Rosa Freudenthal an Arthur Schnitzler, [31. 10. – 3. 11. 1897]

Sonnabend

Einen zerfahrenen Brief hab ich ihm da geschrieben, – ich weiß nicht mehr recht was – er wird antworten, – sicher ich möcht mit ihm reden, ihm Alles sagen was mich drückt, er ist doch der einzige Mensch, der versteht wie ich es meine. Er ist anständig und vornehm bis in die kleinsten Falten seines Herzens, seines Denkens, daß ich oft niedrig, gemein, kalt denke, liegt doch wohl daran, daß ich schon als Kind viel Trauriges und Schlechtes sah, auch begriff, dadurch wurde alles Warum in mir lebendig begraben. Ich hab mich nicht viel mit mir beschäftigt, nie hat mir jemand so viel von mir gesagt wie er, ich hab auch niemand so von mir erzählt wie ihm. Wieviel man diesen Sommer von mir machte, ohne zu wissen wer ich bin, – das freut mich noch – sonst schob ich das immer auf unsere gesellschaftliche Stellung, – aber diesen Sommer meinte man mich selbst, ha! Er und ich – es ist ganz klar, ich liebe ihn nicht, weil er nicht sich allein gehört, – mir liegt das nicht! Dass er dahin geht, dort seine Welt hat – entfernt ihn so absolut von mir, nicht einmal, daß es mich schmerzte ihn dort zärtlich zu wissen, – genau als wenn es sich um einen Fremden handelte, und doch – ich kann mir vorstellen, daß er ganz allein auf der Welt mir gehörte, daß ich ihn dann so lieben würde wie er sich das denkt, – aber er gehört dorthin – und ich – zu den dunklen Leidenschaften, zu denen die man haßt weil man sie liebt, und die da liebt er – weil sie ihm doch gleichgiltig ist. –
Er und ich – wir sind beide unliebenswürdig, besonders Morgens, – schade – es ist so viel behaglicher liebenswürdig zu sein! – Sonderbar – daß man ihn schön findet – – doch – manchmal – ja – wenn ich ihn am Clavier sitzen seh kam er mir schön vor, – er hat so die pikante Schönheit der nervösen Blondinen, die man am liebsten ganz schwarz gekleidet sieht – ich mußte das oft denken, – es thut mir leid, wenn er sich putzte, – sich so absichtlich anzog, das steht ihm nicht, – macht ihn so unwürdig – – »ich solle nicht alle Menschen ummodeln wollen« schrie er mich an – doch – gerade an ihm möchte ich soviel ein wenig ummodeln, – nicht meinetwegen – sondern seinetwegen – er ist so viel – und mir ist, er könnte noch viel mehr sein, so unendlich Viel und Schönes, – er soll halten was sein Bild früher versprach.
Bin ich gewiß sehr herrschsüchtig wenn ich es möchte, daß er nach meinem Geschmack etwas änderte, aber ich will es doch nicht meinetwegen, es ist mir als müsse er dann jedem besser gefallen! Wenn er mit seiner Mutter Clavier spielt – das erscheint mir so ungenial, die alte Dame mit ihren kurzsichtigen, nach innen blickenden Augen, sitzt so neben ihm, mit ihrer korrekten harten unbiegsamen Gestalt und thut mit ihren harten Fingern dem Clavier weh und er – während er spielt – denkt er an alles Mögliche nur nicht was er spielt und wie – – Gott – er soll nicht so spielen, – ach ich versteh ja nichts davon, – aber mir ist es schade für ihn, – es macht mich so kalt gegen ihn, da will ich ihn ummodeln, er soll so spielen, nur wie ich es meine, ich fühl das – ah ich versteh das – wenn auch Opern mir grauselich sind!
Ob er wohl behaglicher in einer anderen Umgebung wäre, es sind alle um ihn so häßlich, so unfröhlich, so trostlos grau, daß er darum vielleicht nie von sich selbst los kommen kann u zuviel von und über sich denkt. Und ich? Denke ich nie von mir? Ich weiß so wenig von mir, mein Herz ist mir so fremd, daß ich mich wundere wenn es mir so weh thut, es nicht begreife, daß ich elend bin, Nachts nicht schlafen kann, wortkarg tTags herum irre, unfähig zu Allem, (und jetzt nur schreibe um meine Gedanken zu bannen,)wegen Dinge die mich gar nichts angehen sollten, da ich doch gefühllos bin, – ich will gefühllos sein, – ich haße alles Weichlige!

