In einem kleinen Garten vor
Wien. Gegen Abend. Er herbstelt. Borromäus, der Gärtner, gräbt um. Anton Hausdorfer kommt
aus dem Hause, ein pensionirter Beamter. Er ist sehr traurig, seit vor ein paar Wochen
die Frau Hofräthin gestorben ist, die er viele Jahre lieb gehabt hat. Borromäus fragt
nach dem Herrn Heinrich, ihrem Sohne. Der sei verreist, um sich ein wenig zu erholen;
er muß doch wieder arbeiten können. Und in einem merkwürdigen Ton, der uns befremdet,
setzt der Beamte hinzu: »Ein Dichter! Wissen Sie, was das heißt? . . . Das ist schon eine andere Art von Mensch wie unsereiner, Borromäus. Wenn so Einer
in Pension geht, kann’s passiren, daß die Stelle recht lang unbesetzt bleibt. Ja,
so Einer muß auf sich schauen, das ist er der Welt schuldig – verstehen S’, Borromäus? . . . Haben Sie denn gar nichts bemerkt am Heinrich? Haben Sie denn nie den Schein um seinen
Kopf bemerkt? Na, seh’n Sie!« Da tritt Heinrich in den Garten. Er ist früher zurückgekehrt,
als er gedacht hat. Er war zuerst in
Salzburg, das wahrhaftig eine
Stadt des Trostes ist, mit seinem reizenden
Rococogarten in Hellbrunn, wo er schon vor Jahren einmal von einem tiefen Schmerze genesen ist. Diesmal war
es freilich nichts, keine Spur von Erleichterung. Der Beamte bemerkt: »Es gibt also
Fälle, wo
Hellbrunn nicht wirkt.« Heinrich ist dann nach
München, in die
alte Pinakothek, zu seinen geliebten
Dürer und
Holbein. Da hat er zum ersten Male nach langer, nach sehr langer Zeit wieder aufgeathmet.
Aber das war auch nur ein Moment. Kaum auf der Straße, hat er sich wieder so leer
und wirr gefühlt, als wäre Alles in ihm vernichtet. Er kann nicht mehr arbeiten! Seit
zwei, drei Jahren schon nicht mehr, seit der Erkrankung seiner Mutter. Ein geliebtes
Wesen, eine Mutter leiden sehen, so leiden und wissen, daß sie dem Tode entgegensiecht
und daß sie es ahnt! Die Erinnerung macht ihn weich: Wenn ich sie nur noch einmal,
nur für einen Abend wieder hier sitzen sähe, wie Vieles gäb’ ich dafür hin! Was? fragt
der Alte bitter. Und Heinrich, nicht ohne leise zu zögern: Es ist mir, als wenn ich
meine ganze Zukunft, als wenn ich Alles, was ich noch leisten, Alles, was ich noch
erreichen will, dafür hingeben könnte. Worauf der Alte: Sei nicht bös, Heinrich, das
glaubst Du selber nicht. Er glaubt an den Schmerz der Herren Dichter nicht; er kennt
sie Alle, er weiß, wie sie sind. Er hat einmal so einen Collegen im Amt gehabt, einen
Musiker, der, während sein kleiner Bub im selben Zimmer aufgebahrt gelegen, beim Clavier
gesessen ist und gespielt hat – »und er spielt und hört nicht auf, wie ich komme,
sondern nickt mir zu, und wie ich hinter ihm stehe, sagt er leise: Hören Sie, Herr
Hausdorfer, das ist für mein armes Buberl; grad ist mir die Melodie eingefallen. Und
das todte Kind liegt daneben im Sarg. – Ja. Mir ist es über den Rücken gelaufen.«
Heinrich versteht ganz gut, daß viele und gerade sehr vortreffliche Menschen solchen
Dingen gegenüber eine Art Grauen empfinden mögen. Hausdorfer nickt: »Grauen – ja.
