Ihr Brief vom 4. d. ist heute schon eingetroffen, was in dieser Zeit eine recht geschwinde Reise ist.
Ich beeile mich Ihnen den Empfang zu bestätigen und Ihnen herzlichst zu danken. Es
betrübt mich, daß Sie von Ihrem alten Leiden wieder heimgesucht sind, das aber doch
wie es scheint, immer milder auftritt, und immer weniger die Macht besitzt Sie in
Ihrer außerordentlichen Tätigkeit zu behindern. Daß Sie ein
Goethe-Buch geschrieben haben, das geht hier längst durch alle Blätter, und man wünschte nur,
recht bald eine deutsche Ausgabe zu besitzen. Wird man lange darauf zu warten haben?
Auf Ihre Bemerkungen den »
Bernhardi« betreffend, müssen Sie mir erlauben mit ein paar Worten zu erwidern, umso mehr als
das Stück Ihrem Herzen doch ziemlich nahe steht. Meiner Ansicht nach ist es keineswegs
geschaffen in dem Sinne entmutigend zu wirken, wie Sie es in Ihrem Briefe ausdrücken.
Was Sie sagen kann sich überhaupt nur auf die Schlußszene des Stücks beziehen und
da weise ich vor allem darauf hin, daß der Autor in keiner Weise für die Aussprüche
des Hofrats verantwortlich gemacht zu werden wünscht. Ich bin mit dem Hofrat nicht
identisch, ja, mit einem leichten Paradox könnte man behaupten, daß der Hofrat es
nicht einmal mit sich selber ist. Sie erinnern sich ja, daß Bernhardi dem Hofrat auf
seine, wenn Sie wollen, skeptisch-ironischen Vorhalte erwidert »Sie hätten an meiner
Statt geradso gehandelt wie ich«; worauf der Hofrat zur Antwort gibt: »Da wär ich halt grad so ein Viech gewesen wie Sie.« Aber er hätte so gehandelt! Bernhardi
hätte in einem zweiten solchen Falle auch wieder so gehandelt. Und beide hätten sich
nicht im Geringsten darum gekümmert, daß Andere oder sie selber sie für Viecher gehalten
hätten. Und ich glaube, daß die Angelegenheiten der Welt von den
Bernhardis, ja sogar von den Hofräten in der Art dieses
Hofrat Winkler erheblicher gefördert werden, als von den
Pflugfelders, von den Gerechten mehr als von den Rechthaberischen, von den Zweiflern mehr als
von den Dogmatikern aller Parteien; und je älter ich werde, umso vernehmlicher pfeife
ich auf diejenigen Leute, die a priori mit sich selber einverstanden sind; und wenn
mich nicht alles trügt, so blasen auch Sie, mein verehrter Freund, nicht ungern die
gleiche Melodie mit mir. – Im übrigen ist ja der »
Bernhardi« kein Tendenzstück und will es nicht sein, weder im Besonderen noch im Allgemeinen;
– soll überhaupt kategorisiert werden, so möchte ich ihn am liebsten als Charakterkomödie
angesehen wissen, und daß gerade dieses Stück auch in Ländern seine Wirkung nicht
versagt hat, wo von vornherein für spezifisch
österreichische Verhältnisse kein besonderes Interesse regsam sein dürfte, scheint mir dafür zu sprechen,
daß die Gestalten an sich das Publikum zu interessieren vermochten.
