Ein Ehrenbeleidigungsproceß, Neues Wiener Tagblatt, 23. 2. 1901

Ein Ehrenbeleidigungsproceß.

Wir berichteten im gestrigen Abendblatte über den Beginn des Schwurgerichtsprocesses über die Ehrenbeleidigungsklagen, die von dem Schriftsteller und Theaterkritiker Hermann Bahr sowie dem Director des Deutschen Volkstheaters Emerich v. Bukovics gegen den Redacteur der »Fackel«, Carl Kraus, erhoben worden waren. Die Verhandlung währte bis zum Abend und wird erst heute zu Ende geführt werden. Die Veranlassung zu dem Proceß gaben bekanntlich zwei Artikel, in welchen Herrn Bahr vorgeworfen wurde, daß er sich von Director Bukovics durch einen geschenkten Baugrund habe bestechen lassen; ferner wird Herrn v. Bukovics Ehrenwortbruch gegenüber einem Autor zum Vorwurfe gemacht. Die Verhandlung begann mit der Vernehmung des Angeklagten zu dem zuletzt angeführten Anklagepunkt. Kraus bekannte sich als Verfasser des Artikels, erklärte sich nichtschuldig und bot hiefür den Beweis an. Der erste Zeuge, eben jener junge Autor, demgegenüber Director v. Bukovics das Ehrenwort gebrochen haben soll, erklärte unter Eid und auf wiederholte eindringliche Fragen, daß Director v. Bukovics kein Ehrenwort gegeben habe, und daß nie die Rede von einem Ehrenworte war. Weitere Zeugen erklärten, daß nach dem Erscheinen des incriminirten Artikels der Autor unmuthig erklärt habe, er könne nicht berichtigen, der Kern der Sache sei richtig. Wie er gestern auseinandersetzte, meinte er damit die Thatsache, daß sein Stück wohl angenommen, jedoch bis zum bestimmten Termin nicht auf aufgeführt worden sei.
Der Privatkläger Director v. Bukovics wurde zweimal als Zeuge einvernommen. Hermann Bahr wird erst heute einvernommen werden.
Nachstehend setzen wir unseren Verhandlungsbericht fort:
Präs.: Herr Holzer! Sie haben gemeint: es ist ein gewisser Stolz, wenn einem Autor ein Theater, wie das Deutsche Volkstheater, ein Stück aufzuführen verspricht. Ist es nun nicht möglich, daß Sie gesagt haben: »Ich habe das Ehrenwort, ich habe einen Contract gehabt«, so daß Sie dann gegenüber Ihren Freunden als Märtyrer dagestanden wären, dem es auch so schwer ist, sich durchzusetzen und er sein Stück gleich wieder weggestellt sieht? Oder haben Sie einen Grund, Herrn Fränkl zu verdächtigen? – Holzer: Ich kann nur das Eine sagen: ich kann mit positiver Bestimmtheit behaupten, daß der Ausdruck »Ehrenwort« in keinem Kaffeehausgespräche gefallen ist.
Präs.: Wenn Sie das auch vor dem Kaffeehaus gesagt haben sollten, so wäre das auch ganz gleichgiltig, so bald Sie unter Eid aufrechterhalten können, daß Sie von Bukovics das Ehrenwort nicht erhalten haben. – Holzer: Das kann ich, denn ich habe sicher nicht gesagt, daß ich das Ehrenwort erhalten habe.
Präs. (zu Fränkl): Sie bleiben also dabei, daß Sie erzählt haben, was Sie gehört haben?
Fränkl: Ja. Ich hatte doch kein Interesse daran, daß die Sache in die »Fackel« kommt.
Dr. Kienböck (zum Zeugen): Nun unter Ihrem Eide: Ganz bestimmt hat Ihnen Herr Holzer erzählt, er habe das Ehrenwort erhalten? . . . Ein Irrthum ist von Ihrer Seite nicht möglich? . . . Sie haben erzählt, daß Sie einige Tage nach Erscheinen der Nummer 53 der »Fackel« von Holzer antelephonirt wurden. Was hat er Ihnen erzählt?
Fränkl: Er hat gesagt, es kann eine Verwechslung sein.
Dr. Kienböck (zu Holzer): Ist das richtig?
Holzer: Ich habe gesagt, woher hast Du das? Wie kommst Du dazu? Es wäre doch Wahnsinn von mir gewesen, eine Geschichte von einem Ehrenworte zu erzählen. Man gebraucht doch ein solches Wort nicht so leichtsinnig.
Dr. Kienböck (zu Holzer): Sie werden doch zugeben, daß Sie sich bezüglich des Ehrenwortes nicht erinnern können – wo doch Fränkl von Ihnen gehört hat, daß Ihnen das Ehrenwort gegeben wurde?
Holzer: Pardon! Gehört haben soll!
Dr. Kienböck: Wollen Sie behaupten, daß er die Unwahrheit sagt?
Holzer: Ich kann nur eben sagen: es wird im Kaffeehause gewesen sein, wo man eben wie im Kaffeehause sprach.
Dr. Kienböck: Herr Fränkl sagte: »Bei diesem telphonischen Gespräch hat mir Holzer gesagt, Du, da mußt Du Dich geirrt haben, denn es war von einem anderen Autor die Rede, welchem das Ehrenwort gebrochen worden ist.« Ist das richtig oder lügt er?
Holzer: Das weiß ich nicht; ich habe aber von einem gebrochenen Ehrenwort gar nichts gesagt.
Dr. Kienböck: Stellen Sie es mit voller Bestimmtheit in Abrede, oder wissen Sie sich nicht daran zu erinnern, daß Sie dem Fränkl gesagt haben: »Du mußt Dich irren, es wird von einem anderen Autor die Rede gewesen sein?«
Holzer: Es ist möglich, vielleicht hat Herr Fränkl von einem anderen Autor gesprochen.
Fränkl: Holzer bat damals einen bestimmten Autor im Auge gehabt. Ich fragte damals: »Welchen Autor meinst Du denn?« Er hat mir dann einen bestimmten Autor nennen wollen.
Dr. Harpner (zu Fränkl): Sie wissen also nicht genau, was er gesagt hat? Sie wissen nur, was er im Auge gehabt hat? (Heiterkeit.)
Fränkl: Herr Holzer sagt selbst, es ist möglich, daß er es gesagt hat.
Dr. Harpner: Es ist also – den Vorwurf muß ich Ihnen schon machen – aus einer Tratscherei eine schwere Ehrenbeleidigung gegen einen Ehrenmann entstanden!
Dr. Kienböck (aufgeregt): Ich bitte, der Zeuge hat seine Aussage beschworen!
Präs. (energisch): Ich bitte, sich doch nicht aufzuregen, Herr Doctor. Wir werden doch hier nicht auch noch raufen. Ich habe Ihnen die Freiheit des Wortes gestattet, bis zur Provocation des Zeugen.
Dr. Kienböck: Ich habe nur auf die Bemerkung des Klageanwaltes reagirt.
Präs. (zum Angeklagten): Es ist Ihnen auf ausdrücklichen Wunsch der Kläger die allergrößte Redefreiheit gewährt worden, wie sie vielleicht niemals einem Angeklagten zugestanden wurde. Wir sind doch hier zusammen, um der Wahrheit auf den Grund zu kommen. Dann wollen wir auch in aller Ruhe verhandeln. Ob der Herr Doctor das Kaffeehausgespräch Tratsch oder anders nennt, das ist Geschmacksache. Jedenfalls wäre es besser, wenn die literarischen Sachen nicht im Kaffeehaus besprochen würden.
Dr. Kienböck: Uebrigens, die Herren Geschwornen werden ja darüber urtheilen.
Präs. : Gewiß. Und die Herren Geschwornen sind so sehr Menschenkenner, daß sie das Richtige finden werden.
Der nächste Zeuge ist Dr. Robert Scheu, Conceptsadjunct im Handelsmuseum. – Präs.: Sind Sie Zeuge dafür, daß Herr Holzer behauptet hat, Herr Director Bukovics hätte sein Ehrenwort gebrochen? – Zeuge: Unmittelbar nicht; aber ein Bekannter hat eine Aeußerung von Herrn Holzer erzählt: Das, was in der »Fackel« steht, sei zwar entstellt, das Traurige sei aber, daß der Kern doch richtig ist, so daß er (Holzer) nicht in der Lage wäre, zu berichtigen. – Präs.: Wem gegenüber wurde diese Aeußerung gemacht? – Zeuge: Dem Dr. Richard Wengraf gegenüber. – Präs. (den Zeugen Holzer vorrufend): Ist das richtig? Haben Sie das dem Dr. Wengraf einmal gesagt? – Zeuge Holzer erinnert sich nicht, erklärt aber, in einem Gespräch im Kaiserjubiläums-Stadttheater gegenüber Dr. Schnitzler über die Veröffentlichung in der »Fackel« gesagt zu haben: Ich verstehe nicht, wie die ganze Geschichte zustande kam. Wir müssen uns übrigens ducken, denn wenn wir es nicht thun, dann wird das Stück ganz gewiß nicht aufgeführt.
