Ein Ehrenbeleidigungsproceß.
Wir berichteten im gestrigen Abendblatte über den Beginn des Schwurgerichtsprocesses
über die Ehrenbeleidigungsklagen, die von dem Schriftsteller und Theaterkritiker
Hermann Bahr sowie dem Director des
Deutschen Volkstheaters Emerich v. Bukovics gegen den Redacteur der »
Fackel«,
Carl Kraus, erhoben worden waren. Die Verhandlung währte bis zum Abend und wird erst heute zu
Ende geführt werden. Die Veranlassung zu dem Proceß gaben bekanntlich
zwei Artikel, in welchen Herrn
Bahr vorgeworfen wurde, daß er sich von Director
Bukovics durch einen geschenkten Baugrund habe bestechen lassen; ferner wird Herrn
v. Bukovics Ehrenwortbruch gegenüber einem Autor zum Vorwurfe gemacht. Die Verhandlung begann
mit der Vernehmung des Angeklagten zu dem zuletzt angeführten Anklagepunkt.
Kraus bekannte sich als Verfasser des Artikels, erklärte sich nichtschuldig und bot hiefür
den Beweis an. Der erste Zeuge, eben jener junge
Autor, demgegenüber Director
v. Bukovics das Ehrenwort gebrochen haben soll, erklärte unter Eid und auf wiederholte eindringliche
Fragen, daß Director
v. Bukovics kein Ehrenwort gegeben habe, und daß nie die Rede von einem Ehrenworte war. Weitere
Zeugen erklärten, daß nach dem Erscheinen des incriminirten Artikels der Autor unmuthig
erklärt habe, er könne nicht berichtigen, der Kern der Sache sei richtig. Wie er gestern
auseinandersetzte, meinte er damit die Thatsache, daß sein Stück wohl angenommen,
jedoch bis zum bestimmten Termin nicht auf aufgeführt worden sei.
Der Privatkläger Director
v. Bukovics wurde zweimal als Zeuge einvernommen.
Hermann Bahr wird erst heute einvernommen werden.
Nachstehend setzen wir unseren Verhandlungsbericht fort:
Präs.: Herr
Holzer! Sie haben gemeint: es ist ein gewisser Stolz, wenn einem Autor ein Theater, wie
das
Deutsche Volkstheater, ein Stück aufzuführen verspricht. Ist es nun nicht möglich, daß Sie gesagt haben:
»Ich habe das Ehrenwort, ich habe einen Contract gehabt«, so daß Sie dann gegenüber
Ihren Freunden als Märtyrer dagestanden wären, dem es auch so schwer ist, sich durchzusetzen
und er sein Stück gleich wieder weggestellt sieht? Oder haben Sie einen Grund, Herrn
Fränkl zu verdächtigen? –
Holzer: Ich kann nur das Eine sagen: ich kann mit positiver Bestimmtheit behaupten, daß
der Ausdruck »Ehrenwort« in keinem Kaffeehausgespräche gefallen ist.
Präs.: Wenn Sie das auch vor dem Kaffeehaus gesagt haben sollten, so wäre das auch ganz
gleichgiltig, so bald Sie unter Eid aufrechterhalten können, daß Sie von
Bukovics das Ehrenwort nicht erhalten haben. –
Holzer: Das kann ich, denn ich habe sicher nicht gesagt, daß ich das Ehrenwort erhalten
habe.
Präs. (zu
Fränkl): Sie bleiben also dabei, daß Sie erzählt haben, was Sie gehört haben?
Fränkl: Ja. Ich hatte doch kein Interesse daran, daß die Sache in die »
Fackel« kommt.
Dr.
Kienböck (zum Zeugen): Nun unter Ihrem Eide: Ganz bestimmt hat Ihnen Herr
Holzer erzählt, er habe das Ehrenwort erhalten? . . . Ein Irrthum ist von Ihrer Seite nicht möglich? . . . Sie haben erzählt, daß Sie einige Tage nach Erscheinen der Nummer 53 der »
Fackel« von
Holzer antelephonirt wurden. Was hat er Ihnen erzählt?
Fränkl: Er hat gesagt, es kann eine Verwechslung sein.
Dr.
Kienböck (zu
Holzer): Ist das richtig?
Holzer: Ich habe gesagt, woher hast Du das? Wie kommst Du dazu? Es wäre doch Wahnsinn von
mir gewesen, eine Geschichte von einem Ehrenworte zu erzählen. Man gebraucht doch
ein solches Wort nicht so leichtsinnig.
Dr.
Kienböck (zu
Holzer): Sie werden doch zugeben, daß Sie sich bezüglich des Ehrenwortes nicht erinnern
können – wo doch
Fränkl von Ihnen gehört hat, daß Ihnen das Ehrenwort gegeben wurde?
Holzer: Pardon!
Gehört haben soll!
Dr.
Kienböck: Wollen Sie behaupten, daß er die Unwahrheit sagt?
Holzer: Ich kann nur eben sagen: es wird im Kaffeehause gewesen sein, wo man eben wie im
Kaffeehause sprach.
Dr.
Kienböck: Herr
Fränkl sagte: »Bei diesem telphonischen Gespräch hat mir
Holzer gesagt, Du, da mußt Du Dich geirrt haben, denn es war von einem anderen Autor die
Rede, welchem das Ehrenwort gebrochen worden ist.« Ist das richtig oder lügt er?
Holzer: Das weiß ich nicht; ich habe aber von einem gebrochenen Ehrenwort gar nichts gesagt.
Dr.
Kienböck: Stellen Sie es mit voller Bestimmtheit in Abrede, oder wissen Sie sich nicht daran
zu erinnern, daß Sie dem
Fränkl gesagt haben: »Du mußt Dich irren, es wird von einem anderen Autor die Rede gewesen
sein?«
Holzer: Es ist möglich, vielleicht hat Herr
Fränkl von einem anderen Autor gesprochen.
Fränkl:
Holzer bat damals einen bestimmten Autor im Auge gehabt. Ich fragte damals: »Welchen Autor
meinst Du denn?« Er hat mir dann einen bestimmten Autor nennen wollen.
Dr.
Harpner (zu
Fränkl): Sie wissen also nicht genau, was er gesagt hat? Sie wissen nur, was er im Auge
gehabt hat? (Heiterkeit.)
Fränkl: Herr
Holzer sagt selbst, es ist möglich, daß er es gesagt hat.
Dr.
Harpner: Es ist also – den Vorwurf muß ich Ihnen schon machen – aus einer Tratscherei eine
schwere Ehrenbeleidigung gegen einen Ehrenmann entstanden!
Dr.
Kienböck (aufgeregt): Ich bitte, der Zeuge hat seine Aussage beschworen!
Präs. (energisch): Ich bitte, sich doch nicht aufzuregen, Herr Doctor.
Wir werden doch hier nicht auch noch raufen. Ich habe Ihnen die Freiheit des Wortes gestattet, bis zur Provocation des Zeugen.
Dr.
Kienböck: Ich habe nur auf die Bemerkung des Klageanwaltes reagirt.
Präs. (zum Angeklagten): Es ist Ihnen
auf ausdrücklichen Wunsch der Kläger die allergrößte Redefreiheit gewährt worden, wie sie vielleicht niemals einem Angeklagten zugestanden wurde. Wir sind
doch hier zusammen, um der Wahrheit auf den Grund zu kommen. Dann wollen wir auch
in aller Ruhe verhandeln. Ob der Herr Doctor das Kaffeehausgespräch Tratsch oder anders
nennt, das ist Geschmacksache. Jedenfalls wäre es besser, wenn die literarischen Sachen
nicht im Kaffeehaus besprochen würden.
Dr.
Kienböck: Uebrigens, die Herren Geschwornen werden ja darüber urtheilen.
Präs. : Gewiß. Und die Herren Geschwornen sind so sehr Menschenkenner, daß sie das Richtige
finden werden.
Der nächste Zeuge ist Dr.
Robert Scheu, Conceptsadjunct im
Handelsmuseum. –
Präs.: Sind Sie Zeuge dafür, daß Herr
Holzer behauptet hat, Herr Director
Bukovics hätte sein Ehrenwort gebrochen? –
Zeuge: Unmittelbar nicht; aber ein Bekannter hat eine Aeußerung von Herrn
Holzer erzählt: Das, was in der »
Fackel« steht, sei zwar entstellt, das Traurige sei aber, daß der Kern doch richtig ist,
so daß er (
Holzer) nicht in der Lage wäre, zu berichtigen. –
Präs.: Wem gegenüber wurde diese Aeußerung gemacht? –
Zeuge: Dem Dr.
Richard Wengraf gegenüber. –
Präs. (den Zeugen
Holzer vorrufend): Ist das richtig? Haben Sie das dem Dr.
Wengraf einmal gesagt? – Zeuge
Holzer erinnert sich nicht, erklärt aber, in einem Gespräch im
Kaiserjubiläums-Stadttheater gegenüber Dr.
Schnitzler über die Veröffentlichung in der »
Fackel« gesagt zu haben: Ich verstehe nicht, wie die ganze Geschichte zustande kam. Wir
müssen uns übrigens ducken, denn wenn wir es nicht thun, dann wird das Stück ganz
gewiß nicht aufgeführt.
