Hermann Bahr: [Über das Burgtheater], [Ende der Theatersaison 1893/1894?]

In der »Burg« ist alles ruhig. Man hört jetzt gar nichts mehr u. fast scheint es, als hätte seiner »Niobe« der Direktor vor dem Haße, der es damals nicht verträgt, daß man die Schablonen verläßt, den Mut verloren u. die Ruder gezogen. Die erste Lüge, von der eine Zeit die Rede war, ist sachte wieder geschwunden – wie der Meister Solneß geschwunden ist, der voriges Jahr angekündigt wurde, u. der Ehrgeizige, die seltsame Komödie des Scribe, die einzige, wo der große Jongleur der Situation sich einmal in Characteren versuchte. Das alles ist weg und nichts regt sich.
Man kann dem Direktor keinen Vorwürfe machen. Östreichisches kann man nicht verlangen. Schnitzler, Loris zu versuchen – dazu ist seine Position nicht fest genug. In Deutschland fehlt neues. An Hauptmann hat die Burg wahrhaftig als ihre Schuld gethan: Sie hat ihn erst entdeckt u. sorgsam gepflegt. Das einzige Ereignis der letzten zwei Jahre die sehr hübsche Jugend des trefflichen Max Halbe versagten Bedenken der Censur. Um die Heimat ist wahrlich nicht schade, da man ja schon den »Hüttenbesitzer« spielt – wozu die schwächliche Verdeutschung?