Die Sitzung wird hierauf zur Vorladung des Doctor Richard Wengraf unterbrochen und nach längerer Pause mit dessen Vernehmung wieder aufgenommen.
Präs. (zum Zeugen): Sie sind Conceptspractikant im Handelsmuseum? Sie sind selbst Schriftsteller? – Zeuge: Ich habe früher geschrieben. – Präs.: Ist vom Schicksal des Holzer’schen Stückes »Der Frühling« gesprochen worden? – Zeuge: Ich habe davon gehört, daß die Aufführung im Burgtheater und im Volkstheater aufgeschoben worden sei. – Präs.: Was wissen Sie über die Verschiebung am Volkstheater? – Zeuge: Ich habe mit Holzer nur anläßlich des Erscheinens der Nummer 53 der »Fackel« gesprochen. Es war bei der Première von Bahr’s »Wienerinnen«. Holzer war von der »Fackel«-Notiz sehr unangenehm berührt. Präs.: Warum glauben Sie, daß er unangenehm berührt gewesen ist? – Zeuge: Weil es Jedem unangenehm ist, wenn seine Privatsachen in die Oeffentlichkeit kommen. Präs.: Hat er nicht auch für das Schicksal des Stückes gefürchtet? – Zeuge: Darüber hat er mir nichts gesagt. Aber es war ihm unangenehm, daß seine Privatsachen in die Oeffentlichkeit kommen. Er sagte, er wolle zum Director Bukovics gehen und sagen, daß er dieser Veröffentlichung fern stehe. Ich sagte, er müsse sich da nicht aufregen, er könne einfach eine Berichtigung schicken. Darauf sagte Holzer, eine Berichtigung könne er darüber nicht einschicken, weil doch der Kern der Sache wahr wäre.
Präs.: Was haben Sie unter diesem Kern verstanden? – Zeuge: Daß ihm sein Stück mit bestimmtem Termin angenommen worden sei und innerhalb dieses Termins nicht zur Aufführung gelangte, was mich aber nicht weiter Wunder genommen hat.
Präs.: War davon die Rede, daß ihm ein Ehrenwort gebrochen worden sei?
Zeuge: Daran kann ich mich nicht erinnern. Er hat nur gesagt, im Großen und Ganzen wäre die Sache richtig, so daß er nicht berichtigen könne.
Präs. (zu Herrn Holzer): Waren Sie damals bei der Première der »Wienerinnen«? – Zeuge: Ja. An das Gespräch kann ich mich aber nicht erinnern. – Präs.: Wenn Sie es gesagt haben, was haben Sie damit gemeint, daß der Kern wahr sei? – Zeuge: Wie Herr Dr. Wengraf richtig gesagt hat, daß das Stück angenommen und nicht zum Termin aufgeführt worden ist.
Angekl. (zum Zeugen Holzer): Sie hätten ja doch berichtigen können, daß Ihnen keinerlei bindendes Versprechen gegeben worden ist. Nur das ist ja logisch. – Zeuge: Erstens hätte ich Herrn Kraus überhaupt nicht berichtigt, und zweitens ist im Bureau davon gesprochen worden, daß er die Berichtigung nicht bringen wird. – Der Angeklagte setzt die Bestimmungen des § 19 P.-G. auseinander und meint, man kann doch auch Dinge berichtigen, die ganz bestimmt wahr sind, wenn es nur Thatsachen sind. Wenn Jemand schreibt: »Die Sonne scheint«, so kann die Sonne berichtigen: »Die Sonne scheint nicht«. (Lebhafte Heiterkeit.) – Präs.: Ganz richtig. Sie sind sehr gut über den § 19 orientirt. (Heiterkeit.) – Angekl.: Das wird ja aber auch der Herr Redacteur Holzer jedenfalls wissen, daß umso mehr etwas, was wirklich unwahr ist, berichtigt werden kann. – Präs.: Das sollte Jedem wohl auch das Gefühl geben.
Angekl.: Worin besteht nun der Kern der Sache, wie hier gesagt wird? Er kann naturgemäß nicht darin bestehen, daß das Stück angenommen und nicht aufgeführt wurde. Das geschieht ja hundertmal. Der Kern muß darin liegen, daß in irgend einer verbindlichen Form – durch Ehrenwort oder männliches Versprechen die Aufführung zugesagt wurde. Holzer hätte ja trotzdem berichtigen können, und ich hätte dann hinzugefügt, ich halte es aufrecht. Aber zu sagen, man könne nicht berichtigen, weil der Kern wahr ist, da gibt man es ja selbst zu.
Dr. Harpner: Sie hätten aber der Berichtigung des Herrn Holzer hinzugefügt: Ich halte meine Behauptungen aufrecht, und weil er das wußte, dachte er sich: Die Berichtigung ist gar nicht nöthig, wenn es zur Verhandlung kommt – und er wußte, daß es dazu kommen werde –, da dachte er, da werde ich als Zeuge die Wahrheit sagen!
Dr. Kienböck (zu Holzer): Haben Sie denn von dem Proceß gewußt vor dem Gespräch mit Dr. Wengraf? Haben Sie vor der Aufführung der »Wienerinnen« mit Bukovics gesprochen?
Holzer: Wie ich mich dunkel erinnere, war es an demselben Tage der Aufführung. An diesem Tage war die Briefgeschichte, da bin ich zum Herrn Director hinaufgekommen und habe mit ihm gesprochen. Da wurde nur gesagt, Herr Kraus wird ja doch Alles aufrecht halten!
Angekl.: Das ist doch kein Grund. Das thut ja zum Beispiel die »Arbeiter-Zeitung« jeden Tag. Sie setzt hinzu: Herr X. X. ist ein Lump, ein Schuft, ein Verleumder, wir halten Alles aufrecht, das steht täglich drinn!
Dr. Harpner: Und in der »Fackel« allerdings nur dreimal monatlich! (Lebhafte Heiterkeit.)
Holzer: Ich habe nicht berichtigt, sondern Herrn Director Bukovics einen pneumatischen Brief geschrieben, und bin am Abend desselben Tages in der Theaterkanzlei bei ihm erschienen mit der Frage, was geschehen solle? Director Bukovics sagte mir: »Machen Sie gar nichts, aber bitte, erlauben Sie mir, Sie bei einem allfälligen Proceß als Zeugen zu führen.«
Angekl.: Ich habe mich des schwachen und bedrängten Schriftstellers gegen den übermächtigen Theaterdirector angenommen, während der Socialdemokrat Dr. Harpner . . .
Dr. Harpner (einfallend): Sie können Ihre Verantwortung so eingehend führen als Sie wollen, was mich und meine politische Richtung betrifft, so geht Sie das gar nichts an. (Zum Zeugen Holzer:) Was Sie im Kaffeehause gesagt haben, ist ganz gleichgiltig, die Hauptsache ist, ob Sie sich in Ihren Rechten geschädigt erachten, ob Ihnen Versprechungen gemacht und nicht gehalten wurden?
Zeuge Holzer: Nein, nein!
Gleich darauf erhebt sich der Vertreter des Privatanklägers Dr. Harpner, um den Antrag zu stellen, Director v. Bukovics als Zeuge unter Eid zu vernehmen.
Dr. Kienböck spricht sich gegen die Beeidigung aus wegen der feindseligen Gesinnung des Zeugen.
Angekl.: Ich kann zur Ehre des Herrn Holzer nicht annehmen, daß das, was er zwei oder drei verschiedenen Leuten an dem Tage des Erscheinens der »Fackel« gesagt hat, von Anfang bis zum Ende erlogen ist. Auch spricht es für meine bona fides, daß drei Zeugen für mich aussagen. Ich habe gar keine persönlichen Interessen verfochten, ich wollte nur das thun, was Herr Bahr und Genossen im Interesse Arthur Schnitzler’s thaten.

