Alfred Deutsch-German: Wiener Porträts. XLVI. Hermann Bahr, 5. 4. 1903

Wiener Porträts.

XLVI.
Hermann Bahr.

Schleierumhüllt liegt die Stadt noch im halben Winterschlaf, und draußen auf den freieren Höhen pocht der Frühling schon an die Thore. Da liegt der Garten in der jungfräulichen Pracht des Werdens, die Stöcke noch vom Reif umfangen, der Rasen aber schon fett und locker und erdig duftend. Ein letzter Sonnentag und die Keime tauchen empor ans Licht zur Auferstehung. – Ein Haus, eigenartig und sonderbar, paßt mit der Nüchternheit der Mauern, mit den Fenstern, die wie aufgerissene Mäuler aussehen, nicht recht in die herbe Landschaft.
Nur ein Marillenbaum hat seine Blüthenpracht entfaltet und grüßt mit den bestreuten Zweigen. Es ist schier unangenehm, daß die Natur sich nicht dazu verstehen will, einem modernen Haus die richtige Stimmung zu geben, die Blüthen sollten größer, die Zweige geradliniger sein.
Und vollends stört der Hausherr. Da kommt ein Mann, der bisher in der Sonne gesessen, groß und kräftig mit durchaus unregelmäßigem Gang, von Antlitz finster und noch furchtbarer durch Kleidung und Begleitschaft. Jägermäßig ist seine Tracht, der aufgestülpte Hut, die Wadenstrümpfe und zwei böse Hunde an der Koppel vervollständigen den Eindruck: KasparFigur aus Webers Oper Der Freischütz., der wilde Jäger. Aber es ist nur Hermann Bahr in seiner Behausung in Ober-St. Veit. Wir treten in das Haus und der grün-blaue Zauber umfängt mich bald. Da gibt es Räumlichkeiten, klein und zierlich und größer, bauernmäßig, aber es ist Alles luftig und licht und man sieht sich so was riesig gern an und freut sich noch mehr, wenn man draußen ist. Aber das muß wohl Gewohnheit sein. Ich habe mich in der Villa Bahr gründlich unmöglich gemacht, denn ich hielt mir die Augen zu, als wir über einen grellblauen Teppich schritten; das soll nicht die richtige Auffassung Olbrich’scher Kunst sein. – Aber es gibt hier schöne Bilder von den Größen der neuen Kunst, und man sieht deutlich, wie sie den Rahmen heben. Niemals schienen mir auch Tulpen so wunderbar farbig und fein als in dem blauen Zimmer, da sie ihre Köpfe hochauf, fast duftvoll zur Decke strecken. Und vom Mittelzimmer sieht man weit hinaus ins Land und freut sich der Nebelgebilde, die über den Städten hängen. Der echte Bahr aber zeigt sich mir im Studirzimmer. Es ist den schönen Künsten und vor Allem Klimt geweiht. Da grüßt im Mittelfeld die »Wahrheit« mit dem häßlichen Antlitz und dem violetten Leib, und läßt an aller frauenhaften Anmuth zweifeln. Aber es bannt den Besucher wohl und kann ihn in noch so gesättigter Laune zum Nachdenken bringen. Und das Ganze ist ein Tempel, nur daß dieses Bild von Sais sich Einem immerfort aufdrängt und die Nerven bedroht. Denn Bahr hat dem Erbauer des Hauses klar seine Ansicht kundgethan, für die Wahrheit Klimt’s sollte ein Raum geschaffen werden, der das Bild in den Vordergrund drängt und alles Andere in Form und Farbe ihm zu Füßen legt. Das ist nun trefflich gelungen.
Bahr erzählt Wundervolles von dem Bild. Es hält ihn in Stimmung, es stärkt und kräftigt. Tritt er früh Morgens in sein Zimmer, dann ist die Wahrheit vom Licht umfluthet, dann erlebt er etwas wie Sonnenaufgang. Und stets, auch in trüben Tagen, hat das Bild seine Kraft gewahrt. Da begreift sich’s, daß er es liebt.
Wir sprechen nun von Klimt, und Hermann Bahr nennt ihn einen großen, fertigen Menschen, der nur wie zufällig hier lebt, der aber mit seiner Kunst so wahr ist, wie etwa die Franzosen. Er zeigt mir die Bilder der Duse, die sie zumeist in welker Sinnlichkeit wiedergeben. Wie theuer sie ihm ist, das weist wohl ein Spruch der Künstlerin, der mit fester, erzwungener Männlichkeit über der Eingangsthür zu seinen Zimmern prangt.
