Aufzeichnung von Hermann Bahr, 2. 9. 1904

2. Regen. Sturm.
Früh großer Brand des Geigerschen Holzplatzes; man sieht das Feuer von uns aus wunderschön.
Ich schreibe an Stefan Großmann:
Sehr verehrter Herr Grossmann!
Als ich im Juli Ihre »Gasse« las, wirkte sie so seltsam stark auf mich, dass ich nicht nur in meinem Kreise gern davon sprach (wo mir freilich eingewendet wurde, was mir daran so gefiele, sei wahrscheinlich mehr Tschechow, den ich nun erst las, aber doch ganz anders fand), sondern auch Ihnen schon einmal schreiben wollte. Ich liess es, weil man sich in Wien daran gewöhnt, dass einem kein Mensch glaubt, was man sagt, sondern jeder gleich darunter und dahinter etwas anderes sucht, wodurch man feig und einsam gemacht wird. Als ich Sie nun gestern aus der Ferne im Raimund-Theater sah, fiel mir dies wieder ein, ich wäre gern zu Ihnen gegangen, aber ich habe wieder jene östreichische Gêne gehabt, die uns fürchten lässt, den Argwohn der Menschen zu erregen oder aber ihnen lächerlich zu werden, wenn man so mit ihnen spricht, wie es natürlich wäre, dass die Menschen miteinander sprechen müssten. Jetzt aber gewährt es mir Ihr Brief, für den ich Ihnen herzlich danke, Ihnen sagen zu dürfen, dass mir Ihr Buch eine stark eindringende und beharrlich nachgehende Wirkung gemacht hat, dass mir Ihre Art, nichts jemals blos zu referieren, sondern alles immer blos darzustellen, diese ganz unfeuilletonistische, durchaus plastische Art eine wunderbar künstlerische scheint, und dass mich ausserdem Ihr Verhältnis zum Volk, das ich mehr ahne als eigentlich begreife, merkwürdig ergreift und indem es mich fast (vielleicht aus einem tief verborgenen Neid) traurig macht, mir doch als das Zeichen einer Zukunft, nach der ich mich müd und alt gesehnt habe, wol tut. Ob ich aber dies und manches andere, was zu sagen wäre, öffentlich Vorbringen kann, weiss ich nicht. Ich reduziere meine journalistische Tätigkeit jetzt auf ein Minimum. Jedes Feuilleton, das ich schreibe (gleich wieder das neulich, welches Sie erwähnen), muss den Niggerln durch einen erbitterten Kampf abgerungen werden und ich zweifle manchmal, ob es sich lohnt, so seine Kraft zu vergeuden, und ich frage mich oft, ob man nicht besser tut, Wien den Niggerln, auf die es so stolz ist, zu überlassen, und das bisschen Eitelkeit, das schliesslich jeder hat, durch Berliner und europäische Erfolge zu befriedigen oder doch beschwichtigen.
Vielleicht trifft es sich, dass wir von allem diesen einmal reden. Jedenfalls wissen Sie mich Ihnen aufrichtig ergeben und froh auf Sie hoffend.
Hermann Bahr.
An Dr Th. Beer:
Verehrter Freund!
Ihr Brief wurde mir, da ich verreist war, nachgeschickt, verfelte mich, blieb liegen und so kann ich Ihnen heute erst antworten. In Amerika kenne ich keinen einzigen Menschen, kann Sie deshalb auch an Niemanden empfehlen, ermächtige Sie aber gern, überall zu erklären, dass ich Sie unveränderlich schätze und nach meiner Meinung alle anständigen Menschen hier fortfahren, Ihnen die größte Sympathie und Verehrung darzubringen. Den Fall Beer-Hofmann, den ich nicht verstehe, kläre ich auf so bald er zurückkommt. In Ihrer Sache finden Sie mich immer bereit. Mit Loos, den ich künstlerisch hochachte, im Praktischen aber für einen Wurstl halte, will ich nichts anfangen. Mit Bachrach gern, nur ist er mir unbekannt, ich kann ihn nicht aufsuchen. Sie müssten die Verbindung herstellen, vielleicht durch Ihre Frau, die ich ja auch nicht kenne, aber aufsuchen will, wenn sie es wünscht und irgend glaubt, dass ich ihr raten kann, Ihnen zu helfen.
Mit den besten Wünschen
Hermann Bahr.
Adressieren Sie bitte nicht an das Tagblatt,
sondern nach Wien, XIII/7.
Für Ihre Karte will ich ihnen herzlichst danken. Ich kann mir wol denken, dass es in Ihren Bergen wunderschön sein muss. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, mit Ihnen einmal von der Akropolis über’s attische Land zu schauen.
Im nächsten Heft der Rundschau ist mein »Dialog vom Marsyas«, der mir in Athen aufgetaucht ist. Ich bitte Sie, ihn zu lesen und mir dann zu sagen, ob es Ihnen recht ist, dass er, in der Buchausgabe, Ihnen gewidmet, wird mit der einfachen Inschrift:
An Gerhart Hauptmann.
wie mein »Dialog vom Tragischen« »an Gustav Klimt« getauft ist. Dadurch möchte ich Ihnen sagen, dass ich es zu den schönsten Glücksfällen meines Lebens rechne, allmälig ein so rein und ruhig bewunderndes Verhältnis zu Ihren Werken gefunden zu haben, was mir nicht leicht wurde.
Im Sommer habe ich Ihnen einmal meinen »Franzl« geschickt, da Burckhard Ihnen Stelzhammer näher gebracht hat. Haben Sie darin geblättert?
Mit vielen Grüssen an Frau Grete und die nächste Generation
Herzlichst Ihr
Hermann Bahr.
Sehr vergnügt, daß es dem braven Mattasich doch gelungen ist, die arme Luise von Coburg zu befreien. Alle Menschen freuen sich, alle wissen, daß er unschuldig, daß sie nicht verrückt ist. Aber keiner hat für ihn oder für sie das Geringste getan. Das ist das specifisch Östreichische. Entweder: »gewiß ist das ungerecht, aber Sie werden das nicht ändern, das Leben ist eben ungerecht« (auf dieser Grundweisheit beruht alle katholische Corruption, die das Leben nicht corrigieren will, weil es die Kirche nötig hat, daß es incorrigibel ist). Oder: »Der M. hat freilich keine Wechsel gefälscht, aber er ist schon ein recht unsympathischer Herr, sie ist nicht verrückt, aber ich mag diese aristokratischen Urscheln alle nicht. Wissens?« (Dasselbe wie man über den Dr. Beer sagt: er ist ein Snob. Oder wenn ich, beim Grafen Milewski, fragen: »also dürfen in Östreich Grafen auf uns ungestraft schießen?«, mir antwortet: »für so einen Juden wie diesen Barber treten sie ein?«) Wir leben hier in einer Zone der Menschheit, welcher das Rechtsgefühl noch unbekannt ist. Es reizt mich sehr, über diese Dinge, über das Barbarische unserer Existenz, das man, durch unseren liebenswürdigen Ruf getäuscht, nirgends ahnt, an Harden eine Serie »aus Östreich« zu schreiben, da doch unsere dem Abonnenten nachjagenden Zeitungen den Östreicher immer nur so schildern, wie er sich gern sehen möchte, um sich über sich zu täuschen zu können. Soll ichs tun?
Bei der Gerty in Rodaun. Trüb, herbstlich. Abschied, da sie morgen mit Schnitzlers zu Hugo nach Lueg fährt.
Abends kommt die Hand der Eysoldt an, ich sitze lange sie betrachtend.