Vernehmung des Directors v. Bukovics.

Nunmehr tritt Director v. Bukovics vor die Zeugenbarre. Der Präsident nimmt dem Zeugen die Generalien ab. Er ist 57 Jahre alt, in Wien geboren, dahin zuständig, katholisch, verheiratet, wohnt in Ober-St. Veit. Der Zeuge wird in Eid genommen.
Präs.: Hegen Sie gegen den Angeklagten eine Feindseligkeit? – Zeuge: Durchaus nicht! – Präs.: Angenehm berührt hat Sie aber sein Benehmen nicht? (Heiterkeit.) – Zeuge: Nie. – Präs.: Ich bitte, der Wahrheit gemäß Ihr Verhältniß zu Holzer und seinem Stücke darzulegen.
Zeuge: Ich möchte nur bitten, daß ich zunächst dagegen protestiren darf, daß man für Theaterdirectoren eine eigene Ehre construirt. Ich bin ein Mann, und wenn man mir sagt, ich habe mein Ehrenwort gebrochen, so hat man mich beleidigt. Ich habe das Stück von Holzer auf Empfehlung des Hofrathes Burckhard angenommen, gelesen und großes Interesse daran gefunden. Einige Schwächen und Gebrechen habe ich allerdings darin gefunden und mich mit Herrn Holzer ins Einvernehmen gesetzt und gesagt, ich bin bereit, das Stück aufzuführen. Darauf kam der früher verlesene Vertrag zustande. Nun gibt es zwei Fälle, wenn das Stück nicht aufgeführt wird: Der eine ist, daß der Autor klagt und ein Pönale verlangt, der andere ist der des Einverständnisses. Holzer hat sich mit mir vollständig einverstanden erklärt, und so sehe ich nicht ein, wo zwischen diesen beiden Wegen überhaupt ein Platz für ein Ehrenwort sein soll. Es ist mir unfaßbar, wie irgend ein Geschäftsmann ein Ehrenwort geben soll, da, wo man Verträge macht, und beim Theater kann man es am allerwenigsten thun, da plötzliche Hindernisse aller Art kommen können. Wenn man das Theater nicht umbringen will, muß man fortwährend verschieben, und wir verschieben thatsächlich das ganze Jahr. Ich sage es hier ganz offen, wir haben in unserem Cassabuch ein ganz gehöriges Conto für Entschädigungen, die wir leisten, um die Termine verschieben zu können. Wir haben enorme Auslagen, und wir kämpfen um unser Dasein, aber das Deutsche Volkstheater steht ehrenvoll und anständig da. Zwei- oder dreimal habe ich mit Herrn Bahr über Holzer’s Stück gesprochen und ihm gesagt, ja, ich werde es aufführen, sowie ich es nur kann. Außerdem muß ich an dem Stücke acht oder zehn Tage arbeiten. Auf der Reise nach Linz habe ich eine Stunde über das Stück mit Holzer gesprochen, aber unter meinem Eide sage ich es, über die Verlegung habe ich ihm nur gesagt: Warten Sie ab, warten Sie zu, es ist besser, wenn Sie im Herbst zur guten Theaterzeit herauskommen, als im Frühling. Es ist eine ganz gerechtfertigte Forderung, sich der Jungen anzunehmen. Das bringt uns Theaterdirectoren oft in schwierige Lagen. Nimmt sich aber Einer der Jungen an, so bin ich es, das darf ich getrost sagen. Aber die allerersten Autoren haben sich Schiebungen gefallen lassen, und eine gewisse Freiheit der Bewegung muß auch eine Theaterdirection haben, gerade so wie ja auch eine Redaction oft wegen Raummangels Artikel nicht erscheinen läßt.
Präs.: Haben Sie, Herr Zeuge, je Herrn Holzer damit beschwichtigt, daß Sie ihm die Aufführung seines Stückes unter Ihrem Ehrenworte zusicherten?
Zeuge (mit Nachdruck): Nie! Ich brauche gar nicht mein Gedächtniß zu Hilfe zu nehmen. Einem Autor, der drängt, gibt man einen Vorschuß oder sucht auf gütlichem Wege ein Einvernehmen, aber ein Ehrenwort ist da ganz ausgeschlossen.
Präs.: Wir haben hier eine Reihe sehr anständiger Menschen als Zeugen gehört, welche unter Eid gesagt haben, und zwar die Einen, Holzer habe von einem gebrochenen Ehrenwort gesprochen, die Anderen, Holzer habe gesagt, die Darstellung in der »Fackel« sei im Kern wahr.
Zeuge: Ich stehe vor einem Räthsel. Ich habe kein Wort gegeben. Es kann sein, daß der junge Autor in der Kränkung einmal ein Wort fallen ließ, das weiterging, als es den Thatsachen entsprach. Allein es ist nicht mein Beruf, dies zu erklären. Ich kann nur sagen, ich habe kein Ehrenwort gegeben.
Dr. Kienböck: Director Bukovics hat uns gesagt, er habe sich einmal außerordentlicherweise der Vermittlung des Theaterkritikers Bahr bedient.
Zeuge: Entschuldigen Sie, ich habe nicht gesagt, daß ich mich des Herrn Bahr bedient habe, sondern Herr Holzer hat sich an Herrn Bahr gewendet, und das ist gewiß schön von Bahr, daß er sich junger Leute annimmt.
Dr. Kienböck: Warum wird dann eigentlich ein Contract gemacht und überhaupt eine Frist für die Aufführung festgesetzt?
Präs.: Ich weiß nicht, wieso das hieher gehört, übrigens ist doch die Antwort klar.
Zeuge (mit Nachdruck): Damit der Director das Stück mit Sicherheit erwerbe. Für die Nichtaufführungen werden Entschädigungen gezahlt.
Dr. Kienböck: Wenn es der Autor verlangt.
Zeuge: Sonst nicht. (Heiterkeit.)
Dr. Kienböck: Warum wird von Hermann Bahr am Deutschen Volkstheater jährlich wenigstens ein Stück aufgeführt?
Zeuge: Ja, entschuldigen Sie, ich habe mich doch nicht vor Ihnen wegen meiner Directionsführung zu verantworten. (Lebhafte Heiterkeit und Beifall.)
Präs.: Wünscht noch Jemand eine Frage? Wenn nicht, dann wären wir mit dem Beweismaterial für die Anklage des Herrn Bukovics zu Ende.

Das zweite Verhör mit Kraus.

Der Präsident ertheilte nunmehr dem Angeklagten das Wort zur Verantwortung gegen die von den Herren Hermann Bahr und v. Bukovics gegen ihn erhobenen Anklagen. Der Vertheidiger bittet, zu erlauben, daß sich der Angeklagte sitzend verantworte. Der Präsident ertheilte die Zustimmung mit der Bemerkung, daß der Angeklagte Vormittags unwohl geworden sei und der Gerichtsarzt ihm Hilfe leisten mußte.
Der Angeklagte hält nun ein sehr langes Plaidoyer, in welchem er sich über Ursprung und Tendenzen seines Blattes verbreitet, sowie über die Kämpfe, die er bis jetzt zu bestehen hatte. Man habe es auch mit dem »Todtschlagen« versucht, denn im April 1899 sei er in einem Kaffeehaus von fünf Männern überfallen worden. Das habe aber Alles nichts genützt, denn er habe weiter seinen Kampf verfolgt: gegen die Presse, gegen die Börse, gegen jegliche Art von Ausbeutung, gegen den Terminhandel &c. &c. Materielle Vortheile habe er dabei nicht gesucht; er sei auch bereit, seine Bücher und Bilanzen vorzulegen; ein Geschäft habe er mit dem Anticorruptionismus nicht machen wollen. Er beruft sich auf Aeußerungen des heutigen Vorsitzenden Baron Distler sowie des Vice-Präsidenten v. Holzinger über gewisse Formen der Corruption, und erwähnt unter Anderem seine Haltung in dem Proceß Dreyfus. Da er dabei die Namen Abwesender nennt, unterbricht ihn der Präsident mit den Worten: »Ich bitte, doch keine Namen zu nennen«. Nach Erwähnung seines Kampfes gegen die Südbahn geht der Angeklagte endlich auf das Capitel Theater und Kunst über und macht eine Reihe von Ausfällen gegen den Kläger Hermann Bahr sowie Andere, die zugleich Journalisten und Theaterautoren sind, und in deren Auftreten ein System liege, das er bekämpfen zu müssen erklärt, was ihm anonyme Drohbriefe eingetragen habe. Unter Anderem citirt er eine Stelle aus einem Artikel von Hermann Bahr, der jetzt Vicepräsident der »Concordia« sei, was Alles besage.
Präs.: Ich muß doch abwesende Corporationen, die Sie angreifen, in Schutz nehmen. Ich würde Sie übrigens Vieles nicht sprechen lassen, da es nicht zur Sache gehört, allein es ist der Wunsch der Kläger, Sie Alles sagen zu lassen!
Angekl.: Ich bitte, es sind ja genug Vertreter der »Concordia« anwesend.
Der Angeklagte führte dann aus, daß Bahr vor Jahren ein Gegner des Deutschen Volkstheaters und seines Directors, dann zum warmen Freunde desselben wurde, und zwar von dem Moment an, wo er begann, seine Stücke dort einzureichen. Von da ab, sagt der Angeklagte, hätte Bahr nicht mehr die Kritik über das Deutsche Volkstheater führen dürfen.
Der Angeklagte verliest nun Kritiken Bahr’s über das Deutsche Volkstheater aus früherer Zeit und zieht Parallelen mit den Kritiken der letzten Zeit; wie früher die Regie des Theaters getadelt wurde, so sei sie dann mit Rücksicht auf die persönlichen Beziehungen zwischen Bahr und Bukovics gelobt worden. Daran knüpft der Angeklagte die Beschuldigung, daß weiterhin eine Politik der Beschönigungen und eine Tantièmienpolitik gefolgt sei; sodann macht er Bahr den Vorwurf, daß er aus der vor zwei Jahren erschienenen Sammlung seiner kritischen Feuilletons die Scenen ausmerzte, die sich gegen Bukovics und das Deutsche Volkstheater richteten. Der Angeklagte verweist hiebei auf verschiedene Aufsätze Bahr’s in der »Deutschen Zeitung«, für welche er vor Jahren geschrieben hatte, und meint, solche Wandlungen hätte nicht einmal er von Bahr erwartet.
Präs.: Ich glaube, daß Herr Bahr der Wahrheit immer die Ehre geben wird; er wird für das, was er geschrieben hat, auch immer eintreten.
Der Angeklagte vergleicht noch weiter in detaillirter Weise die Urtheile Bahr’s aus verschiedenen Zeiten über die Stücke »Zwei glückliche Tage«, »Lolos Vater«, »Rosmersholm«, »Komödianten« und »Talisman«, und erwähnt die seinerzeitige Aeußerung des Klägers: »Das Deutsche Volkstheater ist das reine Exil für invalide Dichtungen.«

Ein Brief von Harden.