Die Sitzung wird hierauf zur Vorladung des Doctor
Richard Wengraf unterbrochen und nach längerer Pause mit dessen Vernehmung wieder aufgenommen.
Präs. (zum Zeugen): Sie sind Conceptspractikant im
Handelsmuseum? Sie sind selbst Schriftsteller? – Zeuge: Ich habe früher geschrieben. –
Präs.: Ist vom Schicksal des
Holzer’schen Stückes »
Der Frühling« gesprochen worden? –
Zeuge: Ich habe davon gehört, daß die Aufführung im
Burgtheater und im
Volkstheater aufgeschoben worden sei. –
Präs.: Was wissen Sie über die Verschiebung am
Volkstheater? –
Zeuge: Ich habe mit
Holzer nur anläßlich des Erscheinens der Nummer 53 der »
Fackel« gesprochen. Es war bei der Première von
Bahr’s »
Wienerinnen«.
Holzer war von der
»Fackel«-Notiz sehr unangenehm berührt.
Präs.: Warum glauben Sie, daß er unangenehm berührt gewesen ist? –
Zeuge: Weil es Jedem unangenehm ist, wenn seine Privatsachen in die Oeffentlichkeit kommen.
Präs.: Hat er nicht auch für das Schicksal des Stückes gefürchtet? –
Zeuge: Darüber hat er mir nichts gesagt. Aber es war ihm unangenehm, daß seine Privatsachen
in die Oeffentlichkeit kommen. Er sagte, er wolle zum Director
Bukovics gehen und sagen, daß er dieser Veröffentlichung fern stehe. Ich sagte, er müsse sich
da nicht aufregen, er könne einfach eine Berichtigung schicken. Darauf sagte
Holzer, eine Berichtigung könne er darüber nicht einschicken, weil doch der Kern der Sache
wahr wäre.
Präs.: Was haben Sie unter diesem Kern verstanden? –
Zeuge: Daß ihm sein Stück mit bestimmtem Termin angenommen worden sei und innerhalb dieses
Termins nicht zur Aufführung gelangte, was mich aber nicht weiter Wunder genommen
hat.
Präs.: War davon die Rede, daß ihm
ein Ehrenwort gebrochen worden sei?
Zeuge: Daran kann ich mich nicht erinnern. Er hat nur gesagt, im Großen und Ganzen wäre
die Sache richtig, so daß er nicht berichtigen könne.
Präs. (zu Herrn
Holzer): Waren Sie damals bei der Première der »
Wienerinnen«? –
Zeuge: Ja. An das Gespräch kann ich mich aber nicht erinnern. –
Präs.: Wenn Sie es gesagt haben, was haben Sie damit gemeint, daß der Kern wahr sei? –
Zeuge: Wie Herr Dr.
Wengraf richtig gesagt hat, daß das
Stück angenommen und nicht zum Termin aufgeführt worden ist.
Angekl. (zum Zeugen
Holzer): Sie hätten ja doch berichtigen können, daß Ihnen keinerlei bindendes Versprechen
gegeben worden ist. Nur das ist ja logisch. –
Zeuge: Erstens hätte ich Herrn
Kraus überhaupt nicht berichtigt, und zweitens ist im Bureau davon gesprochen worden, daß
er die Berichtigung nicht bringen wird. – Der
Angeklagte setzt die Bestimmungen des § 19 P.-G. auseinander und meint, man kann doch auch Dinge
berichtigen, die ganz bestimmt wahr sind, wenn es nur Thatsachen sind. Wenn Jemand
schreibt: »Die Sonne scheint«, so kann die Sonne berichtigen: »Die Sonne scheint nicht«.
(Lebhafte Heiterkeit.) –
Präs.: Ganz richtig. Sie sind sehr gut über den § 19 orientirt. (Heiterkeit.) –
Angekl.: Das wird ja aber auch der Herr Redacteur
Holzer jedenfalls wissen, daß umso mehr etwas, was wirklich unwahr ist, berichtigt werden
kann. –
Präs.: Das sollte Jedem wohl auch das Gefühl geben.
Angekl.: Worin besteht nun der Kern der Sache, wie hier gesagt wird? Er kann naturgemäß nicht
darin bestehen, daß das
Stück angenommen und nicht aufgeführt wurde. Das geschieht ja hundertmal. Der Kern muß
darin liegen, daß in irgend einer verbindlichen Form – durch Ehrenwort oder männliches
Versprechen die Aufführung zugesagt wurde.
Holzer hätte ja trotzdem berichtigen können, und ich hätte dann hinzugefügt, ich halte es
aufrecht. Aber zu sagen, man könne nicht berichtigen, weil der Kern wahr ist, da gibt
man es ja selbst zu.
Dr.
Harpner: Sie hätten aber der Berichtigung des Herrn
Holzer hinzugefügt: Ich halte meine Behauptungen aufrecht, und weil er das wußte, dachte
er sich: Die Berichtigung ist gar nicht nöthig, wenn es zur Verhandlung kommt – und
er wußte, daß es dazu kommen werde –, da dachte er, da werde ich als Zeuge die Wahrheit
sagen!
Dr.
Kienböck (zu
Holzer): Haben Sie denn von dem Proceß gewußt
vor dem Gespräch mit Dr.
Wengraf? Haben Sie vor der Aufführung der »
Wienerinnen« mit
Bukovics gesprochen?
Holzer: Wie ich mich dunkel erinnere, war es an demselben Tage der Aufführung. An diesem
Tage war die Briefgeschichte, da bin ich zum Herrn Director hinaufgekommen und habe
mit ihm gesprochen. Da wurde nur gesagt, Herr
Kraus wird ja doch Alles aufrecht halten!
Angekl.: Das ist doch kein Grund. Das thut ja zum Beispiel die »
Arbeiter-Zeitung« jeden Tag. Sie setzt hinzu: Herr X. X. ist ein Lump, ein Schuft, ein Verleumder,
wir halten Alles aufrecht, das steht täglich drinn!
Dr.
Harpner: Und in der »
Fackel« allerdings nur dreimal monatlich! (Lebhafte Heiterkeit.)
Holzer: Ich habe nicht berichtigt, sondern Herrn Director
Bukovics einen pneumatischen Brief geschrieben, und bin am Abend desselben Tages in der Theaterkanzlei
bei ihm erschienen mit der Frage, was geschehen solle? Director
Bukovics sagte mir: »Machen Sie gar nichts, aber bitte, erlauben Sie mir, Sie bei einem allfälligen
Proceß als Zeugen zu führen.«
Angekl.: Ich habe mich des schwachen und bedrängten Schriftstellers gegen den übermächtigen
Theaterdirector angenommen, während der Socialdemokrat Dr.
Harpner . . .
Dr.
Harpner (einfallend): Sie können Ihre Verantwortung so eingehend führen als Sie wollen, was
mich und meine politische Richtung betrifft, so geht Sie das gar nichts an. (Zum Zeugen
Holzer:) Was Sie im Kaffeehause gesagt haben, ist ganz gleichgiltig, die Hauptsache ist,
ob Sie sich in Ihren Rechten geschädigt erachten, ob Ihnen Versprechungen gemacht
und nicht gehalten wurden?
Zeuge
Holzer: Nein, nein!
Gleich darauf erhebt sich der Vertreter des Privatanklägers Dr.
Harpner, um den Antrag zu stellen, Director
v. Bukovics als Zeuge unter Eid zu vernehmen.
Dr.
Kienböck spricht sich gegen die Beeidigung aus wegen der feindseligen Gesinnung des Zeugen.
Angekl.: Ich kann zur Ehre des Herrn
Holzer nicht annehmen, daß das, was er zwei oder drei verschiedenen Leuten an dem Tage des
Erscheinens der »
Fackel« gesagt hat, von Anfang bis zum Ende erlogen ist. Auch spricht es für meine
bona fides, daß drei Zeugen für mich aussagen. Ich habe gar keine persönlichen Interessen verfochten,
ich wollte nur das thun, was Herr
Bahr und Genossen
im Interesse
Arthur Schnitzler’s thaten.
Vernehmung des Directors v. Bukovics.
Nunmehr tritt Director
v. Bukovics vor die Zeugenbarre. Der
Präsident nimmt dem Zeugen die Generalien ab. Er ist 57 Jahre alt, in
Wien geboren, dahin zuständig, katholisch, verheiratet, wohnt in
Ober-St. Veit. Der Zeuge wird in Eid genommen.
Präs.: Hegen Sie gegen den Angeklagten eine Feindseligkeit? –
Zeuge: Durchaus nicht! –
Präs.: Angenehm berührt hat Sie aber sein Benehmen nicht? (Heiterkeit.) –
Zeuge: Nie. –
Präs.: Ich bitte, der Wahrheit gemäß Ihr Verhältniß zu
Holzer und seinem
Stücke darzulegen.