Das wird schon das rechte Wort sein.« Aber, wendet Heinrich ein, sagen Sie selbst,
Herr Hausdorfer: sind die Leute nicht eigentlich beneidenswerth, denen es so schnell
gelingt, sich hinauszuretten – in ihren Beruf, in ihre Kunst? Die vielleicht sogar
die wunderbare Fähigkeit haben, ihren Schmerz in ihrer Weise zu gestalten, statt ihn
in nutzlosen Thränen hinströmen zu lassen? Und da Hausdorfer höhnt: Gestalten – weckt
das die Todten wieder auf?, fährt er fort: »So wenig als die Thränen. Ich sage auch
nicht, daß die Freude an der Arbeit das Leid über ein entschwundenes Wesen aufwiegt.
Aber ist es nicht endlich das Einzige, was uns übrig bleibt: arbeiten? Werden Sie
nicht Ihren Garten pflegen wie zuvor? Und ich – ja, ich ersehne den Tag, da ich wieder
fähig sein werde, etwas Ordentliches zu schaffen wie früher einmal. Ins Unabänderliche
müssen wir uns fügen.« Aber nun wird der Alte geheimnißvoll: es war nicht unabänderlich.
Und allmälig rückt er heraus: die Hofräthin hat sich getödtet, seinetwegen, für ihren
Sohn, weil sie gemerkt hat, daß ihn ihre Krankheit in seinem Beruf gestört hat, daß
er nicht mehr arbeiten konnte, daß er Angst um sein Talent bekommen hat, um ihn zu
befreien – hier ist ihr letzter Brief an ihn, der es beweist! Heinrich taumelt, erschüttert.
Aber warum hat der Alte es ihm gesagt, da ihn die Mutter doch ausdrücklich beschworen
hat, dem Sohne nichts zu verrathen? Warum? Und er fährt ihn heftig an: »Sie haben
durch Ihre Verfügung den ganzen Sinn dieses freiwilligen, dieses Opfertodes zerstört.
Ihr Wille war es nicht, daß ich mich als Mörder fühlen, als ein Verdammter auf der
Welt herumgehen sollte! Und Sie werden vielleicht später selbst empfinden, daß Sie
nicht nur an mir, sondern auch an ihr ein Unrecht begangen haben, das beinah das meine
aufwiegt.« Er wird seine ganze Kraft brauchen, damit fertig zu werden und sich aufzuraffen
– das ist ja sein Recht, wohl sogar seine Pflicht, da er doch nur die Wahl hat, entweder
sich selbst zu tödten oder den Beweis zu versuchen, daß seine Mutter nicht vergeblich
gestorben ist. Und wieder bricht der Alte in seiner dumpfen Wuth los: »Heinrich! Vor
einem Monat hat Deine Mutter noch gelebt, und Du kannst so reden? Für Dich hat sie sich umgebracht, und Du gehst
hin und schüttelst es von Dir ab? Und in ein paar Tagen nimmst Du’s vielleicht hin,
als wär’ es ihre Schuldigkeit gewesen? Hab’ ich nicht Recht: seid ihr nicht Einer
wie der Andere? Hochmüthig seid ihr – das ist es: hochmüthig, Alle, die Großen wie
die Kleinen! Was ist denn Deine ganze Schreiberei, und wenn Du das größte Genie bist,
was ist sie denn gegen so eine Stunde, so eine lebendige Stunde, in der Deine Mutter
hier auf dem Lehnstuhl gesessen ist und zu uns geredet hat oder auch geschwiegen –
aber da ist sie gewesen – da! und sie hat gelebt, gelebt!« Und wieder muß der Dichter
sich behaupten: »Lebendige Stunden? Sie leben doch nicht länger als der Letzte, der
sich ihrer erinnert. Es ist nicht der schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer zu
verleihen, über ihre Zeit hinaus. – Leben Sie wohl, Herr Hausdorfer. Ihr Schmerz gibt
Ihnen heute noch das Recht, mich mißzuverstehen. Im Frühjahr, wenn Ihr Garten auf’s
Neue blüht, sprechen wir uns wieder. Denn auch Sie leben weiter.«
Der Vorhang geht wieder auf und wir erblicken einen kleinen Saal in einem Museum.
Bilder der
italienischen Renaissance. Eines stellt eine sehr schöne Frau in weißem Kleide vor, einen Dolch
in der erhobenen Rechten, mit einem Blick zum Boden, als läge dort wer von ihr ermordet.