Daß Ihnen die »
Komödie der Worte« einiges Vergnügen bereitet hat, freut mich sehr. Die Einakter werden viel gespielt
und haben einen ansehnlichen Bühnenerfolg gehabt. Dagegen werde ich von einem gewissen
Teil der Kritik in einer selbst nach meinen nicht unbedeutenden Erfahrungen auf diesem
Gebiet fast emphatisch zu nennenden Weise angegriffen. Man hat nämlich bei uns (in
Deutschland und
Österreich) ein neues kritisches Maß für Kunstwerke entdeckt, den Weltkrieg. Und wie es den
Herren gerade paßt, wird man dafür zur Rechenschaft gezogen, daß das betreffende Werk
irgendwie an den Krieg erinnert oder daß es das nicht tut. Anläßlich des »
Medardus«, der im vorigen Herbst in
Berlin aufgeführt wurde, wurde es mir sehr verübelt, daß mein Held sich nicht sofort einem ursprünglichen
Entschluß gemäß, aufmacht, um den
Napoleon umzubringen, und sich statt dessen fünf Akte lang durch allerhand Privaterlebnisse,
die für Kritiker selbstverständlich nicht existieren, von der Ausführung seiner vaterländischen
Absicht abhalten läßt. Die »
Komödie der Worte« hinwiederum hat das Sittlichkeitsgefühl dieser Herren aufs Tiefste beleidigt. Daß
unter Sittlichkeit nach wie vor nicht etwa Wahrheit oder sonst etwas Vernünftiges
oder Positives, sondern ausschließlich Unterdrückung des Geschlechtstriebes verstanden
wird, brauche ich Ihnen nicht erst zu erzählen. Und daß ich in dieser großen Zeit,
wo sämmtliche Männer für das Vaterland fechten, (außer denen, die zuhause sitzen und
Theaterreferate schreiben) und sämmtliche Frauen trauern oder klagen, nicht nur an
Opfermut, sondern auch an Treue das Ungeheuerste leisten, (abgesehen von denen, die
es nicht tun) »so erbärmliche Wichte« auf die Bühne zu stellen wage, das hat besonders
gesinnungstüchtige Leute (in der
Kölnischen Zeitung, und viele andere Zeitungen haben es gerne nachgedruckt) zu der kühnen Frage veranlaßt:
»
Ob nicht gerade jene letzten Dokumente eines Wiener Literatentums (Schönherrs ›Weibsteufel‹
und Bahrs ›Querulant‹ waren nämlich miteinbezogen) Beweis dafür seien, daß unser trefflicher
Bundesbruder in diesem Weltkrieg auch einer inneren Reformation an Haupt und Gliedern
bedarf, um fortan in einer neuen deutschen Weltkultur bestehen zu können.«
Aber auch abgesehen von diesen kleinen und etwas lächerlichen Erfahrungen kann man
vielleicht finden, daß die Zeit nun eben groß genug geworden ist, und ein weiteres
Wachstum von Übel wäre. Über die militärischen und politischen Verhältnisse sind Sie
ja wohl in
Dänemark heute besser orientiert, als Sie es zu Anfang des Krieges gewesen sein dürften. Zusammengefaßt
kann man freilich nur sagen, daß die gemeinsame Sache der Zentralmächte so gut steht
als möglich und daß ein Ende doch noch nicht abzusehen ist. Ihrem
Schwiegersohn geht es hoffentlich weiterhin gut. Auch von uns stehen Verwandte und Freunde im Feld
oder sind anderweitig durch die Kriegsverhältnisse in Mitleidenschaft gezogen; auch
den Tod manches lieben Bekannten haben wir zu beklagen. Im Einzelnen über all dies
weiter zu reden müßte ins Grenzenlose führen. Ist es schon in ruhigeren Zeiten etwas
verwegen, im Dezember vom nächsten Sommer zu sprechen, so erscheint es jetzt beinahe
verrückt. Trotzdem möchte ich diesen Brief nicht gerne schließen, ohne der Hoffnung
einer baldigen Wiederbegegnung mit Ihnen Ausdruck zu geben, und jedenfalls wäre es
sehr liebenswürdig von Ihnen uns ab und zu durch eine Zeile von Ihrem Befinden, von
Ihrem Wohlbefinden zu benachrichtigen. Wollen Sie in meinem Namen auch
Peter Nansen die besten Wünsche für seine baldige Genesung bestellen ; seine neue
Novelle wird man wohl auch bald in deutscher Sprache zu lesen bekommen. In den vielen Jahren,
da er leider schwieg, hat man ihn hier keineswegs vergessen und wird sich seiner neu
erwachenden Produktionskraft aufrichtig freuen. Und nun leben Sie wohl, und seien
Sie, auch im Namen meiner
Frau, aufs Allerherzlichste grüßt.