Es tritt sodann die Mittagspause ein. Nach Wiederaufnahme der Sitzung fährt der Angeklagte fort: Ich habe bereits vor der Verhandlung im Verein mit meinem Rechtsanwalt mich an hervorragende Literaten mit der Frage gewendet, ob ein Theaterkritiker über dasselbe Theater, das zwei Stücke von ihm angenommen hat, und von dem er jährlich mehrere tausend Gulden Tantièmen bezieht, Recensionen schreiben soll, und ob nicht der Verdacht naheliegt, daß der Dichter sich durch seine mercantilen Beziehungen zur Theaterkanzlei beeinflussen läßt?
Präs.: Haben Sie die Anfrage ohne Nennung der Namen gestellt?
Angekl.: Ja, nur Harden wußte, welcher Fall in Frage stehe, die Anderen wußten es nicht.
Präs.: Sie haben also nur gewisse allgemeine Prämissen gegeben?
Angekl.: Nur ganz allgemein. Ist die kritische Thätigkeit compatibel mit der dichterischen, und welche Consequenzen hat diese Vereinigung? Liegt nicht der Verdacht der Beeinflussung nahe?
Ein Gutachten von Maximilian Harden, Herausgeber der »Zukunft«, liegt vor. Harden nun, der die Gabe des Herrn Bahr als Dichter, wie ich aus persönlichem Verkehr mit ihm weiß, sehr schätzt, aber seine kritische Thätigkeit nicht verfolgt, schreibt: »Sehr geehrter Herr! Jede Parteinahme in dem Streite möchte ich ablehnen. Ick kenne das dafür wichtige Material nur unvollkommen und bin den Ereignissen zu fern, um urtheilen zu können. Auch halte ich mich dazu für verpflichtet, da ich seit Jahren zu Bahr in freundschaftlichen Beziehungen stehe und keinen Grund habe, ihn einer unehrenhaften Berufsauffassung zu zeihen. Ich kenne ihn nur als höchst begabten Schriftsteller, der zwar mitunter schrullenhaft sich zeigt, aber zur Zeit unseres Verkehrs gegen die Corruption und das Cliquewesen nicht minder heftig zu Felde zog als Ihr Client. (Nach einer Zwischenbemerkung fährt Harden fort:) Aber Sie verlangen eine principielle Aeußerung von mir, und der mich nicht zu entziehen, gebietet mir die Pflicht. Doch bemerke ich im Voraus, daß jegliche Spitze gegen Bahr fehlt und fehlen soll. Ihre Frage soll so beantwortet werden, wie Gewissen und Tactgefühl mir vorschreibt.«
Präs.: Ich hoffe, daß die Herren Geschwornen das reine Gold in diesem Satze erkennen.
Harden schreibt weiter: »Meine principielle Auffassung möchte ich so formuliren: Ein Mann, dem sich je die Möglichteit bieten kann, zu einem Theaterdirector in geschäftliche Beziehungen zu treten, soll über das Geschäft des Directors nie öffentlich Urtheile fällen, die den Gang dieses Geschäftes beeinflussen können. Mindestens muß er das öffentliche Urtheilen sofort aufgeben, sobald solche Beziehungen entstehen. Wie ein Richter, gegen dessen Parteilichkeit Mißtrauen besteht, so gilt mir im Allgemeinen der Kunstrichter als befangen abzulehnen, dessen Parteilichkeit nicht absolut unverdächtig ist. Der gelehrte oder der Laienrichter wird freiwillig zurücktreten, wenn er materiell mitbetheiligt ist, und selbst dann, wenn er sich stark genug fühlt, keinem persönlichen Interesse Schweigen zu gebieten. So sollte auch in künstlerischen und literarischen Dingen der Richter handeln, der da Kritiker heißt. Ich finde es sehr betrübend, daß Journalisten, denen ein Theaterdirector Tausende einbringen kann, öffentlich über solche Directoren zu Gericht sitzen. Der als Dramatiker dem Director verpflichtete Kritiker steht dem Theater zu nahe, als daß er dem Publicum ganz unparteiisch scheinen könnte. Wenn ein Kritikerstück auf dem Repertoire steht, ist für den Kritiker die Gefahr groß, ein neues unfreundlich zu behandeln, weil es seinem eigenen leicht Raum abnehmen könnte. Auch kann er die Schauspieler, die seine Gestalten verkörpert haben, Anderen vorziehen. Solche Verschiebungen brauchen nicht immer den Urtheilenden zu Bewußtsein zu kommen, sie sind, wie der Psychologe weiß, auch gegen seinen Willen möglich. (Der Brief verbreitet sich sodann speciell über die einschlägigen Berliner Verhältnisse und fährt dann fort:) Zu bedenken ist noch das, daß ein Director auch nach der Annahme viel für ein Stück thun kann. Er kann es für eine gute Spielzeit bestimmen, und wenn er sich über ein paar schlechte Einnahmen hinwegsetzt und wenn das Publicum ein Stück so lange auf dem Spielplane sieht, dann wird es sich sofort sagen: dahin müssen wir auch gehen. Deshalb bekenne ich mich zu dem Grundsatz: Niemand soll öffentlich als Richter eines Unternehmens auftreten, von dem er in öffentlicher Form irgendwelche Einnahmen bezieht. Da haben Sie meine Ansicht. Mit Hochachtung
Der Angeklagte erwähnt noch eine Meinungsäußerung von Carl Bleibtreu und kommt auf die Thätigkeit des Dramaturgen Fellner zu sprechen, die unstatthaft sei, indem Herr Fellner beispielsweise für das »Magazin der Literatur« eine Kritik über einen Autor geschrieben hat, der zugleich Herausgeber des »Magazin der Literatur« ist.
Präs.: Das hat doch aber Herr Bahr nicht zu verantworten.
Nach Erwähnung der Meinung eines englischen Herausgebers verweist der Angeklagte auf zwei deutsche Kritiker, die von ihren Posten zurückgetreten seien, als sie für das Theater zu schreiben begannen, während Herr Bahr erklärt, sich hiedurch nicht beeinflussen zu lassen.
Präs.: Sie dürfen nicht vorgreifen, wie Herr Bahr sich verantworten wird. Kommen wir auf unser Thema wieder zurück.
Hierauf kommt der Angeklagte auf den Vorwurf der »schenkungsweisen Transaction zwischen Bahr und Bukovics«, wie er es nennt, zu sprechen und erklärt, die Schenkung eines Grundstückes wäre nach seiner Ansicht das Geringste und Allerletzte. Alles Andere habe Herr Bahr nicht aufgegriffen. Herr Bahr beziehe jährlich Tausende von Tantièmen für seine Stücke, und das sei ein weitaus gefährlicherer Vorwurf als der jener geschäftlichen Transaction. Denn daß ein Freund dem anderen etwas schenkt, halte ich nicht für das Schimpflichste, was geschehen kann. Ich halte es aber wohl für schimpflich, daß ein Kritiker von einem Theaterdirector ein Grundstück geschenkt erhält. Was er sonst gegen Bahr geschrieben habe, halte er für viel stärker als den Vorwurf betreffend das Grundstück. Er habe weiter nichts zu sagen.
Präs.: Es obliegt mir nun, Ihnen, meine Herren Geschwornen, das Vorgebrachte in den Rahmen der Strafproceßordnung zu bringen. Ich werde daher kurz wiederholen.
Der Präsident verliest nochmals die incriminirten Stellen und wendet sich hierauf an den Angeklagten mit der Frage, ob er noch etwas zu sagen habe.
Angekl.: Ich hätte noch sehr viel zu sagen. Aber ich glaube, daß ich später noch dazu kommen werde.

Weitere Zeugenvernehmungen.

