Arthur Schnitzler: Max Burckhard, April 1912

Max Burckhard.

An welchem Tag ich ihn persönlich kennen gelernt habe, weiss ich nicht mehr.
Die erste Verbindung knüpfte sich an, als ich ihm den Einakter »Alkandis Lied« einreichte, dessen Aufführung Sonnenthal zur Zeit seiner Direktionsführung oberflächlich in Betracht gezogen hatte. Burckhard, den ich damals persönlich noch nicht kannte, antwortete liebenswürdig, eigenhändig und ablehnend.
Als die Wiener freie Bühne gegründet wurde, dachte man an irgend ein Wechselverhältnis zwischen dem Burgtheater und der Freien Bühne, dessen genauere Modalitäten mir nicht mehr erinnerlich sind. Ich weiss nur mehr, dass man das »Märchen« von Seite der Freien Bühne dem Burgtheater überreichte und der Refus B.’s (wieder eigenhändig) gerade an dem selben Tag zu meiner Kenntnis gelangte, als eine etwas schwächliche öffentliche Veranstaltung an dieser Freien Bühne im kleinen Sophiensaal stattfand, bei der Devrient und Reimers die Gedichte junger Autoren (darunter auch solche von mir) vorlasen.
Kurz nachdem die »Liebelei« beendet war entschloss ich mich sie dem Burgtheater einzureichen. Anfangs hatte ich nur ans Volkstheater und ans Raimundtheater gedacht, erst Hofmannsthal fand, dass das Stück wohl im Burgtheater gespielt werden könnte. Am Morgen, da ich das Haus verliess, um das Stück persönlich in der Direktion zu überreichen, sah ich Burckhard vor mir auf der Strasse, (er wohnte damals im selben Hause wie ich). Als ich ihm mein Ziel bezeichnete, nahm er das Stück gleich an sich und erklärte, es auf seiner eben bevorstehenden Reise nach Berlin lesen zu wollen. Etwa zwei Tage später finde ich Abends beim Nachhausekommen ein Telegramm, in dem er mir zu dem Stück gratuliert und sich vorbehält in Wien alles nähere, hauptsächlich hinsichtlich zu erwartender Zensurschwierigkeiten zu besprechen. Ein paar Tage darauf in seiner Wohnung erklärt er es als unumgänglich notwendig, dass Frau Hohenfels die Christine spielt. »Wenn die nicht will, kann ich’s überhaupt nicht spielen. Die Reinhold, die piepst zu viel.« Frau Hohenfels refusiert die Rolle; ebenso wie später Baumeister den alten Weiring. Burckhard muss vorläufig von der Aufführung absehen. Entweder schon damals oder einige Zeit nachher lässt er mich durch Bahr fragen, ob ich einen Weg zu Speidel habe, dessen Urteil von grosser Bedeutung sei, so dass im Falle eines günstigen Eindruckes der »Liebelei« auf ihn sowohl die oberen Behörden als auch Frau Hohenfels leichter zu gewinnen wären. Hofmannsthal gibt das Stück dem Hofrat Gomperz, Gomperz dem Speidel, Speidel schreibt an Gomperz einen Brief, in dem er sich sehr warm über das Stück äussert und die Ansicht ausspricht, dass Fräulein Sandrock (deren Engagement für die nächste Saison bevorstand) »es wohl zum Siege führen könnte«. Dieser Brief nimmt seinen Weg von Gomperz zu Hofmannsthal, von Hofmannsthal zu mir, von mir zu Burckhard, von dort weiter, wohl auch zu Besetzny, der vorzugsweise durch Taussig (Bodenkreditanstalt) gewonnen werden sollte. Nun lag Burckhard daran, die Sandrock statt im September schon in der laufenden Saison (1895) vom Volkstheater frei zu bekommen, sie aber weigerte sich anfangs und will überhaupt mit diesem Galeerensträfling keine, wie sie Burckhard nennt, keine Unterredung haben. Bahr bittet mich nun die Sache bei der Sandrock durchzusetzen. Es gelingt mir ohne besondere Mühe, und nach stattgehabter Unterredung äussert sie: »Dieser Burckhard ist wohl ein herrlicher Mann«. Im Jänner oder Feber tritt sie ihr Engagement an, »Liebelei« aber wird vorläufig hinausgeschoben. Ich höre von verschiedenen Seiten, (auch von Lothar) dass die Aufführung des Stückes nicht gestattet werden würde. Gegen Ende der Saison, nachts beim Nachhausekommen, treffe ich mit Burckhard wieder auf der Treppe unseres Hauses zusammen. »Ich habe Ihnen eine interessante Mitteilung zu machen, Mitterwurzer wird den Herrn spielen«. Darauf ich: »Ich habe Ihnen eine noch interessantere Mitteilung zu machen, die ›Liebelei‹ wird im Burgtheater gar nicht aufgeführt werden«. Er gibt bestehende Schwierigkeiten zu, verbürgt sich aber dafür, sie zu überwinden. Vor der Aufführung des Stückes, Oktober 95, drohen auf kurze Zeit neue Schwierigkeiten durch die Sandrock zu entstehen und Burckhard sagt: »Ja natürlich, wenn sie auf der Probe einen Skandal macht, können wir’s nicht spielen.« Aber die Leseprobe und alles übrige verläuft glatt.
Kurze Zeit nach der Première erzählt mir Burckhard, der Kaiser habe sich zum Maler Horowitz geäussert: »Ich habe mich gewundert Sie neulich mit Ihrer Tochter bei der ›Liebelei‹ zu sehen. Ich begreife überhaupt nicht, dass man so ein Stück im Burgtheater aufführt«. Diese Stimmung des Kaisers kam daher, dass Frau Schratt, die die Schlager-Mizzi spielen wollte und daher gegen das Stück intriguierte.

