Arthur Schnitzler an Otto Brahm, 23. 12. 1910

Wien, 3. Dezember 10

Lieber Freund,

also »Das weite Land«. Sprach neulich im Burgtheater vor. Es hat den Anschein, als wollte Weisse die Marberg (Genia) trotz früherer Versprechen keineswegs vor dem 31. März hergeben, vielleicht erst nächste Saison. Einen April-Termin akzeptiere ich natürlich nicht, so daß, wie die Dinge heute stehen, eine Verschiebung bis Beginn nächster Saison wahrscheinlichst. Die Gründe, die eine gleichzeitige Aufführung an der Burg und im Lessingtheater wünschenswert erscheinen lassen, sind dieselben geblieben, und es ist eben nur die Frage, wie Sie sich zu der Angelegenheit stellen, ob Sie geneigt sind, auch bis nächstes Jahr zu warten. Etwa 20. Oktober wäre, wie Rosenbaum, die rechte Hand und der aufrichtige Mund Bergers, behauptet, der vom Burgtheater in Aussicht zu nehmende Termin. Zu den bekannten Gründen, die aber so für Sie wie für die Burg in Betracht kommen, treten einige hinzu. Der Erfolg des »Medardus« hier und der des »Anatol« bei Ihnen. (»Anatol« geht auch hier glänzend, nur jagen sich am Volkstheater die Premieren so, daß die Erfolge nicht ordentlich ausgenützt werden können.) Ich halte es für kaum denkbar, daß vom Schicksal, von der Kritik, vom Publikum dem Autor in einer Saison ein dritter Erfolg gestattet wird. Die Chancen für »Das weite Land« verbessern sich jedenfalls, je weiter wir es hinausrücken lassen. Ihre Entscheidung kann natürlich nur von dem weiteren Gang der Ereignisse an Ihrem Theater abhängen; aber nach der Art, wie Sie den »Anatol« ansetzen, scheint er ja auch weiterhin vorzüglich zu gehen, dazu kommt der neue Bahr, der neue Hauptmann, und Schönherr haben Sie sich doch auch gesichert. So müßte man fast glauben, daß für »Das weite Land« Mitte Feber (resp. spätestens 18. Feber) nur mit Mühe Platz gemacht werden könnte und unsere beiden Interessen sich begegnen.
Nun hab ich in München, Schauspielhaus, mit »Masken« und »Literatur« die »Komtesse Mizzi« wieder gesehen, mit Vergnügen die Wirkung des kleinen Lustspiels beobachtet und konstatieren können, daß die 16. Aufführung trotz der mitgehenden älteren Stücke (die am Residenztheater ziemlich oft gegeben werden) ein total ausverkauftes Haus fand (wenn ich auch 10% auf meine Anwesenheit rechne). Da fiel mir ein, ob nicht eine Zusammenstellung für Sie »Literatur«, »Mizzi«, »Großer Wurstl«, also ein lustiger Abend etwa im Fasching Chancen hätte. Auf den »Großen Wurstl« komm ich zurück, weil er neulich in Prag mit »Puppenspieler« und »Cassian« getreu nach dem Buch »Marionetten« gespielt wurde und außerordentlich amüsiert hat. Jedenfalls hielt ich diese Zusammenstellung für theatersicherer als ein Zusammenspannen der »Mizzi« mit Rossen eines anderen Gespanns, und wären’s auch so edle wie die Einakter unseres Wassermann, dem ich gleichfalls wünschte, als »eigener Abend« zu debütieren. Da ich Ihnen eben schreibe, rede ich auch von dieser, selbstverständlich nicht sonderlich wichtig zu nehmenden Angelegenheit.
In München hatt ich übrigens auch als Vorleser (Schenkenszene »Medardus«, »Gustl«, »Weihnachtseinkäufe«) viel Erfolg. Ich war dann zwei Tage in Partenkirchen bei meiner Schwägerin, der es etwas besser geht. Nun bleiben wir in Wien, ich versuche allmählich wieder ins Arbeiten zu kommen, und ich kann natürlich nicht versprechen, daß nicht am Ende zu Beginn nächster Saison doch wieder was Neues fertig ist. Aber es bleibt nichts übrig, als diese innere Tätigkeit als eine Sache für sich zu betrachten, ganz ohne Rücksicht auf äußere Theatermöglichkeiten, auf Aufführungschancen, Erfolge, Durchfälle, Termine usw. Nach Berlin dürften wir im Feber, auch wenn es mit dem »Weiten Land« für heuer nichts werden sollte, auf alle Fälle kommen. Meine Frau gedenkt dort ein Konzert zu geben, was Ihnen wohl schon bekannt ist. Was sind Ihre weiteren Pläne? Kommen Sie im Januar nicht nach Wien oder auf den Semmering, den »Kleist« abschließen? Ihr Tegler-Brief klingt so wohlgestimmt und arbeitsfroh, daß man nach Ihrem Befinden kaum fragen muß. Auch bei uns ist alles wohl, und mittelgroß und klein sendet Ihnen, lieber Freund, herzliche Feier- und Alltagsgrüße.
Getreu der Ihrige
A. S.