Der Präsident verliest hierauf die Zeugenaussage des Directors des Deutschen Theaters in Berlin, Otto Brahm. Dieser sagt aus, es sei bei ihm ein Stück Hermann Bahr’s eingereicht worden. Da es zur Aufführung nicht angenommen wurde, habe Bahr keine weiteren Annäherungsversuche gemacht.
Es wird zur Vernehmung des Zeugen Dr. Arthur Schnitzler geschritten. Er gibt an, 38 Jahre alt, in Wien geboren und hieher zuständig zu sein, von Beruf Arzt und Schriftsteller.
Präs.: Erinnern Sie sich, Herr Zeuge, für Herrn Bahr mit dem Deutschen Theater in Berlin in Verbindung getreten zu sein?
Zeuge: Ja, ich habe Herrn Brahm im December 1896 ein Stück von Bahr geschickt, das »Tschapperl«. Wir wußten Beide, daß die Chancen für die Annahme dieses Stückes keine besonders günstigen sind.
Präs.: Die Berliner können schon den Titel nicht aussprechen. (Heiterkeit.)
Zeuge: Herr Brahm hat sich geäußert, daß das Stück zur Annahme nicht geeignet sei. Von der Angabe von Gründen könne er umso eher absehen, als das Stück nicht direct eingereicht worden sei. Dies habe ich dem Herrn Bahr mitgetheilt. Ich weiß allerdings nicht, ob mündlich oder schriftlich.
Präs.: Haben Sie später noch einmal intervenirt?
Zeuge: Ich kann mich nicht erinnern, mit Bahr darüber noch einmal gesprochen zu haben, außer in den letzten Tagen, wo wir über diesen Proceß gesprochen haben.
Präs.: Haben Sie, Herr Zeuge, gehört, daß Herr Bahr außer diesem Falle noch einmal mit dem Deutschen Theater verhandelt hätte?
Zeuge: Absolut nicht.
Dr. Harpner (zum Zeugen): Sie hatten wohl die Ansicht, daß das Stück kaum angenommen werden würde. Nicht wahr, es hat sich hier um eine Art Versuch gehandelt?
Zeuge: Ja, ja! So war es auch.
Präs.: Waren Sie also über die Ablehnung so erstaunt?
Zeuge: Nein!
Dr. Harpner: Wenn Sie nun hören, daß Herr Bahr vier Jahre nach diesem Vorfall das Deutsche Theater ungünstig beurtheilt haben soll, glauben Sie, daß es irgend einen Sinn hat, vorauszusetzen, Bahr habe sich dafür rächen wollen, daß sein Versuch mit dem »Tschapperl« mißlungen sei?
Zeuge: Ich bin überzeugt, daß dies nicht der Fall war; ich bin absolut überzeugt davon.
Angekl.: Ich finde es sehr komisch, daß Herr Bahr ein Stück eingereicht haben soll, in der Hoffnung, daß man es ablehnen werde. Die Feindseligkeit Bahr’s gegen Brahm bestand ja auch schon früher, schon aus der Zeit der Gründung der Freien Bühne, sie wurde nur verschärft durch diese Ablehnung. Auch ich habe das Deutsche Theater angegriffen, es aber nicht zu Gunsten des Deutschen Volkstheaters herabgesetzt.
Nachdem der Angeklagte noch mitgetheilt hatte, wie er auf einem Spaziergang im Stadtpark von zwei Mitgliedern des Deutschen Theaters – den Herren Reinhart und Zinner – erfahren habe, daß die kritische Haltung Bahr’s diesem Theater gegenüber durch die Ablehnung eines von ihm eingereichten Stückes hervorgerufen worden sei, verliest der Präsident die schriftlich eingelangten Aussagen der vom Angeklagten als Zeugen geführten Berliner Schauspieler. Herr Zinner bezeichnet das angebliche Gespräch im Stadtpark als ein richtiges Wiener Kaffeehausgetratsch.
Auf Ersuchen des Dr. Harpner wird eine Reihe von Kritiken, welche Herr Bahr im »Neuen Wiener Tagblatt« über die Aufführungen des Deutschen Theaters geschrieben hat, zu dem Zwecke verlesen, um zu zeigen, daß Herr Bahr sich durchaus nicht von dem Motiv der Rache habe leiten lassen. Ferner gelangt ein Brief des Directors Brahm an Herrn Bukovics zur Verlesung, welcher unter Anderem folgende Stelle enthält: »Ich glaube nicht einen Augenblick an die abgeschmackten Dinge, die Ihr Herr Kraus behauptet. Sie thun jedenfalls sehr gut daran, wenn Sie solchem Gewürm zu Leibe gehen.« Der Brief schließt mit einer Danksagung an das gesammte Personal des Deutschen Volkstheaters, welches Alles aufgeboten habe, um den Berlinern in Wien den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen.
Dr. Harpner: Der Angeklagte hat sich auf einen processual sehr bequemen Standpunkt gestellt. Er sagt, das mit der Bestechung durch das Grundstück ist das Wenigste. Er kann es nämlich nicht beweisen, und darum sagt er, die Geschichte mit dem Grundstück ist das Wenigste. Ich will nun zeigen, daß diese Beschuldigung dem Angeklagten nicht etwa nur so zufällig in die Feder gerathen ist. Er hat die Beschuldigung nicht nur öfter, sondern in der hämischesten und kleinlichsten Weise wiederholt. Er beginnt sehr zart. Da heißt es zu Beginn der Campagne gegen Bahr in der zweiten Nummer: Herr Hermann Bahr, Realitätenbesitzer in Unter-St. Veit.
Angekl.: Das stimmt doch.
Dr. Harpner: Ist denn Ihr Blatt dazu da, um die Besitzverhältnisse in Unter-St. Veit bekanntzugeben? (Lebhafte Heiterkeit.) – Sodann werden noch weitere Stellen aus der »Fackel« verlesen, welche zur Charakterisirung der vom Angeklagten Herrn Bahr gegenüber eingeschlagenen Tonart dienen sollen.
Dr. Kienböck beantragt die Constatirung, daß sich an jede tadelnde Kritik Bahr’s über das Gastspiel des Berliner Deutschen Theaters ein Lob für das Deutsche Volkstheater anschloß.
Dr. Harpner: Ich gebe zu, daß Herrn Bahr das Deutsche Volkstheater lieber ist, als das Berliner Deutsche Theater.
Angekl.: Ich möchte auch wissen, warum die Kläger nicht wegen der Stellen geklagt haben, in welchen die Worte »Unverschämtheit« und »Notizen-Officiosus« vorkommen?
Dr. Harpner: Das werde ich Ihnen in meinem Plaidoyer sagen.
Präs.: Wir können ja auch die Kläger nicht zwingen, mehr zu klagen, als sie wollen! (Heiterkeit.)
Der Angeklagte kommt sodann auf die Kritik Bahr’s über den »Probecandidaten« zu sprechen, der, wie er sich ausdrückt, »von dem billigsten, wanzigsten, toleranzigsten Liberalismus trieft und so recht geschaffen ist für das Börseanerpublicum«. Weiters bespricht er die Haltung Bahr’s gegenüber den Stücken »Familie Wawroch« und »Der letzte Knopf«, und verliest darauf Reclamenotizen, von denen er behauptet, daß sie von Bahr stammen.

