WIENER BRIEF.
Ich soll Ihnen monatlich notieren, was hier etwa künstlerisch gelten, Wert verlangen, Wirkung hoffen darf? Man kann
es ja versuchen. Es ist keine Mühe. Wenn es, wie diesen Dezember, zwei litterarische
Premieren giebt, staunen schon alle. Wir sind gar nicht verwöhnt.
Wir haben sehr viel Theater. Aber wir haben sehr wenig Litteratur. Schauspielerei
herrscht. Zwei, dreimal die Woche muss man in der »
Burg« sein; wer sich ein bischen achtet, darf nicht fehlen. Heute spielt Fräulein
Kramm den
Raphael, den sonst Frau
Hohenfels spielte, in den »
guten Freunden«; morgen
mimt Herr
Alsen für Herrn
Thimig, im »
Letzten Brief«; oder die Marquise von
Meneville, die in den »
Feeenhänden« sonst Frau
Gabillon gab, soll an Frau
Mitterwurzer jetzt kommen. Das sind hier Ereignisse. Das sind unsere Feste. Der Schauspieler gilt,
nicht der Dichter. Wir wollen Rollen, keine Stücke, Vergessenes wird geholt, im Ton,
Gang und Haltung aus der Mode, wenn es nur scenische Treffer hat. Unlitterarisches
geschieht, ja ohne theatralische Kraft, um nur das Vermögen der Schauspieler zu üben.
Man eifert Leeres zu füllen, Niedriges zu heben. Gemeines zu verklären, als ob die
Wunder der Bühne erst an verächtlichen Werken gerade desto deutlicher würden. Fremde
können es gar nicht verstehen.
Berliner gehen ins Theater, um ein Stück zu sehen. Wir gehen oft, um einen Vers zu hören.
Wir sind da
wie die
Pariser, die auch diese Pflege der Schauspielerei haben.
So leben wir unlitterarisch. Die heimlichsten und feinsten Noten mimischer Kunst sind geläufig. Aber wir hören
keinen Dichter. Jetzt hörten wir gleich zwei. Und wir bewiesen wieder, dass wir es
nicht verdienen.
Es war das »
Märchen« von
Arthur Schnitzler, das den ersten Dezember im
Deutschen Volkstheater und
das »
Hannele« von
Gerhart Hauptmann, das den sechsten Dezember in der
Burg gespielt wurde. Man kann es den Direktoren nicht verargen, wenn sie die Litteratur
nach solchen Erfahrungen lieber lassen. Die
Wiener wissen künstlerische Triebe und Versuche unbefangen nicht zu messen. Sie freuen
sich ausser der Kunst, in der Schablone. Sie hassen die Zucht
und die Strenge jeder Dichtung und es graut ihnen vor der Schönheit. Das wurde wieder
bewiesen.
Ich schwärme nicht für
Hauptmann. Ich glaube, dass er in
Preussen jetzt über Gebühr gilt. Ich finde, dass seine Note dürftig ist. Sie giebt nur die
Verkümmerung, die Furcht, die Not der kleinen Bürger, das müde Elend knapper Existenzen,
die scheue Angst am Rande der Gesellschaft, zwischen dem dritten und dem vierten Stande,
wo man nicht leben und nicht sterben kann. Das ist
preussisch, aber sonst leiten andere Klassen heute den Geist. Es ist nicht von morgen. Er hat
Verdienste um sein Volk, weil er auf die Bühne, die dort in der Gewalt von Spekulanten
war, wieder Ernst und Würde brachte. Aber dem grossen Werke der Zeit, eine neue Nation
der
Europäer zu stiften, hilft er nicht. Er bleibt im Kreise seiner Geburt, in den Wünschen, Leiden,
Hoffnungen von
Preussen. Gesichte in die Weite fehlen. Das war immer meine Meinung. Ich mag mich täuschen,
es mag etwa doch noch ein geheimer Faden sein, der ihn an
Europa hängt. Und es hindert mich nicht, seine Künstlerschaft zu rühmen, weil er etwas zu
sagen hat und es zu sagen weiss. Er dient nicht den Launen und Lüsten der Menge. Er
fragt nicht nach Gewohnheiten und Bräuchen. Er folgt keinem Muster. Er horcht nach
seiner Seele und will ihre Rührung gestalten. Er hat aus Fleiss und Eifer alle Mittel.