Der Saal ist leer. Ein Diener geht langsam vorbei. Dann kommt Pauline, um Leonhard
hier zu treffen, den sie – liebt? Nein, sie liebt ihren Mann, den berühmten Dichter,
von dem man heute wieder überall spricht, nach dem Erfolge seines neuen Stückes. Sie
müßte ihn darum hassen, meint Leonhard, gerade für dieses Stück, in dem sie vorkommt
und der Gatte und sein Verrath und ihre Verzweiflung und seine Rückkehr und ihr Verzeihen
und alle ihre Geheimnisse, schamlos der Neugier des Pöbels hingebreitet. Wie kann
sie einen Mann noch lieben, dem sie und ihr ganzes Schicksal nichts zu bedeuten hat
als eine Gelegenheit, seinen Witz oder allenfalls sein Genie zu zeigen? Vielleicht,
sagt Pauline, hat mein ganzes Leben gar keinen andern Sinn gehabt. Aber dann, wenn
sie den Gatten liebt, warum hört sie dann die Betheuerungen Leonhards an? Warum ist
sie dann hieher gekommen, heute und vorgestern und vor acht Tagen? Warum bebt sie,
wenn ihr Knie das seine berührt, warum werden ihre Blicke feucht, wenn er zu ihr spricht?
Aber sie schneidet diese heftigen Fragen ab: nie, sie hat ihn nie geliebt, nie, wenn
es auch eine Zeit gab, wo sie bereit gewesen wäre, seine Geliebte zu werden – aber
das ist vorbei, er hat es versäumt, es wird nicht wiederkommen. »Andere Frauen sagen
in meinem Fall: ich hege für Sie die Liebe einer Schwester, einer Freundin – verlangen
Sie keine andere. Ich, Leonhard, sage Ihnen, daß ich so ziemlich Alles für Sie fühle,
was Sie sich nur wünschen könnten, nur Freundschaft nicht, bei Gott, nein!« Und plötzlich
hält sie ein und fragt, wie verloren: »Hab’ ich Ihnen nicht das schon einmal . . . ?« Und da Leonhard auffährt, sie habe nie zuvor noch so zu ihm gesprochen, immer noch
wie im Traume: »Sonderbar – mir war doch ganz . . . « Doch sie schüttelt die seltsame Lähmung ab und ist nun wieder ganz sicher: sie reist
morgen mit ihrem Gatten fort, sie hat ihm heute Alles gestanden . . . daß sie in Gefahr ist, wenn er sie nicht fortbringt. Leonhard erschrickt: »Und Sie
glauben, er wird Ihnen jemals diese Regung verzeihen? Er ist ein Mann, und wir Alle
sind eitel. Er ist ein Dichter und tausendmal eitler als wir Alle. Er wird Sie Ihr
Leben lang büßen lassen. Er wird Sie so bitter peinigen, als wenn es geschehen wäre.«
Wär’ es geschehen, antwortet Pauline, so würde er mich umbringen. Und Leonhard: »Was
fällt Ihnen ein? Er macht ein neues Stück daraus und am Ende ist er Ihnen noch dankbar.«
Und Pauline: »Möglich. Er wäre der Mann, Beides zu vereinigen.« Aber jetzt nichts
mehr davon. Sie wollen lieber die Bilder ansehen, das Bild der weißen Frau, die ihr
so ähnlich sein soll. Sie hat es früher schon betrachtet. Leonhard hat gesagt, es
gleiche ihr geradezu, abgesehen von dem Dolch. Warum »abgesehen«?, meint sie, man
kann nicht wissen. Sie fühlt sich sehr wohl hier, bei diesen
Italienern, fast wie zu Haus – ihre Mutter stammt ja aus
Florenz, also vielleicht: eine ferne Erinnerung, wer weiß? Und jetzt betrachtet sie das Bild
erst genauer, während Leonhard leidenschaftlich in sie dringt, heute Abends zu ihm
zu kommen. Von wem ist das Bild? Der Katalog sagt: Unbekannter Maler, starb um 1530.
