteigt. Schwierigkeiten der Logisbeschaffung werden ja kaum obwalten. – In Berchtesgaden ist Julius; und von sonstigen Bekannten Freud; – (anlässlich des 15. 5 hatt ich einen schönen Brief von ihm erhalten, eine kleine Correspondenz schloß sich daran; neulich war ich zum Nachtmahl bei ihm, und wir haben uns sehr gut verstanden. Von »fachlichem« war nicht die Rede – seine Menschlichkeit leuchtet ohne weiters ein.) –
»Vor Sonnenaufgang« sah ich in der Generalprobe und bei der Erstaufführung. Es wurde ziemlich miserabel gespielt – Heini (ich sage es nicht als Vater) war der einzige, den man (von 2 Episodisten abgesehen) ernst nehmen konnte. Er ist natürlich noch zu jung für den Hofmann (die einzige wirkliche Gestalt des Stücks, das nach Staub, Barchent und Theorie riecht, bei allen Blitzen und Blitzchen; und irgendwo unwahr ist – wie alles, worin von einem der Wein trinkt, Wasser gepredigt wird (was hier fast wörtlich zu nehmen ist)) – nicht füllig genug; – aber er hat wirklich charakterisirt, – hat die Continuität der Figur innerlich und äußerlich gewahrt; – spricht vorzüglich. (Das war auch die allgemeine Ansicht.) – Vor Aufgehn des Vorhangs sprach ein Arbeiterführer (Schule Bach) einleitende Phrasen – gegen den Alcoholismus –; das Stück wird nemlich von dem Verein gegen Trunksucht zu Besserungszwecken aufgeführt; – dabei muß man wissen, daß diese gleichen Sozialdemokraten, wenn man sie auf das Überhandnehmen der Sauferei bei den »Proletariern« aufmerksam macht, erwidern: »man muß ihnen ja diese einzige Freud lassen« – welche Verlogenheit, welcher Schwindel . .
Ich lasse dir heute an dein Münchner Conto je 10. für die nächsten 3 Monate anweisen, also 30; – und dazu gleich weitere 20, für die Kinder – »zur Verrechnung« – du wirst ja bald ungefähr wissen, wie viel sie per Tag brauchen, (Du hast hoffentlich über die kurz nach meiner Abreise gesandten 25. – sowie aus Amerika eine Verständigung erhalten?) (Frau St. kann dir ja die tausend M. auch an dein Münchner Konto anweisen?) – –
In München will ich diesmal Bahr besuchen. Vielleicht werd ich irgendwo mit Heinrich Mann zusammen sein, der auch von der Berchtesgadner Gegend schreibt.
Neulich, bei Trebitsch, die Käthe Dorsch kennen gelernt, die mir gut gefiel; sah sie Tags darauf, in einer für sie nicht ganz geeigneten Rolle, Kiki. – Einen erfreulichen Brief aus Japan, von einem Professor der Universität Tokyo, über eine kleine »Feier« für mich am 15. Mai. Unabhängig davon überbrachte mir ein Secretair der japan. Gesandtschaft von zweien meiner Übersetzungen aus Japan eine Art »Ehrenhonorar« – für »Einsamer Weg« u. »Geronimo.«–
Hoffentlich verspätet sich dieser Brief nicht allzusehr durch den Poststrike. An den Rhein. Hof schreib ich direct; – vielleicht frägst du auch an. Lass es dir wohl ergehn und sei herzlichst gegrüßt.
A.