Arthur Schnitzler: Die feuilletonistischen Haupttypen, [1911?]

Die feuilletonistischen Haupttypen:

H.B. hat es am leichtesten. Bei aller Genialität und gelegentlichem Kunstverstandes ohne sicheres Urteil, sieht er sich nie vor die Notwendigkeit gestellt, ein inneres Hindernis zu überwinden. Er glaubt immer das, was er ausspricht. Er hat nicht genug Fond, um verlogen zu sein. Er hat kein sachliches Verhältnis zu den Dingen oder Menschen, es wird ihm durch Stimmung, Politik, Sympathie oder Antipathie, durch ein zufällige getatg Wort eines Andern erst gegeben. Die augenblickliche fixe Idee, die ihn beherrscht, wird seine Stellung zu den Dingen und Menschen vor allem beeinflussen. Das vorgefasste Bild der Welt oder eines Bruchteils dieser Welt wirkt bestimmend auf alles, selbst das Fernstliegenste, das zufällig in den Kreis seiner Betrachtungen gerät.
B.B. hat allerlei zu überwinden, aber es wird ihm nicht schwer. Die augenblickliche Wirkung, die geringste Befriedigung seiner Eitelkeit ist ihm so wichtig, dass dagegen sein Verstand, sein Urteil, die beide vorhanden sind, überhaupt nicht aufkommen. Für ihn muss der Hahn nicht dreimal krähen, ehe er jemanden verrät. Sein ganzes Wesen ist Verrat, aber ein Verrat völlig ohne Tücke, ohne böse Absicht. Er ist weder perfid, noch Diplomat, er ist sehr harmlos und um den Finger zu wickeln. Der Kern seines Wesens ist Eitelkeit.
F.S. hat es zuweilen schwer. Er versucht natürlich sich vor sich selbst, gelegentlich wohl auch vor Andern zu rechtfertigen, wenn er irgend eine Meinung ausspricht, das er vor seinem eigenen Verstand nicht rechtfertigen könnte. Aber er bedarf zu der Rechtfertigung sowohl, als auch manchmal zu dem Urteil eines Efforts, der ihn viel Intensität kostet, ihn seelisch schädigt. In seinem Wesen wären alle Vorbedingungen zum unbedenklichen Feuilletonisten grossen Stils gegeben, aber er kennt und er beobachtet sich zu gut, und schlimmer noch, er weiss sich auch von Andern beobachtet, die ihn kennen, und es ist wohl möglich, dass gerade seine besten Freunde seiner eigentlichen Entwicklung hinderlich waren, dass er, wie einer von diesen Freunden sich ausgedrückt hat, in schlechte Gesellschaft geraten ist.

Spielen keinerlei Momente der höheren Politik, der persönlichen Beziehungen und der Eitelkeit mit, so werden alle diese Feuilletonisten nach dem Mass ihrer Befähigung auch die objektive Wahrheit auszudrücken imstande sein.