Tagebuch von Arthur Schnitzler, 18. 3. 1912

18/3 Heute vor 13 Jahren starb M. R.
Der blinde Componist Rudolf Braun, Einladung zu musikalischen Aufführungen seiner Werke. Er ist blind geboren, spricht von seinem Naturgefühl, seinen Ausflügen, empfindet sein »Gebrechen« nur als gelegentliche Unannehmlichkeit – die »sentimentale Auffassung« seines Leidens soll in die hinterste Ecke geworfen werden.–
Nachmittag mit O. ins Trauerhaus Lichtenfelsg. 7, das ich noch nie betreten. Gleich wieder Bahr – Ich sage ihm: »Du solltest doch endlich einmal diesen Bann brechen –« Vor der Kirche. Fuhr mit Salten heim; Erinnerungen an Burckhard; über »das stärkere Band«. Meine wahre Meinung sagt ich ihm natürlich nicht. In solchen Beziehungen ist Wahrheit fast unmoralisch, unnütz gewiß. Er wird wahrscheinlich Burckhards Nachfolger beim Fremdenblatt.–
Correcturen durchgesehn. »Sterben« zu Ende. Ein begabtes aber peinliches Buch (in tieferm Sinn).–