Die Villa in Ober-St. Veit

Dr. Harpner (zum Angeklagten): Sie haben so viel über Theaterstücke, Antisemitismus, Concordia und Berlin erzählt. Was aber wissen Sie über die Schenkung des Grundes der Villa an Bahr?
Angekl.: Darüber wird mein Vertheidiger Auskunft geben.
Dr. Kienböck: Die incriminirte Stelle, die von einem Freiplatz spricht . . .
Präs.: . . . Der einen guten Grund zu einer Villa gibt. Sie müssen schon vollständig citiren.
Dr. Kienböck: Ja, also dieser Platz ist durch einen grundbücherlichen Kaufvertrag vom 30. October 1900, also nach Einbringung der Klage, in den Besitz des Herrn Bahr übergegangen, und zwar gegen den Betrag von 3600 fl., von denen 1800 fl. bar bezahlt, 1800 fl. im Jahre 1901 fällig sind! In diesem Kaufvertrage wurde auch das Ausmaß des Grundes angegeben und gesagt, der Kaufpreis werde so berechnet werden, daß der Quadratmeter des Grundes auf 4 fl. komme. Um eine verläßliche Grundlage über den Werth des Grundes zu haben, und um mit Fug und Recht sagen zu können, dieser Grund sei nach Einbringung der Klage an Bahr geschenkt worden, habe ich mich in durchaus verläßlicher Weise informirt. Ich werde Ihnen die Lage der Villa beschreiben.
Dr. Kienböck schildert nun die entzückende Lage der Villa Bahr, die der Villa Bukovics, nach dem Localaugenschein, den er selbst aufnahm, die Aussicht benehme. An der Villa vorbei läuft eine vorläufig unbenannte Gasse.
Dr. Kienböck: Ich bin Herrn Bahr sehr dankbar, er macht mich aufmerksam, daß die Gasse ihm zu Ehren Linzergasse zubenannt wurde.
Bahr: Nein, ich sagte Winzergasse. (Heiterkeit.)
Dr. Kienböck erzählt nun, daß er sich um den Werth des der Villa gegenüberliegenden, noch unverbauten Grundstückes erkundigt habe. Die Hausmeisterin sagte, es seien 1000 Quadratmeter, und die kosten sieben Gulden per Quadratmeter. Dies bestätigte ihm auch der Eigenthümer Oberstlieutenant Müller v. Sturmthal in Graz. Ich glaube daher, sagt Dr. Kienböck, nachgewiesen zu haben, daß der Grund, den Herr Bahr um 4 fl. per Quadratmeter gekauft hat, 7 fl. werth ist. Das ist ein Spottpreis und ist ihm, wie der Wiener sagt, geschenkt worden!
Dr. Harpner: Die grundbücherliche Intabulirung des Kaufvertrages ist allerdings vom October 1900, das ist richtig. Wir werden aber von einem Zeugen hören, warum der schon im Juli 1899 also ein Jahr vor Erscheinen der Beschuldigung – perfecte Kaufvertrag erst zu dieser Zeit im Grundbuche intabulirt werden konnte. Was den Preis betrifft, so ist es möglich, daß der Herr Oberstlieutenant 7 fl. per Quadratmeter verlangt, verkauft hat er den Grund nicht. Ich bin aber in der Lage, durch einen beglaubigten Kaufvertrag des Herrn v. Bukovics nachzuweisen, um welchen Betrag Letzterer den ganzen Grundbesitz selbst gekauft hat. Er hat im Jahre 1893 981 Quadratklafter um 3732 fl. gekauft: hievon gab er 847 Quadratmeter an Herrn Bahr ab, und zwar um 3600 fl. Er hat also den Quadratmeter um 1 fl. 30 kr. theurer verkauft, als ihn die Quadratklafter gekostet hat. Für ein solches Geschenk würden wir uns Alle schön bedanken!

*

Der Präsident vernimmt hierauf den in Vertretung des erkrankten Dr. Heinrich Löwy erschienenen Compagnon desselben Dr. Schulz. Dieser gibt auf Grund von Belegen an: Am 7. Juli 1899 habe eine Conferenz mit Director v. Bukovics betreffs Abtretung des Grundstückes an Bahr stattgefunden. Man sei übereingekommen, daß 744·15 Quadratmeter gegen Bezahlung abgetreten werden, während für 161·96 Quadratmeter eine Bezahlung nicht verlangt wurde, weil dieser Grund der Commune abgetreten werden mußte. Der Kaufpreis wurde auf 3600 fl. abgerundet. Die eine Hälfte sollte bei Unterfertigung des Kaufvertrages, der Rest ein Jahr nach der Intabulirung bezahlt werden. Es wurde ferner bestimmt, daß Bahr die Kosten der Parcellirung zu tragen habe. Die Parcellirung konnte jedoch nicht sobald durchgeführt werden, weil die Commune die Führung einer Diagonalstraße in Aussicht genommen hatte, welche jedoch später nicht durchgeführt wurde. Erst nachdem die hiedurch nothwendig gewordenen Situationspläne – im Ganzen vier – den behördlichen Weg durchgemacht hatten und die ganze Straßenfrage endgiltig erledigt war, konnte, und zwar im Juni 1900, die Parcellirung thatsächlich durchgeführt werden. Der definitive Kaufvertrag wurde sodann am 30. October 1900 ausgefertigt und mit Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing die grundbücherliche Abtretung auch durchgeführt.
Zeuge Dr. Schulz (fortfahrend): Ich bemerke noch, daß diese gesammte Action vollständig auf Kosten des Herrn Bahr durchgeführt wurde. Ich habe das Cassabuch des Herrn Dr. Löwy mitgebracht. Am 6. December 1899 hat Dr. Löwy für Herrn Bahr an Kosten des Situationsplanes 234 K. bezahlt, am 26. Juli hat Herr Bahr den Betrag von 709 K. erlegt. Es liegen Belege der Anglobank vor, daß diese Beträge auf Rechnung des Herrn Bahr bezahlt wurden.
Dr. Harpner legt jetzt ein Schreiben der Anglobank vor, wodurch Herrn Bahr bestätigt wird, daß am 26. Juli 1899 also lange vor dem Erscheinen der Beschuldigung auf seine Rechnung der Betrag von 1800 fl. an Herrn v. Bukovics gezahlt wurde.
Dr. Schulz: Bezüglich des Kaufpreises ist zu bemerken, daß er nicht zu billig vereinbart wurde. Ich weiß, daß Herr Bukovics diesen Grund um billigeren Preis erstanden hat, als er ihn an Herrn Bahr verkaufte.
Präs.: Ist das Grundstück weit draußen in Ober-St. Veit? Wie weit ist es denn von der Stadtbahn?
Dr. Harpner: Die Villa ist so weit, daß Herr Kraus die Bemerkung gemacht hat, Herr Bahr sollte sich doch ein Automobil machen lassen.
Der Angeklagte verwahrt sich dagegen. Er habe nur ein geschmackloses Feuilleton des Herrn Hevesi im »Pester Lloyd« citirt, worin es hieß, Herr Bahr habe die Absicht, sich auch ein Automobil anzuschaffen. – Präs.: Für diesen Artikel können Sie doch Herrn Bahr nicht verantwortlich machen? – Angekl.: Gewiß war er inspirirt. Clique ist Clique, das lasse ich mir nicht ausreden. – Dr. Harpner: Und Unwahrheit ist Unwahrheit.
Nach einer kurzen Unterbrechung wird die Sitzung wieder aufgenommen. Director v. Bukovics wird noch nochmals als Zeuge vorgerufen.

Neuerliche Vernehmung des Directors v. Bukovics.

