Ich weiss nicht, ob ich Ihnen in meinem letzten Briefe den Empfang Ihrer frd. Sendung
der jüngsten
Rathenau’schen
Schrift bestätigt habe: wenn nicht, so thue ich dies heute und verbinde damit mn Glückwunsch zu dem brillanten
Essay im heutigen
Wiener Journal über diese Schrift. Sie charakterisiren die Persönlichkeit
R.s höchst treffend und mit ihr die Stellung des
Berliner Judenthums. Es ist durchaus richtig, dass die Juden in
Berlin sich eine geistig leitende und produktive Stellung im Leben der deutschen Nation
prod gesichert haben: während das
Wiener Judenthum die alte
österreichische Kultur hauptsächlich zersetzt, karrikiert und unfruchtbar gemacht hat, ohne
an deren Stelle etwas Neues und Lebenskräftiges zu setzen. Freilich, in der
österr. Industrie haben die Juden durchwegs die führende Rolle gespielt, sie sind darin und
im ganzen modernen Wirtschaftsleben
Oesterreichs noch ganz anders die Führer und Schöpfer
d gewesen als ihre Glaubens- oder »Rassegenossen« in
Berlin. Jedoch im Geistigen haben sie teils nur mittelmässig teils Direkt korrumpierend gewirkt:
sie haben statt Literatur Feuilletonismus gemacht, statt wirklicher Dichtung Gesellschaftssatire,
übrigens auch in der müden und wenig produktiven Weise
Arthur Schnitzlers. – Was Sie über
Rathenaus Büchlein sagen, trifft ganz meine eigene Meinung:
ich möchte ebenso gern wie
Rathenau eine bessere Gesellschaftsordnung als die unsrige sehen und ich bin bereit, Alles,
was dazu geschehen kann, meinerseits mitzumachen, aber an den »Staat« als ökonomischen
Retter und Heiland glaube ich nicht. Immer wieder dieselbe
preußische Überschätzung des Mechanismus, den man dort »Staat« nennt, obgleich doch
Rathenau selbst über das Wesen und die traurigen Folgen dieser Mechanisierung soviel Kluges
gesagt hat. Derselbe »Staat«, der jetzt die Multimillionäre des Kriegsgewinnes geschaffen
hat, soll jetzt die socialistische Gesellschaft produzieren! Wo sind die Menschen,
die diesen »Staat« verkörpern sollen? Etwa die Herren v. d. Vaterlandspartei, oder
die lendenlahmen Sozialdemokraten? Ich glaube, auch
diese Aufgaben wird
England wieder besser lösen als wir; wenn irgendein Sozialismus etwas praktisch Brauchbares
schafft, wird es der jener Leute sein, die die Arbeiterschaft
Englands in diesem Kriege leiten. – Wie geht es Ihnen, lieber Freund, mit der Gesundheit?
Ich bin noch immer nicht ganz up to the level, bin erkältet und heiser. Leben Sie
recht wol und seien Sie vielmals gegrüßt von Ihrem getreuen
Seidlers Sturz ist eine der kläglichsten Affairen: die Herren Deutschnationalen haben diesen
»armen Narren« gut in die Tinte gesetzt. Er wird natürlich
nicht bleiben u dies ist mir ebenso klar, wie dass die
Ukraine ein ungeheurer Bluff und »fraud« ist.