Und Pauline starrt immer hin, während draußen die Glocken Mittag läuten. Und plötzlich
sagt sie: »Ich bin es, ich bin es selbst. Erkennen Sie mich nicht? Und hier im Schatten,
der todte Jüngling – Sie! Erinnern Sie sich nicht, Leonhard? Lionardo, erinnerst Du
Dich nicht?« Und es ist dunkel geworden, noch tönen die Glocken, dann verstummen sie,
es wird wieder hell, die Bühne hat sich verwandelt: wir sehen in das Atelier des Meisters
Remigio; Morgengrauen; Lionardo auf dem Boden; Paola kommt, weiß gekleidet, ganz jenem Bilde
gleich, geht zur Staffelei, zieht den Schleier weg, es ist dasselbe Bild, unvollendet,
noch ohne die Hand mit dem Dolche. Paola hat ihren Gatten, der in Florenz weilt, diese
Nacht mit seinem Schüler Lionardo betrogen. Jetzt ekelt sie. Sie wird
Remigio Alles gestehen; sie will kein Geheimniß mit jenem haben. Noch beschwört er sie, von
ihrem Wahn zu lassen, da tritt der Gatte schon ein. Er will heiter auf sie zu. Sie
wehrt ihm:
- Gib Acht, daß Du nicht vorschnell mich umarmst,
- Der hier war mein Geliebter heute Nacht.
Remigio befiehlt gelassen: Geh, Lionardo! Aber der schreit auf:
Remigio gewährt es ihm nicht:
Rasend vor solcher Schmach, schwört
Lionardo, ihn zu tödten.
Paola schreit auf: Laß ihn nicht fort, er hält den Schwur,
Remigio! So wahr ich lebe, betheuert Lionardo. Und Paola: Ja, so wahr Du lebst! Und sie eilt
auf ihn zu und stößt ihm den Dolch in den Hals. Lionardo sinkt, Paola starrt, den
Dolch erhoben, den Blick auf ihm, wie in jenem Bilde. Aber
Remigio spricht, gefaßt, beinahe heiter:
- War dies der Sinn? Ist mein Gebet erhört,
- Daß für mein Bildniß mir Erleuchtung werde?
- Ja, so vollend’ ich’s! Der Du dies gefügt,
- O Himmel, eine Stunde lang gewähre
- Der Seele Frieden, Ruhe dieser Hand!
Er versperrt die Thür und tritt an das Bild, Paola starrt. Da verdunkelt es sich,
jene Glocken ertönen, rasch ist die Bühne verwandelt: der kleine Saal, das Bild,
Pauline mit
Leonhard. Dieser fragt: Was ist Ihnen, Pauline? Sie scheint zu erwachen, sie sieht sich um,
und der Dichter merkt an: »In ihren Zügen drückt sich allmälig die Ueberzeugung aus,
daß ein Schicksal über ihr ist, dem sie nicht entrinnen kann.« Und so läßt er sie
zu Leonhard, indem sie ihm die Hand reicht und ihm ernst und fest ins Auge sieht,
»nicht mit dem Ausdruck der Liebe, sondern der Entschlossenheit« sagen: Ich komme!
Dann geht sie rasch. Das verlockend wirre Spiel, wie dunkles Wasser tief, ist aus.
Und der Vorhang geht auf und da ist ein »Extrakammerl« im
Allgemeinen Krankenhaus. Carl Rademacher, ein verkommener und verbrauchter alter Journalist, und Florian
Jackwerth, ein Komödiant, beide sterbend. Jener weiß es, und er hat nur noch einen
Wunsch: noch einmal, bevor Alles vorbei ist, seinen Freund Alexander
Weihgast zu sehen, den berühmten Dichter
Weihgast. Der Secundarius verspricht ihm, diesen zu holen. Und nun wartet er, fieberisch erregt.