»Freiwild« gab ich Burckhard zum lesen, natürlich wusste ich, dass es im Burgtheater nicht aufgeführt werden konnte. Er war mit dem Stück sehr einverstanden, nur wünschte er, dass Paul Röning den Offizier Karinski und nicht dieser den Paul am Schluss des Stückes niederknalle.
Kurz vorher, in Pötzleinsdorf auf einer Soiree bei Mauthners hatte er mit mir über die feindselige Stellung mancher Leute gegenüber Anatol und Liebelei gesprochen und gesagt: »Schreiben S’ doch einmal etwas ganz anderes und schlagen S’ den Leuten den Säbel aus der Hand.« In diesem Sinn hatte ihn Freiwild sehr angenehm berührt.
»›Anatol‹ möcht ich gern aufführen, Sie müssten den Anatol spielen, der Bahr den Max, und die Sandrock alle sieben Frauenollen«.
Ende 97 kam seine Stellung als Direktor ins Schwanken. Er erkundigte sich lebhaft nach meinem neuen Stück, das ich eben beendet hatte, das »Vermächtnis«, wollte es sich gleich vorlesen lassen, und ich hatte den Eindruck, als wenn er einem starken Theatererfolg die Kraft zutraute seine Stellung wieder zu befestigen. Ich las ihm das Stück in meiner Wohnung vor, es gefiel ihm, er sprach gleich über die Besetzung und insbesondere wurde Hartmann für den Losatti in Aussicht genommen. Aber ehe noch offiziell etwas entschieden war erfolgte der Burckhard’s Sturz. In der Zeit der Krise traf ich ihn einmal bei Benedikt’s und auf eine leise fragende Anspielung meinerseits kehrte er zum ersten und einzigen Mal, allerdings in einer sehr höflichen Form, den Beamten hervor, der nicht in der Lage sei Auskunft zu erteilen oder dergleichen.
Gleich nach seinem Scheiden aus dem Amt schrieb ich ihm aus meiner Sympathie heraus einen Brief, den er ebenso herzlich erwiderte und unsere freundschaftlichen Beziehungen, ohne dass sie je den Charakter einer besonderen Intimität annahmen, befestigten sich von Jahr zu Jahr.

Lebhaften Anteil nahm er an der »Leutnant Gustl«-Affaire. Als die erste Vorladung der Militärbehörde an mich gelangte, besprach ich mit ihm was zu tun wäre. Er war es hauptsächlich, der mir widerriet mich persönlich dem Ehrengericht vorzustellen; da ich dort in Uniform erscheinen müsste und die Verhandlungen überdies geheim seien, wäre ich eventuell auch willkürlichen Massnahmen ausgesetzt. Er hielt überdies damals, da er den österreichischen Behörden nun einmal nicht traute, eine zwangsweise Vorführung nicht für ganz ausgeschlossen, ja selbst eine Hausdurchsuchung und übernahm für einige Zeit wichtige Papiere von mir in eigene Verwahrung.

Ein Kaffeehausgespräch, das wohl nach der »Liebelei« stattgefunden haben könnte. Er erzählte von gewissen Jugendstimmungen, in denen er überzeugt war, dass er weder krank werden oder gar sterben könnte. Ich glaube, es klang zu jener Zeit noch manches von jener Stimmung in ihm nach, wenn auch schon, wie ich von Bahr erfuhr, Perioden von schwersten hypochondrisch-melancholischen Depressionen dazwischen gelegen waren, doch war der Eindruck jenes Gespräches im Arkadencafé so stark, dass es sich mir irgendwie als Ausgangspunkt oder als Mittelszene für einen Roman krystallisieren wollte.

Im Jahre 94 radle ich mit Salten an einem schönen Sommernachmittag gegen Weidling-Bach. ×rade Ein Fussgänger mit Lodenhut, jung und einsam, kommt uns entgegen, es ist Burckhard, wir plaudern, er äussert sich ziemlich abfällig über das Radfahren.
Im Jahr darauf bin ich mit Salten auf einer Radtour von Salzburg gegen Innsbruck. Irgendwo an der Grenze gegen Mittag kommt uns ein Radler entgegen, sehr bedenklich aussehend, ohne Kravatte, mit Zugschuhen, einen Dolch im Gürtel, die Landkarte aufgeschnallt, es ist Burckhard, der um drei Uhr Morgens von Innsbruck weggefahren ist und noch vor Mittag in Salzburg anzukommen gedenkt.

