Olga an Arthur Schnitzler, 29. 12. 1923

29. Dec. 23.

Lieber, ich bin noch immer zu Bett, noch Temperatur, noch ein bissel dösig, will aber morgen aufstehen. Wie die Weihnachtstage verlaufen sind, weisst Du ja aus meinem Brief an den Heini,– es war lieb und schön,– und eine Freude war es uns, wier wohl sich die Schlossbewohner Salzer in unserm Häusel gefühlt haben, Soscha immer wieder, und mit Recht, stolz darauf, dass sie mir im Jänner so nachdrücklich zu dem Kauf geraten hat. Das dank ich ihr auch immer wieder, denn es ist nicht gut auszudenken, wie’s sonst geworden wäre: weiter das ungemütliche und ungleich teurere Pensionsleben, mit allen seinen äussern und innern Misslichkeiten.
Übrigens war der Erste, der mir sehr herzlich zu einer Bleibe geraten hat, der gute Bahr, auf einem jener Salzburger Spaziergänge. Hast Du nicht wieder von ihm gehört? ist er in Wien?
Von allen den vielen Leuten, die Du mir in Deinen Briefen nennst, ist ein Einziger, dem ich begegnen möchte, und das ist Duhamel. Das ist ein Mensch, ein warmes, lebendiges, eigenes Wesen. Als ich im Krieg, bei der Lisl, in den »Weissen Blättern« zum ersten Mal was von ihm las, dacht ich mir gleich: den Namen musst Du Dir merken. Schreib mir doch, wie er aussieht, wie er wirkt, ja?
Hoffentlich lässt er sich von seinem Ruhm nicht verderben und trägt ihn »wie eine Schuhschnalle«. Übrigens kenne ich den Dr Erwin Rieger aus Salzburg, der in der Presse über D. geschrieben hat, – das ist ein feiner Mensch.
In diesen geistig nicht sehr frischen Tagen hab ich die mir von Lucy geschenkte »Nana« gelesen, ein grossartiges Buch, und eine ausgezeichnete Übersetzung. Ich möchte Dir, wenn Du eine sehr concentrierte Zeit hast, doch zu dem nicht leichten und nicht überall acceptablen »Cosmogonischen Eros« von Klages raten,– ich habe enorm viel daraus erfahren, namentlich über die alten Mysterien und ihre tiefsinnige Deutung. Der Prof. Salz schreibt eben ein Werk über religiöse Culte, und wir sprachen darüber in diesen Tagen, wie sich immer die Formen wiederholen, immer übernommen wiederkehrend, aber mit immer neuem Geist erfüllt.
Klages spricht kein Wort darüber, aber mir wurde mit einem Mal klar, woher das Ritualmordmärchen kommt.
Ich beginne eben ein Buch zu lesen: »Les Grands initiés« von Edouard Schuré, es behandelt: Rama – Krishna – Hermès – Moise – Orphée – PhytagorePlaton – Jésus.
Man hat viel zu wenig gelernt,– gar nix weiss man. Und es ist vielleicht gerade schön, so spät wie ich zu lernen,– weil mann dann nur mehr Bestätigungen erfährt, – »man kann nur lernen, was man schon weiss,« sagt die Rahel, dieses wahrhaft gescheite Frauenzimmer. Alles Wissen kommt vom Menschen und ist für Menschliches, – und was darüber weg will, taugt nicht viel. Glücklicherweise ragt ja der Mensch hoch genug hinauf und tief genug hinab, – man wird also nie fertig.
Wenn Du, Lieber, das Buch »Götter Menschen und Tiere« von Ossendowski erwischen kannst, aber ausgeborgterweise, dann lies es doch, es ist schon sehr interessant und merkwürdig, gerade weil der Mensch so unbeholfen und nüchtern ist, – aber was er gesehen hat, ist toll. Die Figur des Baron Ungern-Sternberg musst Du doch kennen lernen, – dieses Leben, diese Welt, – ja, Asien ist die Wiege der Menschheit und dort ist es noch genau so wie vor tausenden von Jahren, und wir mit unseren kurzen Zeiträumen, unserm engen vernunfthaft seichten Wissen und wie die kleinen Kinder.
Und merkwürdig genug, dass diese urhaft dumpfe, ur-uralte Welt doch die Stösse spürt, die Europa durchwühlen. Hast Du den Dr Lesowsky nie mehr gesprochen? der war ja in Tschita, der muss ja auch allerlei erfahren haben.
Lieber, leb wol für heute, ich wünsch Dir von Herzen alles Gute für’s neue Jahr. Schreib bald wieder.– Das Kleidchen von Bittmann hab ich meiner Tochter geschenkt, von dem Rest meiner schweizer Francs, weil sie es sich so sehr gewünscht hat, ich hoffe, es ist hübsch und sie kann es gut gebrauchen.
Leb wol, Lieber!
Innigst
O.