Ah, wird ihm das wohl thun! Dann stirbt er gern, wenn er erst mit dem abgerechnet
hat! »Wenn er nur kommt . . . wenn er nur kommt! Ich bitt’ Dich, mein Herrgott, wenn Du mich auch vierundfünfzig
Jahre lang im Stich gelassen hast, gib mir wenigstens die letzte Viertelstunde noch
Kraft, daß es sich ausgleicht, so gut als es geht. Laß mich’s erleben, daß er da vor
mir sitzt – bleich, vernichtet – so klein gegen mich, als er sich sein Leben lang
überlegen gefühlt hat . . . Ja, mein lieber Jackwerth, der, den ich da erwarte, das ist nämlich ein Jugendfreund
von mir. Und vor fünfundzwanzig Jahren und auch noch vor zwanzig Jahren waren wir
sehr gut miteinander, denn wir haben beide auf demselben Fleck angefangen, nur daß
wir dann einen verschiedenen Weg gegangen sind, er immer höher hinauf und ich immer
tiefer hinunter. Und heut’ ist es so weit, daß er ein reicher und berühmter Dichter
ist und ich bin ein armer Teufel von Journalist und crepir im Spital. Aber es macht
nichts, es macht nichts – denn jetzt kommt der Moment, wo ich ihn zerschmettern kann
. . . und ich werd’ es thun! Wenn er nur kommt – wenn er nur kommt! Ich weiß, Herr
Jackwerth, heute Nachmittags war Ihre Geliebte bei Ihnen – aber was ist denn alle Gluth, mit
der man ein geliebtes Wesen erwartet, gegen die Sehnsucht nach Einem, den man haßt,
den man sein ganzes Leben lang gehaßt hat und dem man vergessen hat, es zu sagen!«
So speit er seinen Neid aus, und der Komödiant, der ihm mit dem grimmigen Eifer des
Raté zuhört, hat einen tückischen Einfall: sie wollen vorher eine Probe abhalten, damit
es dann besser geht, damit er seine Sachen richtig zu »bringen« weiß – gleich jetzt,
der Komödiant will den Dichter markiren. Und er setzt sich in Positur: »Du spannst
mich auf die Folter, alter Kumpan. Was wünschest Du mir mitzutheilen?« Wie sich eben
ein Komödiant einen Dichter reden denkt. Und nun legt der Journalist los: wie er den
Dichter haßt, weil er ihn kennt – und »mein lieber Freund, nicht nur ich kenne Dich
wie tausend Andere, auch Dein geliebtes Weib kennt Dich besser als Du ahnst und hat
Dich schon vor zwanzig Jahren durchschaut . . . und ich weiß es besser als irgend Einer, denn sie war meine Geliebte zwei Jahre lang,
und hundertmal ist sie zu mir gelaufen, angewidert von Deiner Nichtigkeit und Leere,
und hat mit mir auf und davon wollen. Aber ich war arm, und sie war feig, und darum
ist sie bei Dir geblieben und hat Dich betrogen! Es war bequemer für uns Alle.« Ah,
welche Wollust, ihm das ins Gesicht zu schreien! Und da kommt
Weihgast auch schon, der Komödiant tritt ab, die Probe ist aus, nun wird es ernst.
Weihgast ist sehr freundlich mit dem armen Freunde; er steht ihm in jeder Weise zur Verfügung.
Es thut uns eigentlich ein bischen leid um ihn, da wir wissen: gleich wird jetzt Rademacher
reden. Aber er redet noch nicht gleich.
Weihgast will ihn auf alle Weise trösten, und um ihm was Angenehmes zu sagen, meint er: »Ich
bin ein wenig befangen, ich will es Dir gestehen; denn, äußerlich betrachtet, möchte
man wohl glauben, daß ich Derjenige bin, dessen Los besser gefallen ist. Und doch
– wenn man die Sache so nimmt, wie sie ja doch eigentlich genommen werden muß –, wer