Sonntag

Bei unserem Umzug kam mir eine alte verstaubte Schachtel in die Hände, noch fast von Mama zugebunden, – von mir Schulhefte, Schreibereien, Gedichte und – sehr ulkig – eine angefangene Novelle geschrieben als ich 13–14 Jahr alt war. Es hat mich amusirt das Geschreibsel und auch die Handschrift zu sehen, – ein Aufsatzheft war mir sehr drollig, ich hätt ihm gern etwas davon geschickt, aber so etwas kann leicht langweilen. Als Mama starb, damals, als in der Breslauerstr der Haushalt aufgelöst wurde, brachte man mir die Schachtel, dann hab ich sie nicht aufgemacht, weil es mich nicht interessirte später hab ich sie vollkommen vergessen, und jetzt beim Umzug nach so langer Zeit. Wenn er hier wäre, mit mir zusammen würde er über manches lachen, wenn mein persönlicher Hauch ihn dabei berührte! –
Jetzt – so traurig bin ich, so bang ist mir, während ich schreibe stehen fortwährend Thränen in meinen Augen – ach nervös bin ich!

Dienstag

Soeben habe ich Ihre beiden Briefe erhalten, und mich zu Bett gelegt, da ich erkältet bin, von wo aus ich Ihnen schreibe.
Uebrigens so wie Sie schreiben, können Sie mir direkt schreiben, – wenn ich Ihren Brief schon gestern gehabt hätte, wäre ich heut gar nicht aufgestanden. Der Brief vom 23. lag wo anders und hab ich denselben auch eben erst geholt. Als ich den letzten Brief, Taubenstr. holte, fühlte ich durch das geschlossene Couvert nur nach dem Bilde – ich fühlte es war nicht darin, (merkte wie ich doch an dem Bilde hänge) glaubte Sie belieben zu grollen, beeilte mich in Folge dessen absolut nicht den Brief zu öffnen, sondern ging mit demselben in der Tasche spazieren, und beschloß, mich mit Fulda als moderner Mensch auf den festen Boden der Thatsachen zu stellen und achselzuckend zu verzichten! So las ich schließlich und endlich Ihren Brief und freute mich sehr über den warmen, milden Hauch der mir entgegen wehte und bereute meine häßlichen Gedanken von vorher. Ich wünschte sehr, daß es Ihnen so gut ginge daß Ihr Stück bald fertig wird und schön soll es werden. Wie brauchen notwendig ein gutes Stück hier, nachdem doch Agnes Jordan wie es scheint nichts war? Auch war ich zur Première von Fulda’s Jugendfreunde, welches ich eckelhaft fand, dagegen gefiel mir Tschaperl von Bahr nicht ganz schlecht, und versunkene Glocke gefiel mir riesig, aber wir müssen doch etwas Neues haben. Neulich ging ich bei Lazarus vorbei und ihr Bild war nicht im Fenster, ich war wüthend über die Vernachlässigung ging hinein und sagte, »Weshalb ist das Bild von Schnitzler nicht im Fenster?« Er sagte mir, »wir haben nichts Neues von Schnitzler für’s Fenster« – so sag ich »Dann stellen Sie nur die Libelei hinaus, ist noch so gut wie Tschaperl« – und – als ich heut vorbei kam steht mein Schnitzler mit seiner Libelei wieder drin! Ein großes Bild, aber nicht das meine, so seitwärts, – ganz artig sieht’s aus! Wenn unser neues Stück gut wird, lassen wir uns photographiren und denk dabei an ein gewisses Lied von Brahms, oder an die schwarzweiße Bluse mit dem rothen Gürtel, oder an den schönen Schinken in Salzburg!
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Sagen Sie, wann Sie kommen können, ich bitt Sie bald, glauben Sie nicht, es würde Sie ein wenig aus Ihrer schauerlichen Verstimmung reißen, wenn Sie sehr bald einmal auf einige Tage fortkämen?, abgesehen von Ihrem Stück, aus welchem ich dann wohl gern etwas hören möchte! In Wien braucht man es ja nicht wissen!