Zeuge: Ich möchte nur bitten, daß ich zunächst dagegen protestiren darf, daß man für Theaterdirectoren
eine eigene Ehre construirt. Ich bin ein Mann, und wenn man mir sagt, ich habe mein
Ehrenwort gebrochen, so hat man mich beleidigt. Ich habe das Stück von
Holzer auf Empfehlung des Hofrathes
Burckhard angenommen, gelesen und großes Interesse daran gefunden. Einige Schwächen und Gebrechen
habe ich allerdings darin gefunden und mich mit Herrn
Holzer ins Einvernehmen gesetzt und gesagt, ich bin bereit, das Stück aufzuführen. Darauf
kam der früher verlesene Vertrag zustande. Nun gibt es zwei Fälle, wenn das Stück
nicht aufgeführt wird: Der eine ist, daß der Autor klagt und ein Pönale verlangt,
der andere ist der des Einverständnisses.
Holzer hat sich mit mir vollständig einverstanden erklärt, und so sehe ich nicht ein, wo
zwischen diesen beiden Wegen überhaupt ein Platz für ein Ehrenwort sein soll. Es ist
mir unfaßbar, wie irgend ein Geschäftsmann ein Ehrenwort geben soll, da, wo man Verträge
macht, und beim Theater kann man es am allerwenigsten thun, da plötzliche Hindernisse
aller Art kommen können. Wenn man das Theater nicht umbringen will, muß man fortwährend
verschieben, und wir verschieben thatsächlich das ganze Jahr. Ich sage es hier ganz
offen, wir haben in unserem Cassabuch ein ganz gehöriges Conto für Entschädigungen,
die wir leisten, um die Termine verschieben zu können. Wir haben enorme Auslagen,
und wir kämpfen um unser Dasein, aber das
Deutsche Volkstheater steht ehrenvoll und anständig da. Zwei- oder dreimal habe ich mit Herrn
Bahr über
Holzer’s
Stück gesprochen und ihm gesagt, ja, ich werde es aufführen, sowie ich es nur kann. Außerdem
muß ich an dem Stücke acht oder zehn Tage arbeiten. Auf der Reise nach
Linz habe ich eine Stunde über das Stück mit
Holzer gesprochen, aber unter meinem Eide sage ich es, über die Verlegung habe ich ihm nur
gesagt: Warten Sie ab, warten Sie zu, es ist besser, wenn Sie im Herbst zur guten
Theaterzeit herauskommen, als im Frühling. Es ist eine ganz gerechtfertigte Forderung,
sich der Jungen anzunehmen. Das bringt uns Theaterdirectoren oft in schwierige Lagen.
Nimmt sich aber Einer der Jungen an, so bin ich es, das darf ich getrost sagen. Aber
die allerersten Autoren haben sich Schiebungen gefallen lassen, und eine gewisse Freiheit
der Bewegung muß auch eine Theaterdirection haben, gerade so wie ja auch eine Redaction
oft wegen Raummangels Artikel nicht erscheinen läßt.
Präs.: Haben Sie, Herr Zeuge, je Herrn
Holzer damit beschwichtigt, daß Sie ihm die Aufführung seines Stückes unter Ihrem Ehrenworte
zusicherten?
Zeuge (mit Nachdruck): Nie! Ich brauche gar nicht mein Gedächtniß zu Hilfe zu nehmen. Einem
Autor, der drängt, gibt man einen Vorschuß oder sucht auf gütlichem Wege ein Einvernehmen,
aber ein Ehrenwort ist da ganz ausgeschlossen.
Präs.: Wir haben hier eine Reihe sehr anständiger Menschen als Zeugen gehört, welche unter
Eid gesagt haben, und zwar die Einen,
Holzer habe von einem gebrochenen Ehrenwort gesprochen, die Anderen,
Holzer habe gesagt, die Darstellung in der »
Fackel« sei im Kern wahr.
Zeuge: Ich stehe vor einem Räthsel. Ich habe kein Wort gegeben. Es kann sein, daß der junge
Autor in der Kränkung einmal ein Wort fallen ließ, das weiterging, als es den Thatsachen
entsprach. Allein es ist nicht mein Beruf, dies zu erklären. Ich kann nur sagen, ich
habe kein Ehrenwort gegeben.
Dr.
Kienböck: Director
Bukovics hat uns gesagt, er habe sich einmal außerordentlicherweise der Vermittlung des Theaterkritikers
Bahr bedient.
Zeuge: Entschuldigen Sie, ich habe nicht gesagt, daß ich mich des Herrn
Bahr bedient habe, sondern Herr
Holzer hat sich an Herrn
Bahr gewendet, und das ist gewiß schön von
Bahr, daß er sich junger Leute annimmt.
Dr.
Kienböck: Warum wird dann eigentlich ein Contract gemacht und überhaupt eine Frist für die
Aufführung festgesetzt?
Präs.: Ich weiß nicht, wieso das hieher gehört, übrigens ist doch die Antwort klar.
Zeuge (mit Nachdruck): Damit der Director das Stück mit Sicherheit erwerbe. Für die Nichtaufführungen
werden Entschädigungen gezahlt.
Dr.
Kienböck: Wenn es der Autor verlangt.
Zeuge: Sonst nicht. (Heiterkeit.)
Dr.
Kienböck: Warum wird von
Hermann Bahr am
Deutschen Volkstheater jährlich wenigstens ein Stück aufgeführt?
Zeuge: Ja, entschuldigen Sie, ich habe mich doch nicht vor Ihnen wegen meiner Directionsführung
zu verantworten. (Lebhafte Heiterkeit und Beifall.)
Präs.: Wünscht noch Jemand eine Frage? Wenn nicht, dann wären wir mit dem Beweismaterial
für die Anklage des Herrn
Bukovics zu Ende.
Das zweite Verhör mit Kraus.
Der
Präsident ertheilte nunmehr dem Angeklagten das Wort zur Verantwortung gegen die von den Herren
Hermann Bahr und
v. Bukovics gegen ihn erhobenen Anklagen. Der Vertheidiger bittet, zu erlauben, daß sich der
Angeklagte sitzend verantworte. Der
Präsident ertheilte die Zustimmung mit der Bemerkung, daß der Angeklagte Vormittags unwohl
geworden sei und der Gerichtsarzt ihm Hilfe leisten mußte.
Der Angeklagte hält nun ein sehr langes Plaidoyer, in welchem er sich über Ursprung
und Tendenzen seines Blattes verbreitet, sowie über die Kämpfe, die er bis jetzt zu
bestehen hatte. Man habe es auch mit dem »Todtschlagen« versucht, denn im April 1899
sei er in einem Kaffeehaus von fünf Männern überfallen worden. Das habe aber Alles
nichts genützt, denn er habe weiter seinen Kampf verfolgt: gegen die Presse, gegen
die Börse, gegen jegliche Art von Ausbeutung, gegen den Terminhandel &c. &c. Materielle Vortheile habe er dabei nicht gesucht; er sei auch bereit, seine Bücher
und Bilanzen vorzulegen; ein Geschäft habe er mit dem Anticorruptionismus nicht machen
wollen. Er beruft sich auf Aeußerungen des heutigen Vorsitzenden Baron
Distler sowie des Vice-Präsidenten
v. Holzinger über gewisse Formen der Corruption, und erwähnt unter Anderem
seine Haltung in dem Proceß
Dreyfus. Da er dabei die Namen Abwesender nennt, unterbricht ihn der Präsident mit den Worten:
»Ich bitte, doch keine Namen zu nennen«. Nach Erwähnung seines Kampfes gegen die
Südbahn geht der Angeklagte endlich auf das Capitel Theater und Kunst über und macht eine
Reihe von Ausfällen gegen den Kläger
Hermann Bahr sowie Andere, die zugleich Journalisten und Theaterautoren sind, und in deren Auftreten
ein System liege, das er bekämpfen zu müssen erklärt, was ihm anonyme Drohbriefe eingetragen
habe. Unter Anderem citirt er eine Stelle aus einem Artikel von
Hermann Bahr, der jetzt Vicepräsident der »
Concordia« sei, was Alles besage.
Präs.: Ich muß doch abwesende Corporationen, die Sie angreifen, in Schutz nehmen. Ich würde
Sie übrigens Vieles nicht sprechen lassen, da es nicht zur Sache gehört, allein
es ist der Wunsch der Kläger, Sie Alles sagen zu lassen!
Angekl.: Ich bitte, es sind ja genug Vertreter der »
Concordia« anwesend.
Der Angeklagte führte dann aus, daß
Bahr vor Jahren ein Gegner des
Deutschen Volkstheaters und seines
Directors, dann zum warmen Freunde desselben wurde, und zwar von dem Moment an, wo er begann,
seine Stücke dort einzureichen. Von da ab, sagt der
Angeklagte, hätte
Bahr nicht mehr die Kritik über das
Deutsche Volkstheater führen dürfen.