hat mehr Enttäuschungen erlebt? Immer der, der scheinbar mehr erreicht bat. – Das
klingt paradox, und doch ist es so. – Ah, wenn ich Dir erzählen wollte . . . nichts als Kämpfe, nichts als Sorgen. – Ich weiß nicht, ob Du die Bewegung der letzten
Zeit so verfolgt hast. Nun stürzen sie über mich her . . . Wer? Die Jungen. Wenn man bedenkt, daß man vor zehn Jahren selbst noch ein Junger
war. Jetzt versuchen sie, mich zu entthronen . . . Wenn man diese neuen Revuen liest . . . Ah, es ist, um Uebelkeiten zu bekommen! Mit Hohn, mit Herablassung behandeln sie
mich. Es ist jämmerlich! Da hat man nun redlich gearbeitet und gestrebt, hat sein
Bestes gegeben – und nun . . . Ah, sei froh, daß Du von all den Dingen nichts weißt.« Sein einziger Trost im Aerger
ist noch seine Frau. »Wahrhaftig, bei ihr find’ ich mich selbst – den Glauben an mich
wieder, wenn ich nahe daran bin, ihn zu verlieren – die Kraft zu schaffen, die Lust
zu leben. Und je älter man wird, umso mehr fühlt man, daß dies doch der einzige wahre
Zusammenhang ist, den es gibt.« Und der Andere, der Journalist, schweigt noch immer
und lächelt nur manchmal sonderbar. Endlich fragt der Dichter wieder, was er für ihn
thun, wie er ihm helfen könne. Da wehrt er ihn ab: »Lass’ lass’. Ich brauche nichts
– nichts . . . Ich hab’ Dich nur noch einmal sehen wollen, mein alter Freund –, das ist Alles. Ja.«
Und er reicht ihm die Hand, sie sind zu Ende, der Dichter geht. Der Journalist sieht ihm nach: »Wie armselig sind doch die Leute, die auch morgen
noch leben müssen . . . Was hab’ ich mit ihm zu schaffen? Was geht mich sein Glück, was geh’n mich seine
Sorgen an? Was haben wir Zwei miteinander zu reden gehabt? He! Was? . . . Was hat unsereiner mit den Leuten zu schaffen, die morgen auch noch auf der Welt
sein werden?« Er sinkt auf den Sessel.
Und noch einmal geht der Vorhang auf.
Clemens, ein junger Graf,
Margarethe, eine junge Witwe. Sie haben sich gern, sie werden sich heiraten. Sie sind sehr glücklich.
Nur daß es ihn manchmal ein bischen verstimmt, daß sie eine Vergangenheit hat, nämlich
eine literarische: sie hat Gedichte gemacht und hat sie drucken lassen. Das ist ihm
schrecklich; da kann er eben nicht mit, wie sie sagt. Eigentlich komisch von einem
Menschen, der ein Dutzend stadtbekannte Verhältnisse gehabt hat. Aber er meint: »Stadtbekannt
hin, stadtbekannt her – ich hab’s Niemandem erzählt, ich hab’s nicht drucken lassen,
wenn mir Eine trunken am Hals gehängt ist, und ein Jeder hat sich’s um einen Gulden
fünfzig kaufen können! Darauf kommt’s an! Ich weiß ja, daß es Leute gibt, die davon
leben; aber ich find’ es im höchsten Grad unfein. Ich sag’ Dir, mir kommt’s ärger
vor, als wenn sich Eine im Tricot als griechische Statue beim
Ronacher hinausstellt. So eine
griechische Statue sagt doch nicht Mau! Aber was so ein Dichter Alles ausplauscht, das geht über
den Spaß!« Nun, hoffentlich wird sie es nicht mehr thun. Sie hat es aber schon wieder
gethan: Sie hat sogar einen Roman geschrieben, einen großen Roman, der »sozusagen
das Meiste enthält, was über das Meiste zu sagen ist«; und Künigel, der Verleger,
ist entzückt davon.