Mittwoch

Sie wollen wissen wie ich lebe? Ach Gott – schauen Sie, Berlin bekommt mir nicht, in dieser kurzen Zeit war ich schon zweimal sehr erkältet, trotzdem ich mich so in Acht nehme, daß ich mir schon selbst eckelhaft bin, und wenn ich eine Weile spreche, bin ich heiser. Aber nach dem Süden gehe ich nicht, wissen Sie, mir liegt nichts daran mich künstlich länger zu erhalten also, wozu soll ich soviel Geld kosten, hat ja doch keinen Zweck. Ich lebe also zu Haus in wohl gewärmten Zimmern, bin Vormittags meist böse, ruhelos laufe ich hin u her, dann kleide ich mich schnell und ohne Sorgfalt an, gehe allein spazieren, an die Schaufenster, besonders Bilderläden, Kunsthandlungen sind mein Ziel, wenn ich jemand Bekanntes sehe, gehe ich aus dem Weg, da ich keine Lust zum reden habe. Dann gehe ich nach Haus, zum Mittag, dann schließe ich mich ein, in mein Schlafzimmer leg mich nieder, bin traurig lese, oder schreibe, bis Besuch kommt, dann rede ich, gleichgiltiges Zeug, über Theater, Schauspieler, Bücher, Bilder, bis ich heiser bin, dann bin ich wüthend, daß ich wieder heiser bin, gehe schlafen, schlafe schlecht. In die Theater gehe ich viel, ich sehe Alles. Gelesen habe ich jetzt die Tagebücher von Hebbel: – – – Hebbel ist nicht der Mann meiner Begeisterung,– schauen Sie ich habe noch nichts von Hebbel gelesen, und hab in Folge dessen kein Urtheil aber die Tagebücher sind mir zu glatt gekämmt, zu sauber gewaschen, mir zu farblos, mir gehts damit wie mit klassischer Musik,– ich bin nicht reif dafür. Ich habe auch in Folge dessen, den zweiten Band nicht so sorgfältig und genau gelesen wie sonst meine Art ist sondern, flüchtig und liederlich und schäme mich ein Wenig Ihnen das einzugestehen. Ich hab nachdem Heine gelesen, das Buch Le Grand gefällt mir viel besser – das thut Ihnen leid, nicht? Schauen Sie, es liegt vielleicht an deß schlechten Stimmung, daß ich mich lieber mit Heine unterhalte, als über Hebbel denke, man ist manchmal so faul zum denken, und es ist so bequem sich unterhalten zu lassen!
Sagen Sie mir ehrlich, ist es Ihnen lieb, daß ich so viel schreibe? Ach Gott, Sie sind ja nicht ehrlich, und meine Frage überflüßig!
Schreiben Sie mir wenn Sie Lust haben direckt und wenn Sie mir etwas allein sicher zu sagen haben dann gilt unsere Verabredung Gruß von Dr. R. B. H. und ist die Adresse dann H. Postamt 68. Aber auf Ahnungen verlassen Sie sich bitte nicht ich hab wenn – dann nur verkehrte Ahnungen. Sie können mir ruhig schreiben, ich lese aus Ihren Briefen ihm das vor, was ihn interessirt, sonst Grüße
Wie immer Ihre
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