Im Jahre 1901 Begegnung in Rom. Ich treffe ihn im Vatikan in blauen Radlkostüm. Manchmal speisen wir zusammen. Auch Wassermann und Frau sind ein oder das andere Mal dabei. Burckhard begnügt sich meist mit Orangen und Artischoken.
Bald nachdem er sein Haus in St. Gilgen bezieht, etwa Herbst 1905 (?) besuchen wir ihn dort. Ebenso im Winter desselben Jahres. Rodeln hinter seinem Haus. Seine Klagen, damals zum Teil offenbar hypochondrischer Natur, Professor Ortner habe ihm grosse Angst gemacht. Etwa zu gleicher Zeit hatte Ortner bei Herzl, Burckhard und Bahr schwere Herzkrankheiten konstatiert, und alle diese Patienten mit einer kaum zu rechtfertigenden Aufrichtigkeit in schweren seelischen Depressionen versetzt. Herzl starb schon im Juli 1904. Bahr sagte mir ungefähr zu dieser Zeit: »Der Ortner hat mir gesagt, dass der Burckhard noch viel kränker ist als ich. Er weiss gar nicht wie krank er ist.«

Im Juni 1909 waren wir etwa acht Tage in St. Gilgen. Damals stieg ich einmal mit B. auf seine Alm, wo er sich eine Hütte gebaut hatte, und die Arbeiter eben mit der Steinumfassung des Platzes beschäftigt waren. B. stieg vortrefflich und nach anfänglicher Aengstlichkeit, wie meistens, kam er sehr bald ins Reden und Erzählen. Er sprach damals davon, dass er in der letzten Zeit alle Liebesbriefe verbrannt hätte. »Es macht einem doch nur traurig, wenn man später die Sachen wieder ansieht.«
Sein Haus in St. Gilgen hatte innen etwas Kahles, ja beinah Trübseliges. Der Garten wunderschön. Im Juli 1911 sass ich mit ihm in einem eben gebauten kleinen Salettl, mit ihm und dreien nicht mehr ganz jungen Fräuleins, die sich dort regelmässig zu einer Tarokpartie einzufinden pflegten.
Im Laufe des letzten Jahres besuchte er mich zuweilen, meist von seinem gewohnten Spaziergang im Türkenschanzpark an unserm Haus vorüberkommend. Anfangs war er immer von schweren Angstvorstellungen gequält, im Laufe des Gespräches verloren sie sich beinahe regelmässig und noch im vergangenen Winter wurde man manchmal an seine besten Tage erinnert.
Etwas Schrullen- und Sonderlingshaftes war ihm schon in frühester Zeit eigen. Er gehörte zu der Sorte der geselligen Einsamen.

Was wird von ihm übrig bleiben? Er hat wohl kein einziges Werk geschaffen, das durch seinen Kunstwert die Anwartschaft auf lange Dauer in sich trägt, aber viele, auch keines, in dem es nicht einzelne Partieen von dichterischem Reiz, ja selbst von dichterischer Kraft gäbe. In allen aber, selbst in den wenigst gelungenen, spricht sich seine ganze Persönlichkeit aus und man muss es beklagen die Ungerechtigkeit des Nachruhms beklagen, der sich formalem Gelingen so viel leichter geneigt zeigt als den schriftstellerischen Aeusserungen einer bedeutenden Menschlichkeit, wenn sie nicht von den Flügeln der Form über die Jahrzehnte oder Jahrhunderte getragen werden. Freilich stellt sich bald der Trost ein: Was bedeuten Jahrzehnte und Jahrhunderte? Und was bedeutet der Name eines Menschen? Die Wirkungen von Persönlichkeiten, wie B. eine war, liegen wahrscheinlich so tief, dass sie nur in ihren Resultaten erkennbar werden, während freilich der Weg bis dahin oft genug unterirdisch verläuft, gewissermassen nur für die Wünschelrute des Kulturpsychologen erkennbar. Und doch war Burckhard von künstlerischem Ehrgeiz nicht frei, wofür ja schon sein steter Drang spricht sich in angemessener künstlerischer Form auszusprechen. Als Kritiker stand er dem Artistischen mit einer gewissen Antipathie gegenüber und konnte natürlich den Irrtum nicht immer vermeiden auch dort reine Artistik zu sehen, wo Seelenhaftes sich in einer neuen und anfangs kühl erscheinenden Form darzubieten suchte.

Max B.
Jemand erzählt ihm, dass Dilli S. rie irgendwo nackt getanzt habe. Er bittet den Herrn nochmals zu kommen, lässt sich die Sache nochmals erzählen. Dilli ist verborgen, hört das Ganze, er ruft sie hervor, der Mann revoziert.