Der Angeklagte verliest nun Kritiken
Bahr’s über das
Deutsche Volkstheater aus früherer Zeit und zieht Parallelen mit den Kritiken der letzten Zeit; wie früher
die Regie des Theaters getadelt wurde, so sei sie dann mit Rücksicht auf die persönlichen
Beziehungen zwischen
Bahr und
Bukovics gelobt worden. Daran knüpft der
Angeklagte die Beschuldigung, daß weiterhin eine Politik der Beschönigungen und eine Tantièmienpolitik
gefolgt sei; sodann macht er
Bahr den Vorwurf, daß er aus der vor zwei Jahren erschienenen
Sammlung seiner kritischen Feuilletons die Scenen ausmerzte, die sich gegen
Bukovics und das
Deutsche Volkstheater richteten. Der
Angeklagte verweist hiebei auf verschiedene Aufsätze
Bahr’s in der »
Deutschen Zeitung«, für welche er vor Jahren geschrieben hatte, und meint, solche Wandlungen hätte
nicht einmal er von
Bahr erwartet.
Präs.: Ich glaube, daß Herr
Bahr der Wahrheit immer die Ehre geben wird; er wird für das, was er geschrieben hat,
auch immer eintreten.
Der
Angeklagte vergleicht noch weiter in detaillirter Weise die Urtheile
Bahr’s aus verschiedenen Zeiten über die Stücke »
Zwei glückliche Tage«, »
Lolos Vater«, »
Rosmersholm«, »
Komödianten« und »
Talisman«, und erwähnt die seinerzeitige Aeußerung des Klägers: »
Das Deutsche Volkstheater ist das reine Exil für invalide Dichtungen.«
Ein Brief von Harden.
Es tritt sodann die Mittagspause ein. Nach Wiederaufnahme der Sitzung fährt der
Angeklagte fort: Ich habe bereits vor der Verhandlung im Verein mit meinem Rechtsanwalt mich
an
hervorragende Literaten mit der Frage gewendet, ob ein Theaterkritiker über dasselbe Theater, das zwei Stücke
von ihm angenommen hat, und von dem er jährlich mehrere tausend Gulden Tantièmen bezieht,
Recensionen schreiben soll, und ob nicht der Verdacht naheliegt, daß der Dichter sich
durch seine mercantilen Beziehungen zur Theaterkanzlei beeinflussen läßt?
Präs.: Haben Sie die Anfrage ohne Nennung der Namen gestellt?
Angekl.: Ja, nur
Harden wußte, welcher Fall in Frage stehe, die Anderen wußten es nicht.
Präs.: Sie haben also nur gewisse allgemeine Prämissen gegeben?
Angekl.: Nur ganz allgemein. Ist die kritische Thätigkeit compatibel mit der dichterischen,
und welche Consequenzen hat diese Vereinigung? Liegt nicht der Verdacht der Beeinflussung
nahe?
Ein Gutachten von
Maximilian Harden, Herausgeber der »
Zukunft«, liegt vor.
Harden nun, der die Gabe des Herrn
Bahr als Dichter, wie ich aus persönlichem Verkehr mit ihm weiß, sehr schätzt, aber seine
kritische Thätigkeit nicht verfolgt, schreibt: »Sehr geehrter Herr! Jede Parteinahme
in dem Streite möchte ich ablehnen. Ick kenne das dafür wichtige Material nur unvollkommen
und bin den Ereignissen zu fern, um urtheilen zu können. Auch halte ich mich dazu
für verpflichtet, da ich seit Jahren zu
Bahr in freundschaftlichen Beziehungen stehe und keinen Grund habe, ihn einer unehrenhaften
Berufsauffassung zu zeihen. Ich kenne ihn nur als höchst begabten Schriftsteller,
der zwar mitunter schrullenhaft sich zeigt, aber zur Zeit unseres Verkehrs gegen die
Corruption und das Cliquewesen nicht minder heftig zu Felde zog als Ihr Client. (Nach
einer Zwischenbemerkung fährt
Harden fort:) Aber Sie verlangen eine
principielle Aeußerung von mir, und der mich nicht zu entziehen, gebietet mir die Pflicht. Doch
bemerke ich im Voraus, daß jegliche Spitze gegen
Bahr fehlt und fehlen soll. Ihre Frage soll so beantwortet werden, wie Gewissen und Tactgefühl
mir vorschreibt.«
Präs.: Ich hoffe, daß die Herren Geschwornen das reine Gold in diesem Satze erkennen.
Harden schreibt weiter: »Meine principielle Auffassung möchte ich so formuliren: Ein Mann,
dem sich je die Möglichteit bieten kann, zu einem Theaterdirector in geschäftliche
Beziehungen zu treten, soll über das Geschäft des Directors nie öffentlich Urtheile
fällen, die den Gang dieses Geschäftes beeinflussen können. Mindestens muß er das
öffentliche Urtheilen sofort aufgeben, sobald solche Beziehungen entstehen. Wie ein
Richter, gegen dessen Parteilichkeit Mißtrauen besteht, so gilt mir im Allgemeinen
der Kunstrichter als befangen abzulehnen, dessen Parteilichkeit nicht absolut unverdächtig
ist. Der gelehrte oder der Laienrichter wird freiwillig zurücktreten, wenn er materiell
mitbetheiligt ist, und selbst dann, wenn er sich stark genug fühlt, keinem persönlichen
Interesse Schweigen zu gebieten. So sollte auch in künstlerischen und literarischen
Dingen der Richter handeln, der da Kritiker heißt. Ich finde es sehr betrübend, daß
Journalisten, denen ein Theaterdirector Tausende einbringen kann, öffentlich über
solche Directoren zu Gericht sitzen. Der als Dramatiker dem Director verpflichtete
Kritiker steht dem Theater zu nahe, als daß er dem Publicum ganz unparteiisch scheinen
könnte. Wenn ein Kritikerstück auf dem Repertoire steht, ist für den Kritiker die
Gefahr groß, ein neues unfreundlich zu behandeln, weil es seinem eigenen leicht Raum
abnehmen könnte. Auch kann er die Schauspieler, die seine Gestalten verkörpert haben,
Anderen vorziehen. Solche Verschiebungen brauchen nicht immer den Urtheilenden zu
Bewußtsein zu kommen, sie sind, wie der Psychologe weiß, auch gegen seinen Willen
möglich. (Der Brief verbreitet sich sodann speciell über die einschlägigen
Berliner Verhältnisse und fährt dann fort:) Zu bedenken ist noch das, daß ein Director auch
nach der Annahme viel für ein Stück thun kann. Er kann es für eine gute Spielzeit
bestimmen, und wenn er sich über ein paar schlechte Einnahmen hinwegsetzt und wenn
das Publicum ein Stück so lange auf dem Spielplane sieht, dann wird es sich sofort
sagen: dahin müssen wir auch gehen. Deshalb bekenne ich mich zu dem Grundsatz: Niemand
soll öffentlich als Richter eines Unternehmens auftreten, von dem er in öffentlicher
Form irgendwelche Einnahmen bezieht. Da haben Sie meine Ansicht. Mit Hochachtung
Der
Angeklagte erwähnt noch eine Meinungsäußerung von
Carl Bleibtreu und kommt auf die Thätigkeit des Dramaturgen
Fellner zu sprechen, die unstatthaft sei, indem Herr
Fellner beispielsweise für das »
Magazin der Literatur« eine
Kritik über einen
Autor geschrieben hat, der zugleich Herausgeber des »
Magazin der Literatur« ist.
Präs.: Das hat doch aber Herr
Bahr nicht zu verantworten.
Nach Erwähnung der Meinung eines
englischen Herausgebers verweist der
Angeklagte auf
zwei deutsche Kritiker, die von ihren Posten zurückgetreten seien, als sie für das Theater zu schreiben
begannen, während Herr
Bahr erklärt, sich hiedurch nicht beeinflussen zu lassen.
Präs.: Sie dürfen nicht vorgreifen, wie Herr
Bahr sich verantworten wird. Kommen wir auf unser Thema wieder zurück.
Hierauf kommt der
Angeklagte auf den Vorwurf der »schenkungsweisen Transaction zwischen
Bahr und
Bukovics«, wie er es nennt, zu sprechen und erklärt, die Schenkung eines Grundstückes wäre
nach seiner Ansicht das Geringste und Allerletzte. Alles Andere habe Herr
Bahr nicht aufgegriffen. Herr
Bahr beziehe jährlich Tausende von Tantièmen für seine Stücke, und das sei ein weitaus gefährlicherer Vorwurf als der jener geschäftlichen Transaction. Denn
daß ein Freund dem anderen etwas schenkt, halte ich nicht für das Schimpflichste,
was geschehen kann. Ich halte es aber wohl für schimpflich, daß ein Kritiker von einem
Theaterdirector ein Grundstück geschenkt erhält. Was er sonst gegen
Bahr geschrieben habe, halte er für viel stärker als den Vorwurf betreffend das Grundstück.
Er habe weiter nichts zu sagen.
Präs.: Es obliegt mir nun, Ihnen, meine Herren Geschwornen, das Vorgebrachte in den Rahmen
der Strafproceßordnung zu bringen. Ich werde daher kurz wiederholen.
Der
Präsident verliest nochmals die incriminirten Stellen und wendet sich hierauf an den
Angeklagten mit der Frage, ob er noch etwas zu sagen habe.
Angekl.: Ich hätte noch sehr viel zu sagen. Aber ich glaube, daß ich später noch dazu kommen
werde.
Weitere Zeugenvernehmungen.