Clemens wird wüthend. »Daß Du ihn hast schreiben müssen – gut; aber lesen soll ihn wenigstens
Keiner. Bring’ ihn her, wir wollen ihn ins Feuer werfen.« O nein! Uebrigens ist es
auch gar nicht mehr möglich, der Roman ist schon gedruckt. Da springt
Clemens auf und rennt fort. Was hat das zu bedeuten? Verläßt er sie? Will er ihr nur Angst
machen? Es läutet. Ah, er kommt zurück, aber nein, er ist es nicht, es ist Gilbert,
ein College, einer aus ihrer Vergangenheit, aber er kommt nur als guter Bekannter,
er will gar nicht stören, das Andere ist ja längst vorbei. Und indem sie plaudern,
natürlich sprühend, stellt es sich heraus, daß auch er einen Roman geschrieben hat,
und es stellt sich allmälig heraus, daß sie Beide denselben Roman geschrieben haben,
nämlich um die Briefe herum, die sie damals, als sie sich liebten, miteinander getauscht
– sie war so vorsichtig, die ihren immer früher aufzusetzen, und er, die seinen immer
vorher abzuschreiben. Wie wird das nun werden? Sein Roman ist natürlich auch schon
gedruckt. Das gibt ja einen
europäischen Scandal! Und
Clemens? »Ja,
Clemens hat recht. Aerger als die Weiber beim
Ronacher sind wir, die sich in Tricots hinausstellen. Unsere geheimsten Seligkeiten, unsere
Schmerzen, Alles stellen wir aus! Pfui! Pfui! Mich ekelt ja vor mir!« Da kommt der
Graf zurück und erklärt resolut, daß schon Alles in Ordnung ist: er hat mit Künigel
abgemacht, daß ihr Roman eingestampft wird, bis auf ein einziges Exemplar, das er
ihr mitbringt – sie wollen es jetzt gleich zusammen lesen. Er nimmt das Buch, setzt
sich, schlägt es auf. Da ergreift sie es, wirft es ins Feuer und lehnt sich an ihn:
»
Clemens, wirst Du mir jetzt glauben, daß ich Dich liebe?«
Aber nun kommt das Publicum und verlangt, daß wir ihm sagen sollen, was der Dichter
denn mit diesen Stücken sagen will. Darauf ist zu antworten: Wenn wir es könnten, wäre er keiner. Sein Amt ist es eben, uns durch seine Worte mehr fühlen zu lassen, als mit Worten
ausgesprochen werden kann. Jeder Gedanke wird, wenn er ausgesprochen wird, eigentlich
schon deformirt, weil das Wort ihn abschließt und begrenzt. »
Sobald man spricht, beginnt man schon zu irren,« heißt es. Und das ist es gerade, was der Dichter vermeidet, indem es ihm gegeben
ist, seine Gefühle zugleich höchst bestimmt und doch höchst fragwürdig darzustellen.
Die vier Stücke regen tausend Gedanken und Gefühle in uns auf, aber so, daß jeder
und jedes sogleich vom nächsten gelindert und verwandelt wird. Ist nicht abscheulich,
was die Künstler thun? Sie treten nackt vor das Publicum hin! Statt zu leiden und
sich zu freuen, horchen sie sich aus und machen darüber ein Stück, ein Bild! Ist das
Leben nicht mehr, als jemals ein Werk sein kann? Eine lebendige Stunde nicht mehr
als alle Gedichte und alle Gemälde der Welt? Ja, aber wer lebt sie denn je, die lebendigen
Stunden? Werden sie nicht immer erst in der Erinnerung lebendig? Sind sie es, im Gedichte,
im Gemälde ausgedrückt, nicht mehr, als sie es, erlebt, jemals sein können? Leben
wir nicht vielleicht überhaupt nur, wenn wir schaffen? Welch ein Leben aber, das so
viel zerstört! Doch wo wäre ein Leben, das nicht zerstört? Und was heißt leben endlich,
was heißen alle Gewalten des Lebens, Liebe, Haß, Neid, die uns treiben und doch in
nichts zerfallen, wenn uns der Tod antritt! Wie verblaßt da jeder Schein, der uns
gelockt oder gequält hat, in der Stunde des Todes! Ist sie nicht vielleicht die einzige
wahrhaft lebendige Stunde? »
Und so lang’ Du das nicht hast, dieses: Stirb und werde!, bist Du nur ein trüber Gast
auf der dunklen Erde.«
Unter den Darstellern ist zuerst Herr
Bassermann der den
Remigio vielleicht nicht mit der ganzen Hoheit, welche die Rolle verlangt, den Dichter
Weihgast vortrefflich, nur vielleicht um einen Grad zu deutlich in der Ironie, den Grafen
Clemens aber einfach prachtvoll gab und dabei eine ganz außerordentliche Kraft der Verwandlung
bewies, und neben ihm gleich Fräulein
Triesch zu nennen, die, seit wir sie zuletzt, vor drei Jahren, im
Raimund-Theater sahen, merkwürdig reif und stark im Ausdruck geworden ist. Die Herren
Reinhardt,
Rittner,
Kayßler und
Hofmeister schlossen sich in ihrer ja bekannten Weise an. Der Erfolg war sehr lebhaft und laut,
am lautesten natürlich nach der heiteren »
Literatur«. Der
Dichter wurde stürmisch immer wieder und wieder gerufen.
Hermann Bahr.