Präs.: Wie ist Ihnen die Idee gekommen, den Grund in St. Veit an Herrn Bahr zu verkaufen?
Director v. Bukovics: Herr Bahr theilte mir vor etwa zwei Jahren mit, er wolle sich in Hietzing ansiedeln; er habe sich Grundstücke angesehen, dieselben seien jedoch zu teuer. Ich sagte: »So kaufe Dir da einen Grund, wenn es Dir nicht zu weit ist!« Er meinte, er werde es sich überlegen. Die Sache zog sich zwei, drei Monate hin, dann sagte er, er sei bereit, den Grund zu kaufen. Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, dort Grund zu verkaufen wegen der herrlichen Aussicht, doch Bahr war bereit, dort zu bauen, wo er die schöne Aussicht meiner Villa nicht im geringsten schädigte; das war mir angenehm, denn ein Fremder hätte es nicht gethan. Bahr verlangte ausdrücklich, der Kauf müsse wie unter Fremden abgeschlossen werden. Bei Bestimmung des Preises dürfe keine Rücksicht auf das freundschaftliche Verhältniß genommen werden, weil er sonst vom Kaufe zurücktrete. Ich erkundigte mich deshalb in der Nachbarschaft nach den Grundpreisen in meiner Umgebung und hörte, daß der Preis vier bis fünf Gulden per Quadrameter betrage.
Präs.: Sie hatten den Grund viel billiger gekauft, seither war er jedoch gewiß im Preise gestiegen.
Director v. Bukovics: Gewiß, ich zahlte sechs Jahre vorher die Klafter mit drei Gulden und einigen Kreuzern und rechnete Bahr den landläufigen Preis, etwa fünf Gulden per Quadratmeter.
Dr. Kienböck: Nach dem Kaufvertrag stellt sich der Quadratmeter aus 4,2 fl.? – Director v. Bukovics: Ja, wenn man den ganzen Quadratinhalt rechnet, aber etwa 180 Quadratmeter gehen ab, die als Straßengrund der Commune abgegeben werden mußten; rechnet man den wirklichen Flächenraum, so kommt der Quadratmeter auf ungefähr 5 fl. zu stehen.
Präs.: Wie kam der Verkauf zustande?
Director v. Bukovics: Mein Rechtsfreund Dr. Löwy wurde damit betraut; das Vertragsinstrument wurde aufgesetzt, die Hälfte des Kaufpreises bezahlt, nur die grundbücherliche Einverleibung ließ auf sich warten in Folge der Parcellirung, der Baulinienbestimmung &c. – Präs.: Seit wann steht die Villa? – Director von Bukovics: Im Herbst 1899 wurde der Bau der Villa begonnen, seit Mai oder Juni vorigen Jahres ist sie bewohnt.
Dr. Kienböck: Welches Entgelt erhielten Sie für die Benützung des Grundes bis zur grundbücherlichen Einverleibung?
Director v. Bukovics (erregt): Erlauben Sie, das Grundstück gehörte Herrn Bahr, die Hälfte des Kaufpreises hatte er bezahlt, ich werde doch, weil die grundbücherliche Formalität nicht erfüllt werden konnte, von ihm kein Geld verlangen?!
Dr. Harpner: Herr Director! Es wird gegen Sie auch der Vorwurf erhoben, daß Sie hinter dem Rücken des Directors des Berliner Deutschen Theaters, Brahm, ein listiges Intriguenspiel gespielt und Bahr den Auftrag gegeben haben, die Berliner hier zu tadeln?
Präs. (zum Zeugen): Nicht in dieser directen Form ist das aufzufassen; aber, ob vielleicht im freundschaftlichen Verkehr eine Anspielung erfolgte, daß es erwünscht wäre, daß das Deutsche Theater in Wien getadelt würde, wenn das Deutsche Volkstheater in Berlin keinen Erfolg hätte?
Director v. Bukovics: Da muß ich mein Verhältniß zu Bahr ein wenig beleuchten. Er war mir einst kein Freund.
Präs.: Wir haben ja gehört, daß er geradezu als Antagonist gegen das Deutsche Volkstheater und auch gegen Sie persönlich auftrat.
Director v. Bukovics: Ja, er war ein Gegner des Deutschen Volkstheaters und schrieb scharfe Kritiken, er schreibt auch jetzt manchmal keine freundlichen Kritiken über mein Theater, das kann mich aber gar nicht beirren, so wie es mich damals nicht beirrt hat. Unsere herzliche Freundschaft kann nur bestehen, wenn wir nie über Kritik sprechen. Und ich sage es hier unter Eid aus, daß das nie der Fall ist. Ich werde dem Bahr nie zumuthen, mit mir auch nur darüber zu reden, ob eine Kritik so oder so geschrieben sein soll.
Präs.: Bei dem so herzlichen Freundschaftsverhältniß fließt vielleicht unwillkürlich etwas Wohlwollen in die Feder?
Director v. Bukovics: Ja, so hätte es mich nur gefreut. Allein Bahr hat es als Kritiker nicht nöthig, Rücksichten zu beobachten. Ich muß aber zu unserem Berliner Gastspiel sprechen. Ich habe an Bahr aus Berlin einen Brief geschrieben, in welchem ich ihm die Aufführung des »Star« mittheilte, und eine Depesche über unseren Riesenerfolg gesendet. Es war auch ein glänzender Erfolg für uns, der natürlich von der »Fackel« verkleinert, verschlechtert, verleumdet wurde. Ich habe auf Bahr und auf die Wiener Kritik über das Berliner Theater nicht den geringsten Einfluß genommen. Die Berliner Kritiken über uns waren wie die Wiener Kritiken über die Berliner: theilweise gelobt, theilweise getadelt. Ich sendete auch die Berliner Kritiken über uns nach Wien, natürlich nur die guten.
Präs.: Herr Kraus meinte, daß Herr Bahr Reclamenotizen für Ihre Bühne verfaßte?
Director v. Bukovics: Das ist lächerlich. Das waren Notizen, die unsere Theaterkanzlei, wie andere, an die Blätter schickte, ich wußte gar nichts von den verlesenen Notizen und hätte Herrrn Bahr damit auch gar nicht molestirt. Man vergißt, daß, wenn Herr Bahr nicht mein Freund wäre, ich um seine Gunst mich hätte bemühen müssen, denn er ist ein ausgezeichneter Schriftsteller.
Angekl.: Herr Director haben von glänzenden, großartigen Erfolgen in Berlin gesprochen. Wie groß war denn das Deficit? (Lebhafte Heiterkeit.) – Director von Bukovics: Ich brauche darauf nicht zu antworten. – Angekl.: Das ist ja keine Schande, Sie werden sich ja doch nicht geniren? – Director v. Bukovics: Es ist ein Geschäftsgeheimniß. Ich bitte den Herrn Präsidenten mich von der Antwort zu entbinden. – Präs.: Ich kann das nur thun, wenn die Gründe der Strafproceßordnung vorliegen. Daß Ihnen die Antwort zur Schande gereicht, werden Sie gewiß nicht bebaupten. Ob es ein Schade für Sie ist, kann ich nicht beurtheilen.
Director v. Bukovics: Schande? Das wäre einfach absurd. Den materiellen Schaden schätze ich auf etwa 15,000 fl. – Angekl.: Es wurde von 30,000 fl. gesprochen. – Director v. Bukovics: Ja was Alles gesprochen wird. – Angekl.: Ich will nur den Widerspruch zwischen den Behauptungen »glänzender Erfolg« und dem Deficit von mindestens 15,000 fl. ins rechte Licht setzen.
Director v. Bukovics: Es war eben künstlerisch ein glänzender Erfolg. Das ist ein Unterschied. Der Erfolg beim Publicum war glänzend. Wir haben dem Wiener Stück einen bedeutenden Ruf verschafft. – Angekl.: Der größte Erfolg war mit »Star«, und ich glaube nicht, daß das ein Wiener Stück genannt werden kann. »Alte Wiener« sind dagegen durchgefallen. – Director v. Bukovics: »Alte Wiener« haben auch Erfolg gehabt, nur sind sie eben das schwächste Stück von Anzengruber. – Präs.: Wir wollen ja hier nicht die Güte der Stücke beurtheilen. Herr Kraus wollte nur wissen, ob ein Deficit vorhanden war. Sie haben gesagt 15,000 fl., das ist genügend.
Angekl.: Ich möchte die Requisition der Berliner Blätter beantragen. Ich will beweisen, daß von einem Erfolg nicht gesprochen werden kann. Ich habe die Blätter telegraphisch bestellt, erhielt aber die Antwort, daß sie in so kurzer Zeit nicht aufzutreiben seien.
Dr. Harpner: Ich bin in der angenehmen Lage, dem Herrn Angeklagten die Blätter zur Verfügung zu stellen. Mir sind sie nämlich geschickt worden. (Heiterkeit.)
Präs. (zum Angeklagten): Sie sind dann wohl in der Lage, bis morgen diese Blätter durchzusehen.
Dr. Kienböck: Besitzen Sie eine Claque am Deutschen Volkstheater – Director v. Bukovics: Ja. – Dr. Kienböck: Steht sie unter Ihrem Einfluß? – Director v. Bukovics: Ich lasse mir den Mann nur holen, wenn irgend welche Frechheit oder Aufdringlichkeit vorkommt. Ich sage nicht, applaudiren Sie Dem oder Jenem. – Dr. Kienböck: Nur »applaudiren Sie überhaupt«. (Lebhafte Heiterkeit.)
Dr. Harpner: Ich frage Sie unter Ihrem Eide, Herr Director, muß Herr Bahr sich bei Ihnen bedanken, weil Sie die Güte haben, seine Stücke aufzuführen, oder sind Sie ihm für die Erfolge dankbar.
Director v. Bukovics: Ich habe ja schon gesagt: Wenn ich nicht schon sein Freund wäre, müßte ich trachten, es zu werden, um seine Stücke zu erhalten, für die ich ihm Dank schulde.
Dr. Harpner: Hat Herr Bahr jemals einen außerordentlichen Vortheil sich ausbedungen; ein Einreichungshonorar, einen Tantièmenvorschuß? – Director v. Bukovics: Niemals. – Dr. Harpner: Ich frage Sie weiter unter Ihrem Eide: Haben Sie den »Athleten« der ohne Erfolg aufgeführt wurde, auch nur um eine Vorstellung länger aufgeführt als andere Stücke unter ähnlichen Verhältnissen?
Director v. Bukovics: Gewiß nicht.
Präs.: Haben Sie in dieser Beziehung ein Princip?
Director v. Bukovics: Ja, bis zu einer Einnahme von 1000 fl. Brutto geben wir ein Stück, um es zu versuchen. Weiter nicht.
Präs.: Wie viel müssen Sie einnehmen, um ohne Schaden zu spielen?
Director v. Bukovics: Der Tagesetat ist über 1600 fl.
Dr. Harpner: Es liegt ein Brief von Herrn Bahr vor, aus der Zeit, wo Sie den »Athleten« absetzten. Der Brief lautet: »Lieber Freund! Ich erfahre soeben, daß der »Athlet« definitiv begraben ist, und mein erster Gedanke ist, wie schmerzlich Dir, lieber Freund, das gewesen sein muß; schmerzlicher gewiß, als mir, der ich ja von Anfang an keine zu großen Erwartungen auf das Stück gesetzt habe. Die gescheiten Leute – und um die anderen habe ich mich nie gekümmert – erkennen an, daß ich damit wieder um ein Stück vorwärtsgekommen bin. Nun, ärgere Dich nicht mehr, denk’ nicht mehr daran, und, wie ich an meinem »Franzl« fortschaffe, schaffe Du an »Demetrius« und an den anderen großen Werken. Mit herzlichem Gruß Dein Herm. Bahr
Präs. (zum Zeugen): Ich will nur eine Frage stellen, die ich deshalb stelle, weil Sie Ihnen aus meinem Munde weniger aufregend sein wird. Sie haben gehört, daß es angeblich Praxis ist, ein durchgefallenes Stück so oft zu geben, bis das Publicum angelockt wird und hineingehen muß?
Director v. Bukovics: Das ist bei uns ganz unmöglich, weil man ja dann an zehn Vorstellungen so viel verliert, daß man es nie hereinbekommen kann.
Angekl.: Gibt es nicht eine Methode, Stücke eines directorialen Lieblings möglichst oft an Sonntagen zu geben?
Director v. Bukovics: Nein, gewiß nicht.
Angekl.: Nun, ich will Ihnen eine kleine Statistik bringen. Der »Athlet« ist total durchgefallen, den konnten Sie nicht durchpeitschen.
Director v. Bukovics: Entschuldigen Sie, »Der Athlet« ist nicht durchgefallen, er hat nur kein Geld gebracht.
Angekl.: Kommt es nicht vor, daß Directoren nicht durch eine Barleistung an Geld oder dergleichen, sondern in irgend einer Form Kritikern Gefälligkeiten erweisen, etwa durch Aufführung eines Stückes, dessen Tendenz so liberal ist, daß die Wiener Presse daran ihre Freude haben wird?
Director v. Bukovics: Was ich mache, ist meine Sache. Ich möchte den Kritiker sehen, dem zuliebe ich ein Stück mit politischer Tendenz aufführe. – Angekl.: Ich möchte noch Eines bemerken: Sie glauben also, es sei überhaupt nicht möglich, daß Directoren Stücke von Lieblingen geben, und zwar gerade an Sonntagen? – Director v. Bukovics: Ich gebe die Stücke an Sonntagen, weil es mir paßt. – Angekl.: Sprechen wir über die Zahl der Aufführungen von »Josephine«. Dieses Stück Hermann Bahr’s wurde sechsmal unter dreizehnmal an Sonn- und Feiertagen gegeben? – Director v. Bukovics: Ja, um Gotteswillen, wen geht es denn was an, wann ich meine Stücke ansetze, wie ich mein Repertoire mache? (Lebhafte Heiterkeit.) Uebrigens hat »Josephine«, das erste Stück Bahr’s, das wir aufgeführt haben, sehr viel Geld gekostet, und das mußte hereingebracht werden.
Dr. Harpner (zum Zeugen): Sie würden aber gewiß kein Stück aufführen, wenn es nicht wenigstens die Kosten zu tragen verspricht. Aber man will Ihnen eine andere Bestechung des Herrn Bahr nachweisen, ob Sie nämlich Bahr nicht dadurch begünstigt haben, daß Sie seine Stücke favorisirten und sie absichtlich an Sonntagen gaben, um dadurch eine erhöhte Einnahme zu erzielen und höhere Tantièmen zahlen zu können?
Director v. Bukovics: Ich gebe an Sonntagen Novitäten, die die Leute ins Theater ziehen.
Nach einer Bemerkung des Angeklagten, daß die »Josephine« jedenfalls eine unerhörte Begünstigung erfahren habe, sagt Dr. Harpner: Wir müssen auch das berühren, daß Director v. Bukovics nicht leugnet, daß Bahr einer seiner Lieblingsschriftsteller ist, weil er ihm gute und einträgliche Stücke liefert.
Präs. (zum Zeugen): Spüren Sie das, ob Sie an einem Sonntag ein gutes oder schlechtes Stück geben?
Director v. Bukovics: Es äußert sich sehr fühlbar, denn der Ausfall ist am Sonntag noch fühlbarer.
In weitläufiger Weise wird nun von der Aufführung alter und neuer Stücke gesprochen.
Präs. (zum Angekl.): Waren Sie bei der Première von »Josephine«? – Angekl.: Ja. Das Stück wurde total niedergezischt. – Director v. Bukovics: Es kommt in unserem Theater vor, daß Zischer hineingeschickt werden, damit dann gesagt werden könne: Das Stück ist niedergezischt worden. Bis zum dritten Act hatte »Josephine« guten Erfolg. Dann fiel auf der Bühne das Wort »Das ist Napoleon? Den habe ich mir anders vorgestellt.« Von der Galerie rief Jemand: »Ich auch« und nun wurde gelacht. (Heiterkeit.) – Dr. Harpner: Und wie war der Cassenerfolg des Stückes bis zu seiner Absetzung? – Director v. Bukovics: Das kann ich unmöglich unter Eid sagen. Das wird die Casse sagen.
Dr. Harpner (zum Angeklagten): »Der Athlet« wurde viermal gegeben; nach Ihrer Theorie hätte ihn Director v. Bukovics schnell am Sonntag geben müssen, damit doch das Stück durchgepeitscht werde.
Angekl.: Ich sage ja nicht, daß bei jedem Stück so vorgegangen wurde.