Der Präsident verliest hierauf die Zeugenaussage des Directors des
Deutschen Theaters in Berlin,
Otto Brahm. Dieser sagt aus, es sei bei ihm ein Stück
Hermann Bahr’s eingereicht worden. Da es zur Aufführung nicht angenommen wurde, habe
Bahr keine weiteren Annäherungsversuche gemacht.
Es wird zur Vernehmung des Zeugen Dr.
Arthur Schnitzler geschritten. Er gibt an, 38 Jahre alt, in
Wien geboren und hieher zuständig zu sein, von Beruf Arzt und Schriftsteller.
Präs.: Erinnern Sie sich, Herr Zeuge, für Herrn
Bahr mit dem
Deutschen Theater in Berlin in Verbindung getreten zu sein?
Zeuge: Ja, ich habe Herrn
Brahm im December 1896 ein Stück von Bahr geschickt, das »
Tschapperl«. Wir wußten Beide, daß die Chancen für die Annahme dieses Stückes keine besonders
günstigen sind.
Präs.: Die
Berliner können schon den Titel nicht aussprechen. (Heiterkeit.)
Zeuge: Herr
Brahm hat sich geäußert, daß das Stück zur Annahme nicht geeignet sei. Von der
Angabe von Gründen könne er umso eher absehen, als das Stück nicht direct eingereicht
worden sei. Dies habe ich dem Herrn
Bahr mitgetheilt. Ich weiß allerdings nicht, ob mündlich oder schriftlich.
Präs.: Haben Sie später noch einmal intervenirt?
Zeuge: Ich kann mich nicht erinnern, mit
Bahr darüber noch einmal gesprochen zu haben, außer in den letzten Tagen, wo wir über
diesen Proceß gesprochen haben.
Präs.: Haben Sie, Herr Zeuge, gehört, daß Herr
Bahr außer diesem Falle noch einmal mit dem
Deutschen Theater verhandelt hätte?
Dr.
Harpner (zum Zeugen): Sie hatten wohl die Ansicht, daß das Stück kaum angenommen werden würde.
Nicht wahr, es hat sich hier um eine Art Versuch gehandelt?
Zeuge: Ja, ja! So war es auch.
Präs.: Waren Sie also über die Ablehnung so erstaunt?
Dr.
Harpner: Wenn Sie nun hören, daß Herr
Bahr vier Jahre nach diesem Vorfall das
Deutsche Theater ungünstig beurtheilt haben soll, glauben Sie, daß es irgend einen Sinn hat, vorauszusetzen,
Bahr habe sich dafür rächen wollen, daß sein Versuch mit dem »
Tschapperl« mißlungen sei?
Zeuge: Ich bin überzeugt, daß dies nicht der Fall war; ich bin absolut überzeugt davon.
Angekl.: Ich finde es sehr komisch, daß Herr
Bahr ein Stück eingereicht haben soll, in der Hoffnung, daß man es ablehnen werde. Die
Feindseligkeit
Bahr’s gegen
Brahm bestand ja auch schon früher, schon aus der Zeit der Gründung der
Freien Bühne, sie wurde nur verschärft durch diese Ablehnung. Auch ich habe das
Deutsche Theater angegriffen, es aber nicht zu Gunsten des
Deutschen Volkstheaters herabgesetzt.
Nachdem der
Angeklagte noch mitgetheilt hatte, wie er auf einem Spaziergang im
Stadtpark von zwei Mitgliedern des
Deutschen Theaters – den Herren
Reinhart und
Zinner – erfahren habe, daß die kritische Haltung
Bahr’s diesem Theater gegenüber durch die Ablehnung eines von ihm eingereichten Stückes
hervorgerufen worden sei, verliest der
Präsident die schriftlich eingelangten Aussagen der vom
Angeklagten als Zeugen geführten
Berliner Schauspieler. Herr
Zinner bezeichnet das angebliche Gespräch im
Stadtpark als
ein richtiges Wiener Kaffeehausgetratsch.
Auf Ersuchen des Dr.
Harpner wird eine Reihe von Kritiken, welche Herr
Bahr im »
Neuen Wiener Tagblatt« über die Aufführungen des
Deutschen Theaters geschrieben hat, zu dem Zwecke verlesen, um zu zeigen, daß Herr
Bahr sich durchaus nicht von dem Motiv der Rache habe leiten lassen. Ferner gelangt ein
Brief des Directors
Brahm an Herrn
Bukovics zur Verlesung, welcher unter Anderem folgende Stelle enthält: »
Ich glaube nicht einen Augenblick an die abgeschmackten Dinge, die Ihr Herr
Kraus behauptet. Sie thun jedenfalls sehr gut daran, wenn Sie solchem Gewürm zu Leibe gehen.«
Der Brief schließt mit einer
Danksagung an das gesammte Personal des Deutschen Volkstheaters, welches Alles aufgeboten habe, um den
Berlinern in
Wien den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen.
Dr.
Harpner: Der
Angeklagte hat sich auf einen processual sehr bequemen Standpunkt gestellt. Er sagt, das mit
der Bestechung durch das Grundstück ist das Wenigste. Er kann es nämlich nicht beweisen,
und darum sagt er, die Geschichte mit dem Grundstück ist das Wenigste. Ich will nun
zeigen, daß diese Beschuldigung dem Angeklagten nicht etwa nur so zufällig in die
Feder gerathen ist. Er hat die Beschuldigung nicht nur öfter, sondern in der hämischesten
und kleinlichsten Weise wiederholt. Er beginnt sehr zart. Da heißt es zu Beginn der
Campagne gegen
Bahr in der
zweiten Nummer:
Herr Hermann Bahr, Realitätenbesitzer in Unter-St. Veit.
Angekl.: Das stimmt doch.
Dr.
Harpner: Ist denn Ihr Blatt dazu da, um die Besitzverhältnisse in
Unter-St. Veit bekanntzugeben? (Lebhafte Heiterkeit.) – Sodann werden noch weitere Stellen aus der
»
Fackel« verlesen, welche zur Charakterisirung der vom
Angeklagten Herrn
Bahr gegenüber eingeschlagenen Tonart dienen sollen.
Dr.
Kienböck beantragt die Constatirung, daß sich an jede tadelnde Kritik
Bahr’s über das Gastspiel des
Berliner Deutschen Theaters ein Lob für das
Deutsche Volkstheater anschloß.
Angekl.: Ich möchte auch wissen, warum die Kläger nicht wegen der Stellen geklagt haben,
in welchen die Worte »
Unverschämtheit« und »
Notizen-Officiosus« vorkommen?
Dr.
Harpner: Das werde ich Ihnen in meinem Plaidoyer sagen.
Präs.: Wir können ja auch die Kläger nicht zwingen, mehr zu klagen, als sie wollen! (Heiterkeit.)
Der
Angeklagte kommt sodann auf die
Kritik Bahr’s über den »
Probecandidaten« zu sprechen, der, wie er sich ausdrückt, »von dem billigsten, wanzigsten, toleranzigsten
Liberalismus trieft und so recht geschaffen ist für das Börseanerpublicum«. Weiters
bespricht er die Haltung
Bahr’s gegenüber den Stücken »
Familie Wawroch« und »
Der letzte Knopf«, und verliest darauf Reclamenotizen, von denen er behauptet, daß sie von
Bahr stammen.
Dr.
Harpner (zum
Angeklagten): Sie haben so viel über Theaterstücke, Antisemitismus,
Concordia und
Berlin erzählt. Was aber wissen Sie über die Schenkung des Grundes der Villa an
Bahr?
Angekl.: Darüber wird mein Vertheidiger Auskunft geben.
Dr.
Kienböck: Die incriminirte Stelle, die von einem
Freiplatz spricht . . .
Präs.: . . .
Der einen guten Grund zu einer Villa gibt. Sie müssen schon vollständig citiren.
Dr.
Kienböck: Ja, also dieser Platz ist durch einen grundbücherlichen Kaufvertrag vom 30. October
1900, also nach Einbringung der Klage, in den Besitz des Herrn
Bahr übergegangen, und zwar gegen den Betrag von 3600 fl., von denen 1800 fl. bar bezahlt,
1800 fl. im Jahre 1901 fällig sind! In diesem Kaufvertrage wurde auch das Ausmaß des
Grundes angegeben und gesagt, der Kaufpreis werde so berechnet werden, daß der Quadratmeter
des Grundes auf 4 fl. komme. Um eine verläßliche Grundlage über den Werth des Grundes
zu haben, und um mit Fug und Recht sagen zu können, dieser Grund sei nach Einbringung
der Klage an
Bahr geschenkt worden, habe ich mich in durchaus verläßlicher Weise informirt. Ich werde
Ihnen die Lage der Villa beschreiben.
Dr.
Kienböck schildert nun die entzückende Lage der Villa
Bahr, die der Villa
Bukovics, nach dem Localaugenschein, den er selbst aufnahm, die Aussicht benehme. An der Villa
vorbei läuft eine vorläufig unbenannte Gasse.
Dr.
Kienböck: Ich bin Herrn
Bahr sehr dankbar, er macht mich aufmerksam, daß die Gasse ihm zu Ehren
Linzergasse zubenannt wurde.