Ich schwärme auch für das »
Hannele« nicht. Es hat schöne Stellen und ich liebe seinen Trieb, das Wirkliche mit Träumungen
zu verwinden und über die Not zur Schönheit zu dringen, die heimlich im Gemüte ist.
Aber es bleibt leerer Wunsch
ohne Hilfe. Die Kraft versagt. Er kommt zur Begierde von Poesie. Aber er kann sie uns
sich nicht gewähren. Er will von der Erde der Gefangenschaft im Elend fort. Aber er
vermag keinen Himmel aus tröstlichen Gefühlen. Die Worte reichen nicht an Glanz und
Fülle und die edle Geberde der Erlösung fehlt, die die bangen Sinne wünschen. So ruft
er schliesslich den Maschinisten an, die Poesie zu geben, die er nur verlangen, selber
nicht schaffen kann.
Ich schätze
Arthur Schnitzler sehr. Ich stelle Hoffnungen auf ihn. Er gehört in das halbe Dutzend, das die deutsche
Bühne fördern, aus der Irre führen, zur Kunst bringen kann. Er ist ein Künstler. Er
hat seinen eigenen Ton, der
wienerisch ist, aber an die neue Race über den Nationen streift. So grüsse ich Ihn herzlich.
Aber ich habe nicht verhehlt, dass das »
Märchen« nicht gefallen kann. Ich dachte das gleich. Man merkte es an jeder Scene. Es ist
Litteratur, aber es ist kein Theater, oder doch nicht Theater von heute. Die üblichen Forderungen,
die der übliche Hörer bringt, den üblichen Geschmack, die üblichen Sitten kränkt,
verblüfft, empört es gewaltsam. Als ein Experiment, Psychologie zu verbühnen, das
manchen Versuchen später helfen, viele Mühe kürzen, Irrungen sparen mag, wird es zählen.
Aber es ist kein »Stück«.
Ich habe gleich gedacht: Diese Werke werden fallen und der Hörer hat Recht. Kunst
und Bühne sind getrennt. Theater muss theatralisch sein. Der Dramatiker gleicht dem
Redner. Es genügt nicht, dass der Redner eine gute Sache führt. Er muss sie gut zu
führen wissen. Er muss wirken. Ein Verteidiger des Guten kann ein schlechter Redner,
ein Verteidiger des Schlechten kann ein guter Redner sein. Es gilt nicht, was er sagt;
es gilt, dass man ihm glaubt. Die besten Pläne, Argumente, Wünsche helfen nicht, wenn sie in den
Hörer hallen. Der Philosoph will nur seine Meinung aus sich bringen. Der Redner muss
sie in die Anderen bringen. Der Künstler will seine Schönheit gestalten. Die Bühne
muss sie in den Anderen wecken. Wer das nicht kann, mag viele Ehren verdienen, aber
er ist nicht theatralisch; er gehört aus dem Theater. Die Leute haben Recht, es hart
unhöflich, grausam zu sagen. Sie fordern Wirkung von der Bühne. Was nicht wirkt, zischen
sie weg.
Aber es muss eine ehrliche Probe sein. Wenn man sich die Ohren verstopft, kann der
beste Redner nichts. Man muss ihn unbefangen hören. Das ist Pflicht. Das darf er verlangen.
Die
Wiener sind wunderlich. Albernes Insipides tragen sie geduldig, verzeihen, begütigen,
entschuldigen immer, suchen mühsam Lob. Gnädigere, mildere Richter können Stümper
nicht wünschen. Aber sie verwandeln sich ungestüm und werden Feinde, wenn ein Künstler
redet. Den dulden sie nicht. Da wehren und sträuben sie sich heftig und hassen. Hämisch
höhnen sie gleich, wenn er kommt, und mühen sich unablässig, alles anders, schmutzig,
falsch zu deuten. Sie sind entschlossen, sich der Dichtung zu erwehren, und durch
spöttische Rufe, Gelächter im Ernste, Gähnen, Husten, Schneuzen eifert einer den anderen
an, jede Wirkung zu stören. Dann triumphieren sie, wenn es gelingt, wie über einen
guten Sieg und geberden sich glücklich. Es ist in ihnen eine dumpfe Furcht vor der
Kunst und mit jedem Mittel wollen sie sie um jeden Preis verhindern.
