Zwanzig Jahre leben wir jetzt an einander her, oft lief der eine wunderlich vom Wege
querfeldein, doch nie so weit, daß wir uns aus den Augen kamen. Vielleicht weißt Du
drum mehr als ich selbst von mir; und ich vielleicht von Dir. So gewähre, daß ich
Dir sagen darf, was mit Dir ist: laß mich Dich Dir deuten!
Wahrheit spricht: werde was Du bist! Welt spricht: Mir diene, mir!
Wien spricht: nur nix übertreiben! Wer, in dieses Land gebannt, hatte je den Mut zu wählen?
Wir sind hier vom Schlag der Menschen, denen der Meister
Seuse nachsagt, daß sie
wollen und wollen doch nicht. So gehts allen; nur merkt man es an anderen mehr als an sich. Und auch Du, mein
Arthur, hast zuweilen
Wien erhört, auch Du hast Dich von Dir selbst, von der Entscheidung zu Dir selbst wegschmeicheln
lassen! Dann schreibst Du die Stücke, die nicht von Dir sind, sondern vom
Anatol. Denn,
Arthur, der
Wiener in Dir ist
Anatol. Den werden sie heute kränzen. Nimm den Kranz, heb Dir ihn gut auf, aber leg ihn
weg! Leg ihn weg und laß ihn weg, dann aber geh getrost auf den Sechziger los. Den
Anatol laß bei dem
Wiener Kranz, er ist kein Begleiter zu dem, was Deiner harrt! Schöneres kann, wer Dir
gut ist, Dir am heutigen Tage nicht wünschen.
Erinnerst Du Dich, was
Kürnberger über
Grillparzer schrieb? Moses flehte zum Herrn: schicke einen anderen, Herr, schicke meinen Bruder
Aron! Aber der Herr hat ihn nicht erhört. Sonst wäre Moses gestorben »
als ein alter loyaler Hofrat des Pharao.«
Grillparzer aber hat der Herr erhört. »
Grillparzer packte seine großen Fähigkeiten und starken Leidenschaften zusammen, sperrte
sie in die Schublade und steckte den Schlüssel zu sich.« Und wer ist unter uns, der sicher wäre, daß nicht auch ihn der Herr noch erhört?
Arthur, mir bangt oft, denn
Anatol hat viel zum Hofrat Pharaos.
Du hast jetzt Erfolg um Erfolg. Aber Du weißt ja, daß man in dieser Stadt hier nur
durch Mißverständnis Erfolg hat, dadurch allein, daß die Leute nicht merken, wer man
ist. Warum soll man sich ein solches Mißverständnis nicht gefallen lassen? Aber gib
dem Teufel nur diesen kleinen Finger, so hat er Dich schon und Du wünschest Dir dann,
daß sie Dich mißverstehen! Nein,
Arthur, man kann nicht unerkannt berühmt sein. Es hilft Dir nichts, einmal wirst Du doch
wählen müssen. Wählen zwischen
Wien und Dir!
Weißt Du noch, daß ich Dir das schon vor Jahren schrieb? Ganz plötzlich kam es einmal
über mich. Ich taumelte damals noch im Irrgarten der Theaterkritik, da saß ich einst
in einem
Stück von Dir, auch einem der Stücke, die mir so gut gefallen, bis mir dann auf einmal
einfällt, daß sie von Dir sind, denn von Dir gefallen sie mir nicht, weil Du mehr
bist und ich, was Du bist, ganz von Dir will. So saß ich ganz beklommen da und dann
sollt’ ich über das Stück schreiben, ich fing es zu erzählen an, aber ich mußte Dir
alles sagen und so verwandelte sich die »
Rezension« mitten drin in einen Brief an Dich – o die armen Abonnenten des
Neuen Wiener Tagblatts, die werden am andern Tag erschrocken sein! Ich aber konnte nicht anders, ich mußte,
so schrieb ich mitten drin plötzlich auf Dich los:
Acht Jahre ist’s her, daß ich dies schrieb. Ich kann Dir heute nichts anderes sagen,
nichts besseres wünschen, Du bist mir zu lieb. Du bist mir zu lieb, denn täusche Dich
doch nicht: Du bist kein
Hofrat unserer Pharaonen, laß Dich nicht dazu machen, Du bist mir zum
Wiener Liebling zu gut, es gibt ein Land, das weiter ist. Bescheide Dich nicht, ergib
Dich nicht an
Wien, erhöre Dich selbst! Vorwärts, aufwärts, werde was Du bist!
Ich wünsche Dir das Werk, das Dich enthält. Und nun, mit den Worten
Goethes an
Jacobi: »
Laß uns, so lang wir leben, einander was möglich ist, sein und bleiben.«