Bahr:
Nein, ich sagte Winzergasse. (Heiterkeit.)
Dr.
Kienböck erzählt nun, daß er sich um den Werth des der Villa gegenüberliegenden, noch unverbauten
Grundstückes erkundigt habe. Die Hausmeisterin sagte, es seien 1000 Quadratmeter,
und die kosten sieben Gulden per Quadratmeter. Dies bestätigte ihm auch der Eigenthümer
Oberstlieutenant
Müller v. Sturmthal in
Graz. Ich glaube daher, sagt Dr.
Kienböck, nachgewiesen zu haben, daß der Grund, den Herr
Bahr um 4 fl. per Quadratmeter gekauft hat, 7 fl. werth ist. Das ist ein Spottpreis und
ist ihm, wie der
Wiener sagt, geschenkt worden!
Dr.
Harpner: Die
grundbücherliche Intabulirung des Kaufvertrages ist allerdings vom October 1900, das ist richtig. Wir werden aber
von einem Zeugen hören, warum der schon im
Juli 1899 –
also ein Jahr vor Erscheinen der Beschuldigung – perfecte Kaufvertrag erst zu dieser Zeit im Grundbuche intabulirt werden konnte.
Was den Preis betrifft, so ist es möglich, daß der Herr
Oberstlieutenant 7 fl. per Quadratmeter verlangt,
verkauft hat er den Grund
nicht. Ich bin aber in der Lage, durch einen
beglaubigten Kaufvertrag des Herrn
v. Bukovics nachzuweisen, um welchen Betrag Letzterer den ganzen Grundbesitz selbst gekauft hat.
Er hat im Jahre 1893
981 Quadratklafter um 3732 fl. gekauft: hievon gab er
847 Quadratmeter an Herrn
Bahr ab, und zwar um 3600 fl.
Er hat also den Quadratmeter um 1 fl. 30 kr. theurer verkauft, als ihn die Quadratklafter
gekostet hat. Für ein solches Geschenk würden wir uns Alle schön bedanken!
*
Der
Präsident vernimmt hierauf den in Vertretung des erkrankten Dr.
Heinrich Löwy erschienenen Compagnon desselben Dr.
Schulz. Dieser gibt auf Grund von Belegen an: Am 7. Juli 1899 habe eine Conferenz mit Director
v. Bukovics betreffs Abtretung des Grundstückes an
Bahr stattgefunden. Man sei übereingekommen, daß 744·15 Quadratmeter gegen Bezahlung abgetreten
werden, während für 161·96 Quadratmeter eine Bezahlung nicht verlangt wurde, weil
dieser Grund der Commune abgetreten werden mußte. Der Kaufpreis wurde auf 3600 fl.
abgerundet. Die eine Hälfte sollte bei Unterfertigung des Kaufvertrages, der Rest
ein Jahr nach der Intabulirung bezahlt werden. Es wurde ferner bestimmt, daß
Bahr die Kosten der Parcellirung zu tragen habe. Die Parcellirung konnte jedoch nicht
sobald durchgeführt werden, weil die Commune die Führung einer Diagonalstraße in Aussicht
genommen hatte, welche jedoch später nicht durchgeführt wurde. Erst nachdem die hiedurch
nothwendig gewordenen Situationspläne – im Ganzen vier – den behördlichen Weg durchgemacht
hatten und die ganze Straßenfrage endgiltig erledigt war, konnte, und zwar im Juni 1900, die Parcellirung thatsächlich durchgeführt werden. Der
definitive Kaufvertrag wurde sodann
am 30. October 1900 ausgefertigt und mit Beschluß des
Bezirksgerichtes Hietzing die grundbücherliche Abtretung auch durchgeführt.
Zeuge Dr.
Schulz (fortfahrend): Ich bemerke noch, daß diese gesammte Action vollständig
auf Kosten des Herrn Bahr durchgeführt wurde. Ich habe das Cassabuch des Herrn Dr.
Löwy mitgebracht. Am
6. December 1899 hat Dr.
Löwy für Herrn
Bahr an Kosten des Situationsplanes 234 K. bezahlt,
am 26. Juli hat Herr
Bahr den Betrag von 709 K. erlegt. Es liegen
Belege der Anglobank vor, daß diese Beträge auf Rechnung des Herrn
Bahr bezahlt wurden.
Dr.
Harpner legt jetzt
ein Schreiben der Anglobank vor, wodurch Herrn
Bahr bestätigt wird, daß
am 26. Juli 1899 –
also lange vor dem Erscheinen der Beschuldigung –
auf seine Rechnung der Betrag von 1800 fl. an Herrn v. Bukovics gezahlt wurde.
Dr.
Schulz: Bezüglich des Kaufpreises ist zu bemerken, daß er nicht zu billig vereinbart wurde.
Ich weiß, daß Herr
Bukovics diesen Grund um billigeren Preis erstanden hat, als er ihn an Herrn
Bahr verkaufte.
Präs.: Ist das Grundstück weit draußen in
Ober-St. Veit? Wie weit ist es denn von der Stadtbahn?
Dr.
Harpner: Die Villa ist so weit, daß Herr
Kraus die Bemerkung gemacht hat, Herr
Bahr sollte sich doch ein Automobil machen lassen.
Der
Angeklagte verwahrt sich dagegen. Er habe nur ein geschmackloses
Feuilleton des Herrn
Hevesi im »
Pester Lloyd« citirt, worin es hieß, Herr
Bahr habe die Absicht, sich auch ein Automobil anzuschaffen. –
Präs.: Für diesen Artikel können Sie doch Herrn
Bahr nicht verantwortlich machen? –
Angekl.: Gewiß war er inspirirt. Clique ist Clique, das lasse ich mir nicht ausreden. – Dr.
Harpner:
Und Unwahrheit ist Unwahrheit.
Nach einer kurzen Unterbrechung wird die Sitzung wieder aufgenommen. Director
v. Bukovics wird noch nochmals als Zeuge vorgerufen.
Neuerliche Vernehmung des Directors v. Bukovics.
Präs.: Wie ist Ihnen die Idee gekommen, den Grund in
St. Veit an Herrn
Bahr zu verkaufen?
Director
v. Bukovics: Herr
Bahr theilte mir vor etwa zwei Jahren mit, er wolle sich in
Hietzing ansiedeln; er habe sich Grundstücke angesehen, dieselben seien jedoch zu teuer. Ich
sagte: »So kaufe Dir da einen Grund, wenn es Dir nicht zu weit ist!« Er meinte, er
werde es sich überlegen. Die Sache zog sich zwei, drei Monate hin, dann sagte er,
er sei bereit, den Grund zu kaufen. Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, dort Grund
zu verkaufen wegen der herrlichen Aussicht, doch
Bahr war bereit, dort zu bauen, wo er die schöne Aussicht meiner Villa nicht im geringsten
schädigte; das war mir angenehm, denn ein Fremder hätte es nicht gethan.
Bahr verlangte ausdrücklich, der Kauf müsse wie unter Fremden abgeschlossen werden. Bei Bestimmung des Preises dürfe
keine Rücksicht auf das freundschaftliche Verhältniß genommen werden, weil er sonst vom Kaufe zurücktrete. Ich erkundigte mich deshalb in der Nachbarschaft
nach den Grundpreisen in meiner Umgebung und hörte, daß der Preis vier bis fünf Gulden
per Quadrameter betrage.
Präs.: Sie hatten den Grund viel billiger gekauft, seither war er jedoch gewiß im Preise
gestiegen.
Director
v. Bukovics: Gewiß, ich zahlte sechs Jahre vorher
die Klafter mit drei Gulden und einigen Kreuzern und rechnete
Bahr den landläufigen Preis, etwa fünf Gulden per
Quadratmeter.
Dr.
Kienböck: Nach dem Kaufvertrag stellt sich der Quadratmeter aus 4,2 fl.? – Director
v. Bukovics: Ja, wenn man den ganzen Quadratinhalt rechnet, aber etwa 180 Quadratmeter gehen
ab, die als Straßengrund der Commune abgegeben werden mußten; rechnet man den wirklichen
Flächenraum, so kommt der Quadratmeter auf ungefähr 5 fl. zu stehen.
Präs.: Wie kam der Verkauf zustande?
Director
v. Bukovics: Mein Rechtsfreund Dr.
Löwy wurde damit betraut; das Vertragsinstrument wurde aufgesetzt, die Hälfte des Kaufpreises
bezahlt, nur die grundbücherliche Einverleibung ließ auf sich warten in Folge der
Parcellirung, der Baulinienbestimmung &c. –
Präs.: Seit wann steht die Villa? – Director von
Bukovics:
Im Herbst 1899 wurde der Bau der Villa begonnen, seit Mai oder Juni vorigen Jahres
ist sie bewohnt.
Dr.
Kienböck: Welches Entgelt erhielten Sie für die Benützung des Grundes bis zur grundbücherlichen
Einverleibung?
Director
v. Bukovics (erregt): Erlauben Sie, das Grundstück gehörte Herrn
Bahr, die Hälfte des Kaufpreises hatte er bezahlt,
ich werde doch, weil die grundbücherliche Formalität nicht erfüllt werden konnte,
von ihm kein Geld verlangen?!