Und dann sprechen wir im Studirzimmer von all den tausend Dingen, über die der erfahrene, kluge, geistvolle Hausherr wie selten Einer zu sprechen weiß. Er stand Pathe, da viel große Dinge entstanden, aber sein Ruhm übertrifft seine Thaten und er hat nur das Ueble, daß alle Auswüchse, alle Phrasen auf sein Conto kommen. Er lächelt und ereifert sich darüber nicht, er gibt gern zu, daß viel hinter ihm liegt, daß er gesucht, getastet hat. Aber er vertritt das nur so beiläufig. Und so fand ich keinen Feuergeist, athme nur sein Temperament und war am meisten enttäuscht, als ich die Bahr-Locke verschwunden fand, die so lange richtunggebend für das Aeußere junger Talente war.
Ein Gast kam, da wir eben sprachen, und ich muß ihn einführen, denn es ist Dr. Arthur Schnitzler. Der machte sich’s nun gleich bequem, und es schien ihm ein Vergnügen, zu sehen, wie ein Anderer porträtirt wird. Bahr ist sehr leicht zu treffen, und er macht Einem die Arbeit auch angenehm. Kennt er doch selbst das Metier und weiß, daß es nichts Angenehmeres gibt, als auf ein Modell zu stoßen, das Kanten und Ecken hat, an die man den Meißel setzt.
»Ob er seinen Einfluß auf die Auswüchse der Modernen in Literatur und Kunst zugesteht oder ob es Legenden sind, die ihm die vielen Vaterschaften zusprechen?«
Bahr lächelt und zögert mit der Antwort, und Schnitzler meint mit seiner feinen, gut abgetönten Stimme: »Ist das nicht ein bißchen zu grob?«
Herr Bahr verwahrt sich dagegen, so vieles Unfruchtbare gezeugt zu haben. Es sind also Legenden. »Denken Sie,« sagt er, »Mirbeau entdeckt Maeterlinck in Paris und ich führe den Dichter, durch den Artikel im ›Figaro‹ angeregt, in Wien als Conferencier ein. Bin ich da der Vater? – Oder denken Sie vielleicht, daß ich die Secession erfunden habe, oder daß ich an den Versen Hofmannsthals Schuld trage?« –
Und das Café Griensteidl? Die legendarische Kaffeehausliteratur?
Bahr lächelt und Schnitzler greift in die Debatte ein. Der Eine erklärt, in seinem Leben nur zweimal mit Schnitzler und Hofmannsthal zusammen in dem genannten Café gewesen zu sein, der Zweite ist geärgert darüber, daß man noch immer in »trefflich« informirten Zeitschriften von ihm als Kaffeehausdichter spricht. Und ich entnehme den Ausführungen Folgendes: Das mit dem Café Griensteidl und den großen Schlagworten, die dort von Bahr ausgegeben worden sein sollen, ist Erfindung und Eselei. Aber Bahr amüsirt sich darüber, daß die Legende noch heute erhalten ist. Er will Mode gemacht haben vor Jahren in Berlin, als er, Tovote und Holz einen neuen Stil creirten. Damals liebte er die kurzen Sätze, die Gedanken mußten knapper präcisirt sein, die durchwachten Nächte trugen auch Schuld daran. Und Andere machtens ihm nach. Heute ist das anders, er ertappt sich auf langwierigen Perioden und bringt das mit seiner veränderten Herzthätigkeit, mit Vielschreiberei und Lectüre zusammen.
Wir kommen auf Kritik und ihren Einfluß auf den schaffenden Künstler.
Bahr gibt seine Ansicht kund, die dahin geht, daß der Kritiker lediglich fürs Publicum sein Amt ausübt. Belehrung der Leute ist seine Mission, für den Künstler ist sie bedeutungslos. Denn Bahr glaubt nicht, daß der Künstler durch das Wort des Tadels oder des Lobes ein Anderer werden kann, und gerade so wenig der Dichter.
»Die schlechte Kritik hat also keinen Einfluß?«
»Auf den Künstler nicht!«
»Doch,« unterbricht Schnitzler, »er giftet sich.«
Und wir sind nun mitten im Thema: Ungerechte, persönliche Beurtheilung, Verrohung der Theaterkritik.
Bahr mag die Kritik nicht, die persönlich wird und hat den Stachel selbst empfunden, als man beispielsweise nach seinem »Apostel« schrieb: »Der Dichter, der eine Villa in Ober-St. Veit besitzt . . . &c.« Schnitzler denkt milder, er will nur nicht, daß die Kritik böswillig sei; schließlich ist er der Ansicht, daß der Sudermann’sche Rummel nicht sehr begründet war, denn das persönliche Moment bei der Beurtheilung hätten schon Goethe und Schiller empfinden müssen. Ein gesuchter Witz in einem Referat sei aber keine so himmelschreiende Sache, denn »ein guter Spaß ist mir lieber, als ein schlechtes Stück«.
Ein schlechter Kritiker kann mich nicht ändern, sagt Herr Bahr, aber ein weiser Kritiker kann es wohl dazu bringen, daß ich in Erkennung meiner Mängel mein Werk aufgebe. Und dazu kann den Dichter der Kritiker bewegen; das zeigt sich trefflich bei Grillparzer, den die Kritik verbittert hat und nicht die Censur. Es ist höchst überflüssig, wenn ich von Schnitzler beispielsweise schreibe, daß ihm zum Shakespeare etwas fehlt. Das kann ihn nicht besser machen, denn er weiß, daß ihm nur Eines dazu fehlt: das Talent. Nicht wahr, das stimmt doch! Und Schnitzler bejaht.
