Arthur Schnitzler: Die Schwestern, mit Strichen von Andrian oder Bahr, 14.–19. 9. 1918

Aufzubewahren!
Burgth. Exemplar
Die rothen Striche von Andrian oder Bahr
September 1918.
Sollt man es für möglich halten!!!
A. S.
[…]
  • TITO: Aber es könnte auch irgendwer bei ihm versteckt sein. Im Schrank – im Bett
  • ANINA: Und warum vermutest du das?
[…]
  • Ein kleines rundes Ding. Und solch ein Näschen.
  • Für zehn Dukaten konnt’ sie jeder haben.
  • Und wer ihr just gefiel, für zwei. Das nennt
  • Sich Tänzerin. Die Sängerinnen sind
  • Geradeso. Triumphe Casanovas!
[…]
  • ANDREA: Als Dank –? Wofür – –?
  • ANINA: Daß ich ihm angehört in dieser Nacht.
[…]
  • FLAMINIA: Ist’s möglich? Wie? Ward so was je erhört?
  • Auf keuschem Lager harr’ ich sehnsuchtsvoll,
  • Und diese hier fängt mir den Liebsten ab –?!
  • Ins Leere durstig breitet sich mein Arm –
  • Indessen schlingt der ihre sich um ihn?! –
  • Die Nachtluft trink’ ich, seine Küsse die
  • Und während ich mit rotgeweintem Aug’
  • Der grauen Dämmrung wach entgegenstarre,
  • Ist diese da in süßem Morgentraum,
  • Der mir gebührt, verrätrisch eingeschlummert?
  • Hat solches Ausmaß von Verworfenheit
  • In einem Weiberherzen Raum? (Zu Andrea gewandt:)
[…]
  • Mit Casanova sie bekannt gemacht,
  • Den sie zum Dank sofort vom Mahle weg
  • In ihr wollüst’ges Bett zu locken weiß. – – (Zu Anina)
  • Ein Fräulein Sie? Aus gutem Bürgerhaus –?
  • Ja, wer von solchem unschuldsblassen Lärvchen
  • Sich narren ließe! Wer in diesem zarten
  • Hochmüt’gen Antlitz nicht verruchter Laster
[…]
  • ANINA: Doch nicht so laut, daß es Herr Santis hört.
  • FLAMINIA: Was geht mich Santis an? Die ganze Stadt
  • Soll’s wissen. Diebin! Mörderin! Verruchte!
  • Das Fenster auf, Andrea, daß man’s hört.
  • ANINA: Gern will ich selbst –
  • (als wollte sie zum Fenster).
  • FLAMINIA (sie am Mantel haltend): Verworfne, Schamvergeßne!
[…]
  • Sie zechte mit, sprach englisch mit dem Lord.
  • Und wenn’s mir recht ist, unterm Tisch französisch.
  • Die nehmen wir auf uns, Herr Bassi, wie?
[…]
  • Des Zufalls Opfer, doch zugleich ihm dankbar,
  • Jungfräulich-bräutlich, eh die Sonne sank
  • Und eh sie aufging – eines Fremden Dirne.
[…]
  • So daß sie der erschlichnen Lust nicht froh
  • In neuem Durst nach freigebotner schmachtet –,
  • Die andre, die er zu umarmen wähnte
  • Und die in ungestillter Sehnsucht seufzt.
  • Und jede hält ihr Recht allein begründet,
  • Wie sie der andern Recht für nichtig hält.
  • Dem Jüngling aber sich zur Wahl zu stellen,
  • Wie’s nahe läge, lehnen beide ab,
  • Denn ist er nicht, wie jetzt, ein Ahnungsloser,
  • Vielmehr als wissend in den Fall verwickelt,
  • So ward’s ein anderer, völlig neuer Fall,
[…]
  • So also steht die Frage: Welcher Schwester
  • Nach Herzensrecht gehört der Jüngling zu?
[…]
  • Als die Teresa eben mir bewies?
  • Sie kehrte mir zurück. Nur das ist Treue,
  • Die einz’ge, die mit Fug so heißen darf.
  • Denn was uns sonst Gewähr der Treue gilt,
  • Das hält nicht stand vor philosoph’scher Prüfung.
  • Ist’s etwa ein Beweis, wenn hingegeben
  • Nach schwerem Kampf mit heißen Wollustzähren
  • Die Tugend selbst in Ihre Arme sinkt?