Dr.
Harpner: Herr Director! Es wird gegen Sie auch der Vorwurf erhoben, daß Sie hinter dem Rücken
des Directors des
Berliner Deutschen Theaters,
Brahm, ein
listiges Intriguenspiel gespielt und
Bahr den Auftrag gegeben haben, die
Berliner hier zu tadeln?
Präs. (zum Zeugen): Nicht in dieser directen Form ist das aufzufassen; aber, ob vielleicht
im freundschaftlichen Verkehr eine Anspielung erfolgte, daß es erwünscht wäre,
daß das Deutsche Theater in Wien getadelt würde, wenn das
Deutsche Volkstheater in
Berlin keinen Erfolg hätte?
Director
v. Bukovics: Da muß ich mein Verhältniß zu
Bahr ein wenig beleuchten. Er war mir einst kein Freund.
Präs.: Wir haben ja gehört, daß er geradezu als Antagonist gegen das
Deutsche Volkstheater und auch gegen Sie persönlich auftrat.
Director
v. Bukovics: Ja, er war ein Gegner des
Deutschen Volkstheaters und schrieb scharfe Kritiken, er schreibt auch jetzt manchmal keine freundlichen
Kritiken über mein
Theater, das kann mich aber gar nicht beirren, so wie es mich damals nicht beirrt hat. Unsere
herzliche Freundschaft kann nur bestehen, wenn wir nie über Kritik sprechen. Und ich
sage es hier unter Eid aus, daß das nie der Fall ist. Ich werde dem
Bahr nie zumuthen, mit mir auch nur darüber zu reden, ob eine Kritik so oder so geschrieben
sein soll.
Präs.: Bei dem so herzlichen Freundschaftsverhältniß fließt vielleicht unwillkürlich etwas
Wohlwollen in die Feder?
Director
v. Bukovics: Ja, so hätte es mich nur gefreut. Allein
Bahr hat es als Kritiker nicht nöthig, Rücksichten zu beobachten. Ich muß aber zu unserem
Berliner Gastspiel sprechen. Ich habe an
Bahr aus
Berlin einen Brief geschrieben, in welchem ich ihm die Aufführung des »
Star« mittheilte, und eine Depesche über unseren Riesenerfolg gesendet. Es war auch ein
glänzender Erfolg für uns, der natürlich von der »
Fackel« verkleinert, verschlechtert, verleumdet wurde. Ich habe auf
Bahr und auf die
Wiener Kritik über das
Berliner Theater nicht den geringsten Einfluß genommen. Die
Berliner Kritiken über uns waren wie die
Wiener Kritiken über die
Berliner: theilweise gelobt, theilweise getadelt. Ich sendete auch die
Berliner Kritiken über uns nach
Wien, natürlich nur die guten.
Präs.: Herr
Kraus meinte, daß Herr
Bahr Reclamenotizen für Ihre Bühne verfaßte?
Director
v. Bukovics: Das ist lächerlich. Das waren Notizen, die unsere Theaterkanzlei, wie andere, an
die Blätter schickte, ich wußte gar nichts von den verlesenen Notizen und hätte Herrrn
Bahr damit auch gar nicht molestirt. Man vergißt, daß, wenn Herr
Bahr nicht mein Freund wäre, ich um seine Gunst mich hätte bemühen müssen, denn er ist
ein ausgezeichneter Schriftsteller.
Angekl.: Herr Director haben von glänzenden, großartigen Erfolgen in
Berlin gesprochen. Wie groß war denn das Deficit? (Lebhafte Heiterkeit.) – Director
von Bukovics: Ich brauche darauf nicht zu antworten. –
Angekl.: Das ist ja keine Schande, Sie werden sich ja doch nicht geniren? – Director
v. Bukovics: Es ist ein Geschäftsgeheimniß. Ich bitte den Herrn
Präsidenten mich von der Antwort zu entbinden. –
Präs.: Ich kann das nur thun, wenn die Gründe der Strafproceßordnung vorliegen. Daß Ihnen
die Antwort zur Schande gereicht, werden Sie gewiß nicht bebaupten. Ob es ein Schade
für Sie ist, kann ich nicht beurtheilen.
Director
v. Bukovics: Schande? Das wäre einfach absurd. Den materiellen Schaden schätze ich auf etwa 15,000 fl.
–
Angekl.: Es wurde von 30,000 fl. gesprochen. – Director
v. Bukovics: Ja was Alles gesprochen wird. –
Angekl.: Ich will nur den Widerspruch zwischen den Behauptungen »glänzender Erfolg« und dem
Deficit von mindestens 15,000 fl. ins rechte Licht setzen.
Director
v. Bukovics: Es war eben
künstlerisch ein glänzender Erfolg. Das ist ein Unterschied. Der Erfolg beim Publicum war glänzend. Wir haben dem
Wiener Stück einen bedeutenden Ruf verschafft. –
Angekl.: Der größte Erfolg war mit »
Star«, und ich glaube nicht, daß das ein
Wiener Stück genannt werden kann. »
Alte Wiener« sind dagegen durchgefallen. – Director
v. Bukovics: »
Alte Wiener« haben auch Erfolg gehabt, nur sind sie eben das schwächste Stück von
Anzengruber. –
Präs.: Wir wollen ja hier nicht die Güte der Stücke beurtheilen. Herr
Kraus wollte nur wissen, ob ein Deficit vorhanden war. Sie haben gesagt 15,000 fl., das
ist genügend.
Angekl.: Ich möchte die Requisition der
Berliner Blätter beantragen. Ich will beweisen, daß von einem Erfolg nicht gesprochen werden
kann. Ich habe die Blätter telegraphisch bestellt, erhielt aber die Antwort, daß sie
in so kurzer Zeit nicht aufzutreiben seien.
Dr.
Harpner: Ich bin in der angenehmen Lage, dem Herrn
Angeklagten die Blätter zur Verfügung zu stellen. Mir sind sie nämlich geschickt worden. (Heiterkeit.)
Präs. (zum
Angeklagten): Sie sind dann wohl in der Lage, bis morgen diese Blätter durchzusehen.
Dr.
Kienböck: Besitzen Sie eine Claque am
Deutschen Volkstheater – Director
v. Bukovics: Ja. – Dr.
Kienböck: Steht sie unter Ihrem Einfluß? – Director
v. Bukovics: Ich lasse mir den Mann nur holen, wenn irgend welche Frechheit oder Aufdringlichkeit
vorkommt. Ich sage nicht, applaudiren Sie Dem oder Jenem. – Dr.
Kienböck: Nur »applaudiren Sie überhaupt«. (Lebhafte Heiterkeit.)
Dr.
Harpner: Ich frage Sie unter Ihrem Eide, Herr Director, muß Herr
Bahr sich bei Ihnen bedanken, weil Sie die Güte haben, seine Stücke aufzuführen, oder
sind Sie ihm für die Erfolge dankbar.
Director
v. Bukovics: Ich habe ja schon gesagt: Wenn ich nicht schon sein Freund wäre, müßte ich trachten,
es zu werden, um seine Stücke zu erhalten, für die ich ihm Dank schulde.
Dr.
Harpner: Hat Herr
Bahr jemals einen außerordentlichen Vortheil sich ausbedungen; ein Einreichungshonorar,
einen Tantièmenvorschuß? – Director
v. Bukovics: Niemals. – Dr.
Harpner: Ich frage Sie weiter unter Ihrem Eide: Haben Sie den »
Athleten« der ohne Erfolg aufgeführt wurde, auch nur um eine Vorstellung länger aufgeführt
als andere Stücke unter ähnlichen Verhältnissen?
Director
v. Bukovics: Gewiß nicht.
Präs.: Haben Sie in dieser Beziehung ein Princip?
Director
v. Bukovics: Ja, bis zu einer Einnahme von 1000 fl. Brutto geben wir ein Stück, um es zu versuchen.
Weiter nicht.
Präs.: Wie viel müssen Sie einnehmen, um ohne Schaden zu spielen?
Director
v. Bukovics: Der Tagesetat ist über 1600 fl.
Dr.
Harpner: Es liegt ein Brief von Herrn
Bahr vor, aus der Zeit, wo Sie den »
Athleten« absetzten. Der Brief lautet: »Lieber Freund! Ich erfahre soeben, daß der »Athlet«
definitiv begraben ist, und mein erster Gedanke ist, wie schmerzlich Dir, lieber Freund,
das gewesen sein muß; schmerzlicher gewiß, als mir, der ich ja von Anfang an keine
zu großen Erwartungen auf das Stück gesetzt habe. Die gescheiten Leute – und um die
anderen habe ich mich nie gekümmert – erkennen an, daß ich damit wieder um ein Stück
vorwärtsgekommen bin. Nun, ärgere Dich nicht mehr, denk’ nicht mehr daran, und, wie
ich an meinem »
Franzl« fortschaffe, schaffe Du an »
Demetrius« und an den anderen großen Werken. Mit herzlichem Gruß Dein
Herm. Bahr.«
Präs. (zum Zeugen): Ich will nur eine Frage stellen, die ich deshalb stelle, weil Sie Ihnen
aus meinem Munde weniger aufregend sein wird. Sie haben gehört, daß es angeblich Praxis
ist, ein durchgefallenes Stück so oft zu geben, bis das Publicum angelockt wird und
hineingehen muß?