Parteienanträge.

Hiemit war das Verhör des Directors Bukovics zu Ende. Der Vertheidiger Dr. Kienböck stellt nun eine Reihe von Anträgen. Er verlangt die Einvernahme der Claqueure Rudolph Pick und Rudolph Pelzner, um zu beweisen, daß während des deutschen Gastspiels im Volkstheater der Claque Ordre ertheilt wurde, nicht zu arbeiten, speciell bei Dreyer’s »Probecandidaten«. Weiters beantragt der Vertheidiger die Einvernahme von Freimaurern über ein angebliches Circular, die Stücke Bahr’s fleißig zu besuchen; ferner die Anhörung von Sachverständigen im Theaterwesen, und zwar Baron Alfred v. Berger, Director Müller-Guttenbrunn, Director Dr. Paul Schlenther und Dr. Richard v. Kralik.
Dr. Harpner: Die Vernehmung der Claqueure gehört zwar nicht zur Sache, aber es ist heute schon so viel gesagt worden, was nicht zur Sache gehört, daß wir auch diese Zeugen hören können. Aber warum nur die Vertrauensclaqueure? Warum nicht auch den Chef der Claqueure oder meinetwegen die ganze Claque. Ich beantrage also die Vorladung des Chefs der Claque. Von mir aus sollen auch alle »Maurer« Wiens kommen. Es wird behauptet, daß Herr Bahr dem Director so viel Dank schuldet. Jetzt zeigt es sich, daß er ihm Leute, die Freimaurer, ins Theater bringt . . .
Angekl.: Nur bei Premièren.
Dr. Harpner: Da ist ja der Director ihm zu Dank verpflichtet. (Heiterkeit.) Was aber die Sachverständigen anlangt, so wende ich ein: Haben wir uns zu fragen, ob Bahr ein ausgezeichneter Schriftsteller ist oder nicht? Ich concedire Ihnen für heute und morgen, daß Bahr der schlechteste Schriftsteller Wiens ist. (Heiterkeit.) Aber deshalb darf man ihn noch nicht beleidigen. Welchen Zusammenhang die Einvernahme von Sachverständigen mit dem Beweisthema hat, das überlasse ich dem Gerichtshof zur Entscheidung. Ob es angeht, Kritik und Production für das Theater in einer Person zu vereinigen, darüber kann sich Jeder selbst ein Urtheil bilden, das ist Ansichtssache. Daß man sich in Wien beschimpfen, mit einem gewissen Augenzwinkern der Verdächtigung behandeln lassen muß, das weiß man leider, und ich hatte von meinem Klienten die Richtschnur, die Beschimpfungen, über welche das Publicum sich selbst seine Meinung bilden kann, und auf welche auch Sachverständige keinen Einfluß üben können, nicht zu incriminiren. Anders ist es aber mit Dingen, die da vorgebracht werden, ohne daß das Publicum weiß, ob sie wahr sind oder nicht. Das haben wir incriminirt: die Behauptung von der Grundschenkung. Das kann nicht Jeder wissen, ob es wahr ist, daß man sich einen Grund schenken läßt, deshalb hat die Einvernahme von Sachverständigen keinerlei Zusammenhang mit dem Beweisthema.
Der Gerichtshof erkannte nach kurzer Berathung, der Antrag auf Einvernahme von Sachverständigen über die Incompatibilität zwischen dem Kritikeramt und der Autorstellung, ferner darüber, ob es unehrenhaft sei, wenn ein Theaterdirector einen Kritiker im Interesse seines Theaters durch Gefälligkeiten besteche, werde zurückgewiesen, weil diese ethischen Fragen von den Richtern selbst zu lösen seien. Die Einvernahme der Zeugen bezüglich der Freimaurerei wurde als außer jedem Zusammenhange mit dem Beweisthema stehend, ebenfalls zurückgewiesen. Dagegen wurde in Consequenz der bisherigen liberalen Haltung des Gerichtshofes gegenüber der Vertheidigung, dem Antrage auf Vorladung der Claqueure stattgegeben.
Nach 8 Uhr Abends wurde die Verhandlung auf heute vertagt. – Beginn der Verhandlung um 9 Uhr.