***
Wien hat ein
neues
Theater. Es heisst nach dem alten
Raimund, der immer Pech hatte. Herr
Adam Müller-Guttenbrunn leitet es noch. Die Kapitalisten, die das Geld gaben, laufen in der Stadt herum und
betteln, dass man ihnen das Geschäft nicht stören soll: es wird schon besser werden;
sie suchen auch einen ordentlichen Direktor; man lasse ihnen nur Zeit. Ich will patriotisch
sein und den Finanzen dieser kleinen Leute nicht schaden. Ich kann warten. Es wird
immer noch Zeit sein, den verächtlichen Betrug zu schildern, den hier ein einst litterarischer
Name decken soll.
***
Ich will lieber eine Geschichte erzählen, die manchen wundert. Sie zeigt unsere Sitten.
Gesinnung ist ja hier wenig üblich. So wirkt sie desto mehr. Leider handelt es sich
um mich, und ich kann nur berichten, nicht urteilen. Es wäre ein Fall für meinen lieben
Harden.
Ich habe meinen Kollegen von der Kritik letzte Woche diesen Brief geschickt:
»Ich teile Ihnen mit, dass ich heute aus dem Verbande der ›
Deutschen Zeitung‹ geschieden bin und in diesem Blatte keine Zeile mehr schreiben werde. Man hat mir
nämlich zweimal kritische Referate verstümmelt. Das lasse ich mir nicht gefallen.
Ich
schrieb für die
Nummer von Freitag den 14. über das
Raimundtheater: In diesem Couplet wird das
deutsche Volkstheater verhöhnt. Solchen Spott sollte der
Direktor lassen, bis er einmal eine Vorstellung leisten wird, die sich mit der schlechtesten
des Konkurrenten vergleichen darf. Der
Chefredakteur, dem Herr
Müller-Guttenbrunn sympathisch ist, liess nur den ersten Satz und strich den zweiten. Ich
schrieb für die
Nummer von Sonntag den 16. über das
Burgtheater: Als
Diana bewährte Fräulein
Sandrock das schon an ihrer
Madelon deutliche Talent, Unangenehmes angenehm, Heikles fein, Hoffart zierlich zu bringen;
es muss ein Vergnügen sein, so graziös betrogen zu werden. Drastische Chargen, mondänes
Laster und was
Hevesi in dem lieben
Buche über Zerline ›
Nervenhumoresken‹ genannt hat, die ›
feinkomischen Stimmungs- oder vielmehr Verstimmungsbilder aus dem weiblichen Nervenleben‹ sind ihre Region und sie weiss, ohne das der Strenge der Zeichnung etwas vergeben
würde, Bedenkliches zu mässigen, Kanten zu glätten, immer schön und lieblich zu sein.
Man sollte sie als
Athenais,
Frau von Berny,
Jeanne, die weint, in den spitzen
Molierischen Soubretten, deren niedlich lüsterne Gestalt sie hat, auch als verbuhltes
Dortchen, sogar als
widerspänstige Katharina versuchen, während ihr die gewissen thöricht naiven Kätzchen, die man ihr sonst giebt,
augenscheinlich nicht behagen. Der
Chefredakteur, dem das Fräulein nicht sympathisch ist, liess nur die
erste Hälfte des ersten Satzes, alles andere strich er.
Da es sich mit meinen Begriffen von Kritik nicht verträgt, auf fremde oder eigene
Sympathien oder Antipathien zu hören und eine Korrektur durch gewerbliche Interessen
zu dulden, habe ich sofort meine Entlassung genommen.«
Hermann Bahr.