Director
v. Bukovics: Das ist bei uns ganz unmöglich, weil man ja dann an zehn Vorstellungen so viel verliert,
daß man es nie hereinbekommen kann.
Angekl.: Gibt es nicht eine Methode, Stücke eines directorialen Lieblings möglichst oft an
Sonntagen zu geben?
Director
v. Bukovics: Nein, gewiß nicht.
Angekl.: Nun, ich will Ihnen eine kleine Statistik bringen. Der »
Athlet« ist
total durchgefallen, den konnten Sie nicht durchpeitschen.
Director
v. Bukovics: Entschuldigen Sie, »
Der Athlet« ist nicht durchgefallen, er hat nur kein Geld gebracht.
Angekl.: Kommt es nicht vor, daß Directoren nicht durch eine Barleistung an Geld oder dergleichen,
sondern in irgend einer Form Kritikern Gefälligkeiten erweisen, etwa durch Aufführung
eines Stückes, dessen Tendenz so liberal ist, daß die
Wiener Presse daran ihre Freude haben wird?
Director
v. Bukovics: Was ich mache, ist meine Sache. Ich möchte den Kritiker sehen, dem zuliebe ich ein
Stück mit politischer Tendenz aufführe. –
Angekl.: Ich möchte noch Eines bemerken: Sie glauben also, es sei überhaupt nicht möglich,
daß Directoren Stücke von Lieblingen geben, und zwar gerade an Sonntagen? – Director
v. Bukovics: Ich gebe die Stücke an Sonntagen, weil es mir paßt. –
Angekl.: Sprechen wir über die Zahl der Aufführungen von »
Josephine«. Dieses Stück
Hermann Bahr’s wurde sechsmal unter dreizehnmal an Sonn- und Feiertagen gegeben? – Director
v. Bukovics: Ja, um Gotteswillen, wen geht es denn was an, wann ich meine Stücke ansetze, wie
ich mein Repertoire mache? (Lebhafte Heiterkeit.) Uebrigens hat »
Josephine«, das erste Stück
Bahr’s, das wir aufgeführt haben, sehr viel Geld gekostet, und das mußte hereingebracht
werden.
Dr.
Harpner (zum Zeugen): Sie würden aber gewiß kein Stück aufführen, wenn es nicht wenigstens
die Kosten zu tragen verspricht. Aber man will Ihnen eine andere Bestechung des Herrn
Bahr nachweisen, ob Sie nämlich
Bahr nicht dadurch begünstigt haben, daß Sie seine Stücke favorisirten und sie absichtlich
an Sonntagen gaben, um dadurch eine erhöhte Einnahme zu erzielen und höhere Tantièmen
zahlen zu können?
Director
v. Bukovics: Ich gebe an Sonntagen Novitäten, die die Leute ins Theater ziehen.
Nach einer Bemerkung des
Angeklagten, daß die »
Josephine« jedenfalls eine unerhörte Begünstigung erfahren habe, sagt Dr.
Harpner: Wir müssen auch das berühren, daß Director
v. Bukovics nicht leugnet, daß
Bahr einer seiner Lieblingsschriftsteller ist, weil er ihm gute und einträgliche Stücke
liefert.
Präs. (zum Zeugen): Spüren Sie das, ob Sie an einem Sonntag ein gutes oder schlechtes Stück
geben?
Director
v. Bukovics: Es äußert sich sehr fühlbar, denn der Ausfall ist am Sonntag noch fühlbarer.
In weitläufiger Weise wird nun von der Aufführung alter und neuer Stücke gesprochen.
Präs. (zum
Angekl.): Waren Sie bei der Première von »
Josephine«? –
Angekl.: Ja. Das Stück wurde total niedergezischt. – Director
v. Bukovics: Es kommt in unserem
Theater vor, daß
Zischer hineingeschickt werden, damit dann gesagt werden könne: Das Stück ist niedergezischt worden. Bis zum
dritten Act hatte »
Josephine« guten Erfolg. Dann fiel auf der Bühne das Wort »Das ist
Napoleon? Den habe ich mir anders vorgestellt.« Von der Galerie rief Jemand: »Ich auch« und
nun wurde gelacht. (Heiterkeit.) – Dr.
Harpner: Und wie war der Cassenerfolg des Stückes bis zu seiner Absetzung? – Director
v. Bukovics: Das kann ich unmöglich unter Eid sagen. Das wird die Casse sagen.
Dr.
Harpner (zum
Angeklagten): »
Der Athlet« wurde viermal gegeben; nach Ihrer Theorie hätte ihn Director
v. Bukovics schnell am Sonntag geben müssen, damit doch das Stück durchgepeitscht werde.
Angekl.: Ich sage ja nicht, daß bei jedem Stück so vorgegangen wurde.
Parteienanträge.
Hiemit war das Verhör des Directors
Bukovics zu Ende. Der Vertheidiger Dr.
Kienböck stellt nun eine Reihe von Anträgen. Er verlangt die Einvernahme der Claqueure
Rudolph Pick und
Rudolph Pelzner, um zu beweisen, daß während des
deutschen Gastspiels im
Volkstheater der Claque Ordre ertheilt wurde, nicht zu arbeiten, speciell bei
Dreyer’s »
Probecandidaten«. Weiters beantragt der Vertheidiger die Einvernahme von Freimaurern über ein angebliches
Circular, die Stücke
Bahr’s fleißig zu besuchen; ferner die Anhörung von Sachverständigen im Theaterwesen,
und zwar Baron
Alfred v. Berger, Director
Müller-Guttenbrunn, Director Dr.
Paul Schlenther und Dr.
Richard v. Kralik.
Dr.
Harpner: Die Vernehmung der Claqueure gehört zwar nicht zur Sache, aber es ist heute schon
so viel gesagt worden, was nicht zur Sache gehört, daß wir auch diese Zeugen hören
können. Aber warum nur die Vertrauensclaqueure? Warum nicht auch den Chef der Claqueure
oder meinetwegen die ganze Claque. Ich beantrage also die Vorladung des Chefs der
Claque. Von mir aus sollen auch alle »Maurer«
Wiens kommen. Es wird behauptet, daß Herr
Bahr dem Director so viel Dank schuldet. Jetzt zeigt es sich, daß er ihm Leute, die Freimaurer,
ins Theater bringt . . .
Angekl.: Nur bei Premièren.
Dr.
Harpner: Da ist ja der Director
ihm zu Dank verpflichtet. (Heiterkeit.) Was aber die Sachverständigen anlangt, so wende
ich ein: Haben wir uns zu fragen, ob
Bahr ein ausgezeichneter Schriftsteller ist oder nicht? Ich concedire Ihnen für heute
und morgen, daß
Bahr der schlechteste Schriftsteller
Wiens ist. (Heiterkeit.) Aber deshalb darf man ihn noch nicht beleidigen. Welchen Zusammenhang
die Einvernahme von Sachverständigen mit dem Beweisthema hat, das überlasse ich dem
Gerichtshof zur Entscheidung. Ob es angeht, Kritik und Production für das Theater
in einer Person zu vereinigen, darüber kann sich Jeder selbst ein Urtheil bilden,
das ist Ansichtssache. Daß man sich in
Wien beschimpfen, mit einem gewissen Augenzwinkern der Verdächtigung behandeln lassen
muß, das weiß man leider, und ich hatte von meinem Klienten die Richtschnur, die Beschimpfungen,
über welche das Publicum sich selbst seine Meinung bilden kann, und auf welche auch
Sachverständige keinen Einfluß üben können, nicht zu incriminiren. Anders ist es aber
mit Dingen, die da vorgebracht werden, ohne daß das Publicum weiß, ob sie wahr sind
oder nicht. Das haben wir incriminirt: die
Behauptung von der Grundschenkung. Das kann nicht Jeder wissen, ob es wahr ist, daß man sich einen Grund schenken läßt,
deshalb hat die Einvernahme von Sachverständigen keinerlei Zusammenhang mit dem Beweisthema.
Der Gerichtshof erkannte nach kurzer Berathung, der Antrag auf Einvernahme von Sachverständigen
über die Incompatibilität zwischen dem Kritikeramt und der Autorstellung, ferner darüber,
ob es unehrenhaft sei, wenn ein Theaterdirector einen Kritiker im Interesse seines
Theaters durch Gefälligkeiten besteche, werde zurückgewiesen, weil diese ethischen Fragen von den Richtern selbst zu lösen seien. Die Einvernahme
der Zeugen bezüglich der Freimaurerei wurde als außer jedem Zusammenhange mit dem
Beweisthema stehend, ebenfalls zurückgewiesen. Dagegen wurde in Consequenz der bisherigen liberalen Haltung des Gerichtshofes gegenüber
der Vertheidigung, dem Antrage auf Vorladung der Claqueure stattgegeben.
Nach 8 Uhr Abends wurde die Verhandlung auf heute vertagt. – Beginn der Verhandlung
um 9 Uhr.