Bahr fuhr mit Sudermann nach der Première der »Drei Reiherfedern« nach Berlin und merkte dem Dichter schon im Coupé an, daß er mit der »Verrohung in der Kritik« schwanger ging. Sudermann war beispielsweise von einem Referat gekränkt, in dem von seinem schönen Bart die Rede war. Herr Schnitzler erklärt, ihn würde das nicht ärgern, und Herr Bahr ist der gleichen Meinung.
Wir kommen auf die Schauspielkunst der Duse. Ob Herr Bahr der Ansicht ist, daß ihre Kunst auf die deutschen Schauspielerinnen gewirkt hat?
Herr Bahr verneint sehr energisch. »Nein, sie haben nichts gelernt von ihr, oder doch Einiges. Sie zerraufen sich die Haare, tragen keine Mieder und gefallen sich in den unmöglichsten Schaukelbewegungen.« – Herr Bahr zeigt mir diese Darstellungskunst sehr drastisch, indem er seine noch immer stattliche Mähne kraut und im Sessel lustige Wippübungen macht. Und er hält überhaupt nichts von dem Ablernen, dem Copiren. Es werden Namen genannt von Leuten, die Jeder auf seiner Walze hat, und dann zwei, die nicht nachzuahmen sind: Baumeister, Mitterwurzer. Schnitzler nennt auch den Namen Girardi, und wie es kommt, daß seine unantastbare Originalität so viele Nachbeter verträgt.
»Das hat schon seinen Grund,« sagt Bahr. »Er schöpft eben aus dem Volk und es ist nur ein Beweis seiner Echtheit, wenn Viele so sprechen wie er. Ich kenne einen Bäcker, der zur Zeit meinem Stubenmädchen den Hof macht, und ich kann nicht genug staunen, wie er dem Girardi in Gesten und Worten ähnelt, obzwar es sicher anzunehmen ist, daß er ihn vielleicht nur einmal in seinem Leben auf der Bühne gesehen hat –.«
Ob man Journalist und Bühnenschriftsteller sein kann, ohne in einem eine Nebenbeschäftigung erblicken zu müssen?
Arthur Schnitzler läßt die Fragestellung nicht zu: »Das dürfen Sie doch nicht Bahr fragen, der Beides ist, denn über sich selbst kann man nicht bei Beantwortung einer Frage stehen. Ich glaube aber, daß Goethe, Lessing und Hebbel den Befähigungsnachweis erbracht haben, sie waren Kritiker, Journalisten, Schriftsteller; man kann Arzt sein als Schriftsteller, man kann Taschendieb sein, man muß nur Zeit genug haben . . . «
Wie Hermann Bahr arbeitet?
Es muß ihm etwas einfallen, blitzmäßig muß es ihn erleuchten, das Andere geht dann leicht: der Weg von Hietzing nach seiner Wohnung in Ober-St. Veit kommt ihm prächtig zustatten, da kommen die hübschesten Ideen. Auch Schnitzler ist gern allein bei der ersten Arbeit, er liebt noch die Ortsveränderung, das Radfahren.
Wir begeben uns ins blaue Zimmer und ich verabschiede mich. Da sieht man, was die Gewohnheit ausmacht, die grellen Reflexe wirken jetzt nicht mehr so störend, und man wünschte in diesem Raume eine Frau zu sehen, mit rothem Haar und angethan mit weißen, losen Gewändern.
Noch einmal kommt das Gespräch auf vergangene Zeit. »Weißt Du noch,« sagt Schnitzler, »wie wir an jenem Abend zusammensaßen im Lothringer BierhausZum Lothringer benanntes Lokal am Kohlmarkt im 1. Wiener Gemeindebezirk. Das Haus wurde im Mai 1892 wegen Einsturzgefahr gesperrt und in der Folge abgerissen, womit das geschilderte Ereignis im ersten Jahr der Bekanntschaft zu verorten wäre. Schnitzlers Tb erwähnt das Lokal nicht. und Du das Wort »die Moderne«, kurz vorher geprägt, auf den Antrag eines Gastes zurücknahmst? Es war lustig!« – Und Bahr lacht herzlich in der Erinnerung an jenen Abend, es war ja doch eine Zeit, die Männer zum Reifen brachte.
Auf dem Heimweg schien mir die Natur fabelhaft unecht. Bahr’s Stolz, der Marillenbaum hatte violette Flecke und sein Haus war in grelles Roth getaucht, seine Hunde aber bellten blau. Ich glaube, so muß es jedem Naivling ergehen, der auszieht, die Wahrheit zu schauen. . . .
A. D.-G.